Heike & Helmuth Hahn

ArchiDom


HEIKE UND HELMUTH HAHN
ARCHIDOM PROJEKT WUNSCHHAUS

Eröffnung: Freitag, 30. Mai 2008, 20:30 Uhr
Einführung: Johann Haslauer
31. Mai – 22. Juni 2008
do – so 15:00 – 18:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung
Sonntag,15. Juni und Sonntag, 22. Juni 2008, 15:00 Uhr

 

ARCHIDOM
Projekt Wunschhaus

Bildobjekte, Installationen und Skulpturen aus der Werkreihe ARCHIDOM

Johann Haslauer: Eröffnungsrede zu Heike und Helmuth Hahn

Archidom Projekt Wunschhaus

Ich möchte eine Bemerkung vorausschicken, die mein ganz persönliches Verhältnis zu dieser Ausstellung, zu diesen Arbeiten und zu diesem Thema betrifft. Es hat mit dem Fokus auf ein früheres Projekt der Neuen Galerie, „StadtLAge“ zu tun und mit dem gegenwärtig besonders präsenten Blick auf das Nikola-Viertel in unserer Stadt. StadtLAge war der Beitrag der NG zur 800-Jahr-Feier der Stadt vor vier Jahren, – eine naturgemäß unvollkommene Annäherung, denn das Phänomen Stadt ist zu komplex, um es durch eine Ausstellung zu erfassen, sei es auch mit den Medien der zeitgenössischen Kunst. Die vielen Fragmente ließen vielleicht aber ein Bild aufscheinen, das damals die sonst eher unterbelichtete Gegenwart und Zukunft der Stadt und des Städtischen betraf. Und so hätten die heute von Heike und Helmuth Hahn gezeigten Arbeiten sehr gut in unser damaliges Konzept gepaßt, das Blicke auf das gemeinsame Wohnen und den Prozeß Stadt eröffnete.

Aber das StadtLAge-Unternehmen geht weiter und wird als nächstes möglicher Weise in eine Auseinandersetzung mit dem Stadtteil Nikola münden. Hier ist ja einiges in Gang gekommen: ich möchte nur eine Auswahl an Ausstellungen und Veranstaltungen nennen, in deren Zusammenhang sich die heute eröffnete Ausstellung – obwohl zeitlich nicht daraufhin geplant – doch alles andere als zufällig erweist:

– Da stellt das Bauamt der Stadt im Rahmen der Architekturwoche 2008 die Geschichte und die Planungen um dieses Viertel in einer Ausstellung im Sparkassenfoyer am Bischof-Sailer-Platz dar.
– Da setzt sich eine Ausstellung der Galerie in Bewegung in einem ehemaligen Elektromarkt im Nikolaviertel unter dem Titel „inHäusern“ mit dem Thema „Wir-Konstruktionen“ auseinander.
– Da gibt es im Rahmen eines Stadtteilfestes am Bismarckplatz eine Fotoausstellung „Bilder von Nikola“, die eine Reflektion der Bewohner dieses Viertels anstoßen soll.
– Nicht zu vergessen auch die derzeitige, von Dr. Niehoff konzipierte Schau „seligenthal.de. Anders leben seit 1232“ mit dem utopisch empfundenen Klosterleben der Zisterzienserinnen von Seligenthal, mit die erste Besiedlung des Gebiets des heutigen Nikolaviertels, und nun

– Diese Ausstellung Archidom Projekt Wunschhaus bei uns in der Neuen Galerie mit Plastiken und Installationen unter dem Titel „Archidom“ zum Thema Wohn-Utopien

Wir sind also – ausgehend von der konkreten Situation und Aufgabenstellung in Architektur und Stadtplanung bzw. einer bestimmten geschichtlichen Entwicklung bei den anderen Veranstaltungen – noch ein Stück offener und damit grundsätzlicher: mit der Frage von Heike und Helmuth Hahn an einen Querschnitt von Personen aus der Region Nürnberg nach ihren Traum-häusern und -landschaften. Diesen Beschreibungen hat das Paar künst-lerische Gestalt gegeben. „Visionen wurden zu Kunst-Räumen, Wünsche und Sehnsüchte zu Objekten und Installationen, die in ihrer Vielfalt unter-schiedlichste Wohn- und Lebensentwürfe widerspiegeln“. So der Pressetext.

Wenn ich das Künstlerpaar zunächst biographisch vorstellen darf:
Heike und Helmuth Hahn wurden 1963 bzw. 1958 in Nürnberg bzw. in Winkelhaid bei Nürnberg geboren, waren zunächst als gelernte Schlosser im Baubereich tätig, bis sich 1994 durch einen Lehrauftrag für Helmuth Hahn an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg für beide die Möglichkeit ergab, sich noch mehr den eigentlichen Ambitionen hinzugeben. Durch die Beschäftigung im Bereich des Wohnungsbaus hatten sie begonnen, sich mit dem Thema künstlerisch auseinanderzusetzen und traten seither mit zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland hervor. Seit 2002 ist „Archidom“ ihr zentrales Projekt, das auch hier im oberen Raum vorgestellt wird.

Was sehen wir? Versuchsanordnungen mit Landschaftsfragmenten unter einem Glassturz, als würde hier die Herstellung autarker Atmosphären für die Besiedlung unwirtlicher Planeten erforscht.

Was noch? Mehrere Tableaus in unterschiedlichen Farbtönen, in deren Zentrum, gleichsam im Schmelzpunkt der Lichteinstrahlung, jeweils drei Häuser zusammenstehen, – Hinweis auf soziale Nähe, oder auch ähnlich disponierte mentale Temperaturen, sozioklimatische Milieus, könnte man annehmen, kurz vor der Verschmelzung.

Dann Schaukästen mit verschiedenen Landschaften mit den entsprechenden Längen- und Breitengrad-Angaben, das breite Spektrum traumhaft anmutender Naturlandschaften. Auf der anderen Seite Reklametafeln aus der Immobilienbranche mit den allseits bekannten Sprüchen: Your dream is our reality. Und als Abschluß am hinteren Ende eine geballte Ladung „Immobilien-poesie“, wie wir sie aus den Anzeigen der überregionalen Tageszeitungen kennen, hinterlegt mit den passenden Landschafts-Stereotypen.

Zum besseren Verständnis dieser Arbeiten ist es vielleicht hilfreich, den Werdegang des Projekts zu kennen: Bei dem als längerfristige Untersuchung angelegten Projekt ARCHIDOM (zusammengesetzt aus Archiv und Domizil) wurden seit 2002 ca. 750 Personen aus der Metropolenregion Nürnberg per Interview oder Fragebögen befragt, wie ihre persönlichen Wunschhäuser und Traumlandschaften aussehen könnten. Jeder erhält dabei fiktiv 5 Mio Euro zur Verwirklichung seiner Vorstellungen. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte querbeet durch alle Altersgruppen bzw. alle Berufssparten und Einkommensverhältnisse. Diese Ergebnisse nun in Bilder zu übersetzen und spielerisch zu verarbeiten, ist die zentrale Absicht des Künstlerpaars, das sowohl die Recherche zu den Datengrundlagen weiter vorantreibt, wie es auch das System des Spiels noch ausbaut und verfeinert. So ist nun seit 2006 die fiktive Vermarktung dieser Traumwelten hinzugekommen – die Arbeiten der „Immago Real Estates“ sind im unteren Stockwerk zu sehen, wo uns das biedere Modell Erika, die Soap City mit Versatzstücken aus städtischen Elementen, wo uns schematisierte Wünsche in weiteren Objekt-kästen begegnen und liebevoll gestaltete Modelllandschaften zur wilden Besiedlung angeboten werden. „Ihr Wunsch ist unsere Wirklichkeit“ wird eine Sprechblase der Illusionsmaschine Immobilienbranche ironisch zitiert.

So abgehoben verspielt und so fern von jedem Realismus solche Wünsche erscheinen, so elementar ist dieses Spielen und Träumen für das tatsächliche Planen und Bauen. Die moderne Stadtplanungstheorie hat längst das Potential dieser Elemente erkannt, im Konzept der „sozialen Stadt“ etwa gehört es in Form von Zukunftswerkstätten mit zu den Essentials.

Natürlich kann es nicht das grenzenlose „Mehr“ und „größer“ und „ausgefallener“ sein, dem ein nachhaltiges Planen und Bauen zugrunde liegt. Heidegger hat in einer vielbeachteten Rede von 1951 das Sein als durch das Wohnen bestimmt dargestellt. „Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen.“ Wie wir uns im räumlichen Gefüge zwischen Himmel und Erde einrichten. Und dabei das Wohnen auch als Schonen begreifen, mit dem es eine gemeinsame Sprachwurzel hat, und das Sein als Mit-Sein. Doch wenn Fragen gestellt werden wie die genannten nach der Wunschwelt, in der die Befragten leben möchten, dann klingt eine alles andere als schonende Variante des Seins durch, eine, die eher die Reklamephantasien der Warenwelt spiegelt. Insofern ist die Kunst von Heike und Helmuth Hahn in ihrer Wirklichkeitsanalyse wieder sehr der Wahrheit verpflichtet. Aber es scheinen auch menschliche Grundbedürfnisse durch: nach Natur, nach Ruhe und nach individueller Entfaltung, – neben dem potentiellen Zugriff auf das soziale Umfeld. Dasein ist Mitsein, am liebsten natürlich durch einen U-Bahn-Anschluß im Keller.

Ich wünsche noch viel Spaß bei den eigenen Andockversuchen an die gezeigten Wunschwelten, viele Impulse aus den Arbeiten von Heike und Helmuth Hahn und gute Gespräche. Wir haben dafür zusammen mit dem Kunstverein in der Osteria das Bistro reserviert.

Die Werke des Projektes ARCHIDOM werden im Rahmen der Kunsträume Bayern 2008 im Juni bei containArt Fürth zu sehen sein, von Juli bis September in der Städtischen Galerie Traunstein, im Sommer im Forum Kunst und Architektur Essen und im Herbst in der Städtischen Galerie Ditzingen.

Landshuter Gespräche
Burkard Bluemlein

BURKARD BLÜMLEIN

Landshuter Gespräche

Objekte und Installation

Eröffnung: Freitag, 25. April 2008, 20:00 Uhr

26. April – 18. Mai 2008
do – so 15:00 – 18:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung
Sonntag, 04. Mai und Sonntag, 18. Mai 2008, 15:00 Uhr

mit freundlicher Unterstützung von
Maria und Rolf Haucke, Landshut,
der Stadt Landshut und der Sparkasse Landshut

Burkard Blümlein


Burkard Blümlein wurde 1960 in Würzburg geboren.
Er lebt in Paris und München.
Er hat eine Professur an der Villa Arson, Ecole Nationale Supérieure in Nizza.
Von 2002 bis 2007 war er Professor an der Ecole Européenne Supérieure de l’Image, Angoulème.

Betrachtet man die zentrale Bodenarbeit im unteren Stock mit dem Titel „Landshuter Gespräche“, so denkt man, wir würden den Nachverkauf des großen Landshuter Flohmarkts vom letzten Wochenende veranstalten. Nicht nur der Titel, auch die Fülle der ausgebreiteten Dinge und Objekte, ihre recht chaotisch wirkende, willkürliche Anordnung auf einer Plastikfolie könnten darauf hindeuten.
Schnell hat der geübte Flohmarktbesucher ausgemacht, worum es sich handelt: Schädel, Schlüssel, Strandgut, mechanische und elektronische Geräte, Touristenkitsch, Nippes und Ramsch aus asiatischen Billigläden, möglicherweise auch von IKEA.
Allerdings irritiert die Anordnung der Plastikfolie und die Wahrnehmung, dass sich in unseren Augen billiger Ramsch mit kleinen Kostbarkeiten, seltsamen zweckfreien Gegenständen und – bei noch genauerem Hinsehen – mit künstlerisch bearbeiteten Objekten mischen.
Wir versuchen, eine Logik, eine Struktur in diesem scheinbaren Durcheinander zu finden, ein Prinzip, nach denen diese Objekte aufgereiht, angeordnet sind – doch wir werden nicht fündig. Mit unseren gewohnten Kategorien und Taxonomien kommen wir nicht weiter.
Möglicherweise sind wir schon versucht, uns abzuwenden, es als nette, farbenfrohe Spielerei abzutun, die uns an die Kinderzimmer zu Hause erinnert, doch dann interessiert uns ein Gegenstand etwas näher, zum Beispiel der Schädel eines Vogels, der neben einem perforierten Straußenei liegt – es könnte also der Schädel dieses Vogels sein. Daneben liegt ein schwarzer kleiner Schädel, möglicherweise eines Affen, aber nun fasziniert uns eher diese Antonomie von Schwarz und Weiß, und wir bemerken, dass diese Gegensatzpaare immer wieder zu finden sind.
Wir finden Reihungen, etwa Perlenschnüre und Rosenkränze, Spagatknäuel oder eine seltsam geflochtene Plastikschnur. Diese besteht aus simplen farbigen Plastiktüten, wie man sie auf Märkten zum Verstauen der gekauften Waren bekommt. Diese wiederum korrespondiert mit einem Stapel von ebenso starkfarbigen Plastiktellern, deren Material und Anordnung ebenfalls in einem an einen Ritualstock erinnernden durchsichtigen Objekt zu finden ist, welches sich als eine Sammlung ineinandergeschichteter Einwegsektgläser entpuppt. Deren matt opake Oberfläche findet sich auch wieder in einem Objekt, das aus zusammengeklebten Spegelscherben besteht, welches einen formgleichen, aber spiegelbildlichen Naturschwamm neben sich stehen hat.
Der Blick könnte sich nun von da zu den bunten Plastikschwämmen in seiner Nähe hangeln, aber er bleibt an anderen Spiegelungen hängen, etwa der Murmel auf dem Rasierspiegel oder den beiden Flaschen, die sich Hals an Hals spiegeln und damit wiederum Analogien zu den Spielkarten unter der Plastikfolie bilden lassen, deren Motive ebenfalls spiegelbildlich angeordnet sind.
Während der ganzen Zeit ist unser Geist dabei, zu interpretieren, Analogien zu bilden, zu assoziieren und in immer neuen, sich verändernden Wahrnehmungs- und Gedankensprüngen über das Feld zu mäandern – sich gleichsam in einem wilden Denken zu ergehen, das sich so völlig von dem analysierenden Herangehen der modernen Wissenschaft unterscheidet. Claude Lévi-Strauss, der berühmte Ethnologe, hat dieses Denken als konkrete Logik der Premieres Cultures beschrieben – also der ersten, und nicht, wie wir sie bezeichnen, der primitiven Kulturen.
Dieses wilde Denken vereint sowohl intellektuelle Elemente als auch solche der Anmutung oder des Gefühls, während unser heutiges Wissenschaftsverständnis das Ziel größtmöglicher Objektivität und Abstraktion verfolgt, emotionale Beteiligung aber ausschließt.
Dabei liegt der konkreten Logik durchaus ein ebenso großer Erkenntnisdrang zu Grunde und erschließt sich nur durch die genaueste Identifizierung ihrer Bestandteile. Denn sie beruht auf der Vielgestaltigkeit der Beziehungen zwischen den Elementen.
So besteht bei den Luapula eine Beziehung zwischen dem Leopardenclan und dem Ziegenclan, weil ein Tier das andere frisst; zwischen dem Elefantenclan und dem Tonerdenclan aber, weil ehemals die Frauen, statt Behälter zu formen, Abdrücke von Elefantenfüßen aus dem Boden herauslösten und diese natürlichen Formen anstelle von Behältern verwendeten.
Wildes Denken beruht also durchaus auf einer Logik, wenn auch nicht auf der bei uns herrschenden – und es ist weder kultur- noch entwicklungsgeschichtlich überholt. So erinnert mich dieses Basislager eines Sammlers einerseits an das Kinderzimmer meines Sohnes – allerdings: wenn ich sage: „Dein Zimmer sieht aus, als hätte eine Bombe darin eingeschlagen“, so habe ich nicht genau hingeschaut: In Wirklichkeit beinhaltet nämlich dessen Kinderzimmer selbst in den chaotischsten Zuständen eine komplexe Ordnung, eine konkrete Logik, die in ihren einzelnen Analogien und Assoziationen genauso nachvollziehbar ist wie diese Arbeit von Burkard Bluemlein. Zum anderen ist auch kulturgeschichtlich dieses konkrete Denken noch zur Zeit der Renaissance das beherrschende gewesen:
Es war von Ähnlichkeiten und Verwandtschaften unter den Dingen gekennzeichnet, und wenier von Fragen von Identität bzw. Unterschiedlichkeit.
Kunst- und Wunderkammern als Vorläufer unserer Museen verdeutlichen dieses Denken: sie vergegenwärtigten anhand ausgewählter Beispiele ein Abbild der großen Welt. In dem kürzlichen erschienenen und sehr empfehlenswerten Katalog zur Kunst- und Wunderkammer wird dies wunderbar beschrieben: „Kunst und Wunder waren die beiden Schlüsselbegriffe, und diese bezogen sich sowohl auf von Menschen geschaffene Dinge (sogenannte Artificialia) als auch auf Objekte aus der Natur (Naturalia). So war ein mechanisch kompliziertes Eisenschloss „gar künstlich“, also höchst kunstvoll, und damit ebenso wie ein gemaltes Kunstwerk der Bewunderung wert und der Sammlung würdig. Dass ein Mensch aus einem Stück Elfenbein feinste ineinander gedrehte Kugeln drechseln konnte, war ein Wunder. Ein Wunder war aber auch der Baumschwamm, der einem Laib Brot berblüffend ähnlich sah.“
Hier finden wir also durchaus Elemente des „Wilden Denkens“ von Lévi-Strauss wieder, und Burkard Blümleins „Landshuter Gespräche“ üben wirklich eine Zwiesprache mit der Landshuter Kunst- und Wunderkammer und deren kokreten Logik. Wir finden in ihnen Naturalia und Artificialia, Scientifica und Exotica, und wer die Kunst- und Wunderkammer in Landshut kennt, wird wiederum Analogien und Assoziationen vielfältigster Art in den Landshuter Gesprächen finden:
Es gibt eine minutiöse Liste, in der Burkard Blümlein die Objekte seiner Installation auf die Objekte der Landshuter Sammlung bezieht. So finden sich die eben erwähnten kunstvollen Schlösser als tatsächlich entsprechende Artficialia, andere wiederum nur als Abbildung, etwa berühmte Werke der Kunstgeschichte. Es gibt die Exotica, in Form von perlmuttglänzenden Muscheln, aber auch als von Kindern im Sommerurlaub gesammelten Tand. Wir finden die Naturalia, etwa den Kugelfisch, der allerdings aus Zahnstochern nachgebildet ist, oder die menschenähnliche Alraunwurzel, wo der Künstler, ebenso wie beim schwarzen Totenschädel, mit Plastilin nachgeholfen hat.
Selbst zeitgenössische Scientifica sind in der Sammlung: Eine Nachbildung des Eisenmoleküls als Souvenir des Atomiums aus Brüssel, Computerfestplatten, oder auch ein schwarzes Telefon, dessen eingeschränkte und rätselhafte Funktionaliät schon wieder an einen totemistischen Ritualgegenstand denken lässt.
Einen solches finden wir auch in der Arbeit des Nagelfetisch im oberen Stock. Auf einem lapidaren Tisch steht eine Glasvase, die sich, gleichsam wie in einem Antipoden, unter dem Tisch in einem hölzernen Fetisch fortsetzt – oder besser gesagt, spiegelt. Den Nägeln im schrundigen Holzkörper entsprechen die Blasen im Glas der Vase, die allerdings ohne jedes Prinzip, zufällig, wie bei einer absichtslosen Bastelei, eingraviert wurden. Was sowohl die zerbrechliche Vase als auch den verletzten hölzernen Fetisch zu halten scheint, ist das jeweilige Gegenstück auf der anderen Seite der Tischplatte – und diese halten wiederum den Tisch.
Hier stellt sich die Frage nach der Ordnung der Dinge, und diese wird in den Arbeiten im oberen Stock auf je eigene Weise beantwortet. So wird die Ordnung des billigen Sammelsuriums von Gläsern auf dem niederen Regalbord durch einen Licht-Spot hergestellt, ebenso wie der Tisch hinten durch den Strahl der Lampe, welcher durch ein Loch in der Tischplatte fällt, im Raum verortet wird. In der benachbarten Arbeit verortet das hängende Lot verortet den schiefen Tisch –
oder ist es umgekehrt?: Die Ordnung der Dinge, die uns so selbstverständlich erscheint, ist eine wilkürliche, wie Michel Foucault uns seinem gleichnamigen Werk nachweist.
Wissen ist danach nicht das Ergebnis rationaler Denkprozesse, sondern das Produkt von zufälligen „Entdeckungen“ und vor allem von politisch durchgesetzten Machtpositionen innerhalb von diskursiven Strukturen. Wer also die Macht hat, den Wissens-Diskurs zu bestimmen, hat die Macht, unser Denken, ja uns selbst zu formen, zu erfassen und zu klassifizieren.
Gerade im Augenblick der umwälzenden Globalisierung wird dies wieder schmerzlich bewusst.
Es ist deshalb wichtig, dieser Ordnung der Dinge eine erkenntniskritische Ordnung der Blicke hinzuzufügen:
Die Dinge benötigen nämlich immer einen Beobachter, der über seine Perspektiven, seine Blicke, eine Ordnung herstellt.
Diese Blicke, diese Sichtweisen ergeben in umfassender Weise Möglichkeiten von Konstruktionen, die wir als Wirklichkeiten »sehen«. Darin aber ist die Sprache ebenso wie das Fühlen oder andere sinnliche Tätigkeiten eingeschlossen.
So könnte unser Blick auf dem niederen Tischchen dem Golddraht folgen, der sich durch die Gläser bohrt, genauso aber der Struktur der Volumina oder der Oberflächen; er könnte sich dem Besonderen widmen oder dem Ähnlichen, je nachdem, welche Beziehungswirklichkeit wir zwischen den Dingen herstellen.

Wenn man die Perspektive wechselt, ändern sich die Beziehungen der Elemente untereinander: Auf dem Kindergeburtstagstisch wirft aus der Froschperspektive jedes Ding seinen Schatten auf ein wieder anderes. Was am Ende drin sein wird, wissen wir nicht. Vielleicht aber sind in diesem umgekehrten Höhlengleichnis die Schatten ohnehin wesentlicher als die Dinge oder gar ihr Inhalt.
Das wilde, mäandernde Denken ist nie ganz verschwunden gewesen:
Nicht erst im postmodernen Informationszeitalter finden wir es wieder in der assoziativen, rhizomartigen Vernetzung der Hyperlinks.

Ähnlich entwickelte auch schon Aby Warburg in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts seine berühmte verschollene Arbeit Mnemosyne, benannt nach der Göttin der Erinnerung, in der er mit Hilfe von Bildern das vielfältige Weiterleben der Antike in der europäischen Kultur anschaulich machen wollte. Dieser Atlas bestand schließlich aus über 40 Kartons mit ca. 1.500 bis 2.000 Fotos, die die Tafeln teilweise bis zum Rand bedeckten und weder mit Bildunterschriften noch mit Kommentaren versehen waren. Die Tafeln beschränkten sich nicht auf klassische Forschungsobjekte der Kunstwissenschaft, sondern beinhalteten auch Werbeplakate, Briefmarken, Zeitungsausschnitte oder Pressefotos von Tagesereignissen. Warburg starb 1929 an einem Herzinfarkt, Mnemosyne konnte nicht vollendet werden.
Auch Burkard Blümleins Arbeit ist in gewisser Weise eine Mnemosyne, in der er die Erinnerung und die Möglichkeit wachhält an ein anderes Denken, einen anderen Blick, der die gängige Diskurshoheit unterlaufen kann. Nicht nur in diesem Sinne allerdings steckt sie voller Subversivität:
Immer dort etwa, wo wir als geübte Kunstbetrachter meinen, vordergründigen Sinn in den Arbeiten festmachen zu können, werden wir enttäuscht. So ist der Nagelfetisch in keiner Weise ein mit Bedeutung aufgeladenes, surrealistisches Objekt im Sinne etwa einer Louise Bourgeois. Die Arbeit ist als Idee plötzlich da gewesen, und er hat sie gemacht.
Es ist nicht diese psychoanalytisch beförderte Kunstproduktion, die Burkard Blümleins Arbeiten kennzeichnen.
Sie beinhalten vielmehr immer ein Moment des Bastelns, der „bricolage“, wie es in Frankreich heißt; das bedeutet zum einen eine Art intellektuelle Bastelei mit einem begrenzten Bestand von Material, das immer neu geordnet wird und das prinzipiell heterogen ist.
Dies bedeutet aber auch Bastelei im eigentlichen Sinne, seien es die eingravierten Blasen in der Glasvase, der geätzte Fingerabdruck im Glas, die zersprungenen und geklebten Porzellanteller, deren Haar-Riss als durchgehende Linie angeordnet sind, die perforierte Matrioschka, das Muster der geschälten Einhorn-Rinde, immer sind es einfache, oft unmerkliche Eingriffe, die auf ursprüngliche, volkstümliche oder handwerkliche Techniken zurückgreifen und die der materialistischen Ordnung der Dinge ein subversives und sperriges Element der Zweckfreiheit einfügen, unseren Blick fokussieren und ihm damit die Möglichkeit eines anderen Sehens, eines anderen Denkens, ja eines anderen Diskurses anbietet.
„Im Grunde“, meinte schon Jacques Derrida, ist ohnehin „jeder endliche Diskurs zu einer gewissen Bastelei gezwungen“. und wenn Wildes Denken nach Derrida „Erkenntnisgewinn auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung und der Einbildungskraft“ bedeutet, dann ist diese Ausstellung eine Einladung an den Betrachter, wild zu denken.

Toni Wirthmüller
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Malerei | Zeichnung

Eröffnung: Freitag, 29. Februar 2008, 20:00 Uhr
Es spricht: Dr. Bernhard Fischer, Altheim

01. März – 24. März 2008
do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung
Sonntag, 09. März und Sonntag 16. März 2008, 15:00 Uhr

mit freundlicher Unterstützung
der Stadt Landshut und der Sparkasse Landshut

Toni Wirthmüllers Arbeiten basieren auf konzeptuell angelegten Bilderserien und Bildinstallationen, in denen er sich mit dem menschlichen Körper und seiner medialen Repräsentation und Vermarktung beschäftigt, Werte und ihre Wandlungen hinterfragt. Den Künstler interessieren die verbliebenen Surrogate von Körperlichkeit sowie deren Sprache, erotische Signale und Codes. Mit dem Prinzip der Fragmentierung, der Montage und Überblendung bringt er malerische Elemente wie Farbe, Ornament und Zeichnung in vielschichtige Zusammenhänge. Gegenständliche und skripturale Zeichnungslinien sowie abstrakt eingesetzte Farbspuren durchkreuzen sich so gegenseitig. Er setzt weitere Materialien ein, um Transparenzen zu bewirken, so dass sich das Bildgeschehen auf vielen Ebenen abspielen kann, dabei ermöglicht das haptische Element der Bildoberflächen und Strukturen einen sinnlichen Zugang. Bei der Entschlüsselung der Inhalte trifft man auf die Brüchigkeit und plötzlichen Schleusen, an denen sich Alltags-und Medienebenen durchdringen, den Blick öffnend für die thematischen Schichtungen wie Schönheit, Hässlichkeit, Verwundbarkeit und Vergänglichkeit.
Der 1960 in München geborene Wirthmüller lebt seit 1982 in Berlin, wo er an der Hochschule der Künste studierte. Ab Mitte der 90er Jahre war er an der UdK (früher HdK) Berlin und der Facultad de Bellas Artes in Barcelona als Dozent tätig. Von 2000-2007 arbeitete er als Lehrbeauftragter an der Bauhaus Universität Weimar.
Wirthmüllers Arbeiten wurden an zahlreichen Orten im In- und Ausland ausgestellt, zuletzt unter anderem in New York, San Francisco, Hamburg, München, Lissabon und Novosibirsk.
Christoph Tannert (Leiter des Künstlerhaus Bethanien):
„Gegenüber den teutonischen Schmerzwutgesängen hat Toni Wirthmüller diese wunderbare Gabe, mit Farbe tief zu loten und gleichzeitig elegant wie puristisch-modern Bildelemente über- und hintereinander zu schichten. Qualität kommt bei ihm nicht von Quälen. Der Augensinn wird geschont, ja oft sogar geläutert und erheitert.
Aus der Serie „Mind Loops“ stammen jene blauen Blasen, Nullen, Ovale und Gucklöcher in Acryl auf Leinwand, die von der Nichtigkeit unserer Existenz wie von der Unendlichkeit sprechen. Wirthmüller unterstreicht das Gedankenkreisen in großen Leinwandbildern, indem er Blau auf Gelb treffen lässt, und sogar Blau auf Blau (bis an die Grenze jener Dunkelzonen des preußischen Blaus, das einem Schwarz vor den Augen werden lässt).Die Serie „Incorporeal“ lässt aus Kugelschreiberwölkchen über einer Gorillagruppe, verfremdeten Reality-Erlebnissen und Denkakrobatik Materielles auf Sinnliches treffen. Ein Ornamenten-Reigen verheißt die perfekte Würze und Entspanntheit an der richtigen Stelle.
Ihre Fortführung im Medium der Zeichnung findet diese Serie in den Arbeiten, auf denen Boxer-Motive, Bierdeckel-Pin ups, Bewusstes, Unbewusstes und aus den Weiten des Internet Gefischtes in originellen Versionen Gestalt annehmen. Das abstrahierte Normale und Notate belegen künstlerische Erlebnisetappen.
Eine besonders dichte Form der Überblendung diverser Bild- und Textebenen findet sich in einem Bild mit dem Titel „Faces“ das vier Gesichter zeigt, die an das Model Kate Moss erinnern, und das aus der Serie „Flesh Factor“ stammt. Weil der Künstler einen Text des legendären, frühverstorbenen Rockstars und Lyrikers Jim Morrison mit Kohle- und Kreidestift auf die bedruckte Leinwand geschrieben hat, bekommt das Ganze etwas von einer geheimnisvollen Offenbarung. Man fühlt sich hineingerissen in einen der magischen Rocksongs, der mehr verbirgt als freigibt von geheimnisvollen Offenbarungen über Tod und Wiedergeburt, buddhistische Weisheit und uralte biblische Prophezeiungen.
Das Grenzüberschreitende und Wunderbare dieser Morrison-Songs, die verknüpft sind mit der anderen Seite des Morgen, fixiert Wirthmüller auf geradezu elektrische Weise an dem Punkt, wo sich mitten im Alltag das Tor zum Hintergründig-Provozierenden öffnet.“

(aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung im GEHAG-FORUM Berlin, Juni 2006)

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