„Editions of you“ – verschiedene Ausgaben deiner selbst – formuliert die Frage nach dem Selbst, dem Subjekt, der gefährdeten oder zu schützenden Individualität in einer Zeit scheinbar grenzenloser Machbarkeit, die durch viele Ergebnisse in den Wissenschaften heute immer drängender geworden. Wie weit ist das Individuum gezielt beeinflussbar, wo ist die unhintergehbare Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen vorbestimmter Anlage und den Einflüssen der Umwelt? Diese Fragen greift etwa auch Adidal Abou-Chamat auf, in deren Interesse kritische Punkte des Existentiellen und unstabile körperliche Grenzbereiche stehen, Schnittstellen zwischen Innen und Außen. Es geht um Kodierungen des Körpers im Kontext seines kulturellen Umfelds, seine Umdefinierung vom natürlichen Objekt zum sozialen Konstrukt. Das Diktat eines industriell vorgegebenen Schönheitsideals, das uns vorschreibt, wie wir unsere „Individualität“ ausgestalten zu haben, die Frage, ob unser Körper und unser Geschlecht essentielle Faktoren unseres Ichs sind oder das Ergebnis sozialer Zu- und Festschreibungen Werden in einem spannenden Wechselspiel aus Verführung und Abstoßung formuliert. Die irritierende Idee, in eine andere Haut zu schlüpfen, wird in ihrem Multiple „Nipple Shirt“, einem Hemd aus Zitzenhaut zum Wunsch- und Zerrbild zugleich. Die kühle Künstlichkeit wiederum ihrer perfekt ausgeleuchteten „Porträts“ erlaubt es ihr, die provokante Drastik des Dargestellten ästhetisch aufzufangen, und dennoch an das Tabu vorgegebener Schönheitsvorstellung zu rühren – und zugleich die Möglichkeit des Subjekts zu denken, sich stets selbst und neu zu erfinden. Auf leichtfüßige Art und Weise setzt sich auch Iska Jehl mit dieser Fragestellung auseinander: Das Beauty-Software-Programm einer US-Frauenzeitschrift diente ihr als Basis zur Manipulation zweier Selbstporträts. Einige der daraus entstandenen Versionen wurden mittels Linsenrastertechnik zu einem Bild zusammengefügt. Dieses Bild weckt Erinnerungen an klassische Selbstporträts. Dem Blick des Betrachters scheinen unterschiedliche Typen, womöglich verschiedenen Alters, präsentiert; in Wahrheit wurde jedoch nur die Frisur variiert. Die künstliche Manipulation des Selbstporträts führt den Betrachter in die Irre, in der unauflösbaren Spannung zwischen dargestellter und realer Identität stellt sich die Frage nach dem wahren Selbst. Wenn nun aber der Körper nicht der Ort der unverwechselbaren Identität sein kann, wo ist dessen Ort dann? Möglicherweise im Gehirn: In ihren Arbeiten „Subject: Brain“ hat Sara Rogenhofer das menschliche Gehirn tomographisch Schicht für Schicht seziert. In unüberschaubaren Reihungen füllen diese die Bildfläche. Doch erst der künstlerische Eingriff, die Übermalung durch die Hand der Künstlerin, geben ihnen eine deutliche, individuelle und unterscheidbare Ausprägung. Die unendlichen Serien der binären Zahlencodes, die Sara Rogenhofer ihren Bildern unterlegt, verweisen darauf, dass die wissenschaftliche Sezierung des menschlichen Gehirns letztlich nur einen, faszinierenden und erschreckenden Schluss zulässt: Dass es, ebenso wie der Körper, reproduzierbar sein wird. Eine faszinierende Präsenz besitzen so auch die Gesichter von Doris Maximiliane Würgert, die uns in einem ständig changierendem Verhältnis von Distanz und Nähe erscheinen. Diffus erscheinen sie aus dem Hintergrund und ziehen sich gleichzeitig in die sie umgebende Wand zurück. Wenn wir uns ihnen nähern, um sie deutlicher betrachten zu können, lösen sie sich auf, werden zu Spuren reinen Pigmentes, das sich in die Leinwand eingebrannt hat. In ihrer Monumentalität und in dem extremen Bildausschnitt, der oft nur die Mund- und Augenpartie zeigt, suggerieren sie ein Versprechen von Intimität und Unmittelbarkeit, das sie nicht einlösen. Sie sind fast schon schmerzhaft anwesend, wecken unser Begehren, und erweisen sich doch im gleichen Moment als fremd und einem unerreichbaren Anderswo zugehörig. Sie sind da, ohne da zu sein. So scheinen die Gesichter einem Zwischenreich zugehörig, ihre Anwesenheit, die den verstörenden Eindruck einer Abwesenheit erzeugt, lässt sie als Geister, als Wiedergänger erscheinen; und sie sind dies in einem mehrfachen Sinne: Die Bilder siedeln in einem Zwischenbereich von Malerei und Fotografie, der nicht eindeutig festlegbar ist; sie beziehen sich weder auf eine tatsächliche Wirklichkeit noch sind sie reine Fiktion der Künstlerin: Es sind Porträts von Protagonisten aus Computerspielen und damit in gewissem Sinne tatsächlich unsere Wiedergänger, unsere Doppelgänger. Diese Figuren besitzen nämlich in ihrer Welt alle menschlichen Eigenschaften, die sie brauchen: Sie können denken, kommunizieren, überlegt handeln, Gefühle zeigen, sie haben ein Gedächtnis und besitzen die Fähigkeit zu lernen. Sie können sogar altern. Sie besitzen nur eines nicht: eine Seele. Obwohl auch das, nach Ansicht des Hirnforschers Dieter Dörner, nur eine Frage der Zeit ist. Wenn aber schließlich jede Realität künstlich erzeugt werden kann, könnte es im Umkehrschluss nicht durchaus sein, dass die Realität unseres Ichs eine je eigene Realität ist? – oder wie Wittgenstein (Tractatus logico-philosophicus) sagt: „Ich bin meine Welt. Das denkende, vorstellende Subjekt gibt es nicht… Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt“ Die Bedingungen und Grenzen einer solchen Konstruktion von Wirklichkeit können an der Arbeit „Zwischendurch“ von Gesa Puell und Christine Zoche überprüft werden, wo die eigene Vorder- und Rückenansicht miteinander konfrontiert werden. Während dabei zwar eine optisch schlüssige Situation entsteht, ist diese doch logisch zweifelhaft: Wie könnte eine Person sich selber gegenübersitzen? Und dennoch ist diese Situation sinnbildlich für das Verständnis aktueller WeltAnschauung: Wir sind Teil der Welt, die wir gleichzeitig beobachten – die wir nur verzerrt beobachten, wie durch einen Vorhang, den man auch Schnittstelle nennen könnte – sie ist unser Zugang zur Welt, die uns nur von innen zugänglich ist. „Die Welt ist ein Vorhang, in den wir selbst eingewoben sind,“ sagt Peter Weibel. Dieser Vorhang aber ist so fragil, dass die Silhouetten der beiden Künstlerinnen kein Versprechen von Festigkeit und Dauer in sich tragen: Sie wirken wie Nachbilder auf der Netzhaut, momentane Wahrnehmungsblitze, deren Gültigkeit die Dauer dieses einen Augenblickes nicht übersteigt. Und doch sind es vielleicht gerade diese Fragmente, aus denen wir ein, wenn auch immer nur vorübergehend gültiges Bild unseres Selbst weben können. Samuel Rachls Filzstiftzeichnungen tragen dem Rechnung: Er beschränkt sich in der Signatur nicht auf eine Datierung, sondern er verzeichnet auf jeder die genaue Minute, in der sie entstanden sind. So entsteht aus diesen sehr persönlichen Offenbarungen, diesen den Betrachter existentiell berührenden und gleichzeitig verletzlichen Augenblicksnotaten ein fragiles Bild des künstlerischen Ichs. Dieser voyeuristischen Beobachtungssituation, in denen sich ein künstlerisches Ich der Betrachtung preisgibt, ist sich Samuel rachl wohl bewusst. In einer installativen Situation lässt er es auch uns deutlich werden: Der Betrachter sitzt, eingezwängt zwischen kaltes und in laszivem Rot gehaltenem Kunstleder wie in einer Peepshow und beobachtet wie in dieser einen vorgegebenen Ausschnitt scheinbarer Realität, die aber nicht mehr ist als das Ergebnis seiner eigenen Projektion. So definiert sich das Ich durch den Anderen, und es ist beides gleichzeitig: Impuls und Reflex. He/She, die vierteilige Arbeit von Adidal Abou-Chamat zeigt dies noch einmal ausdrücklich und stellt uns die Frage: Wo beginnt das Andere, und wo endet das Ich? Am Ende löst sich das Subjekt, zwischen Identität und Nicht-Identität schwankend, in eine Vielzahl unterschiedlichster Facetten auf – die gleichzeitig das Ich wieder konstituieren. Silvia Schreibers Installation „Hanami“ zeichnet aus diesen Facetten ein Porträt des japanischen Galeristen Nobuo Yamagishi, der vor dreißig Jahren als erster begann, in Japan zeitgenössische Kunst zu zeigen. Ein Porträt des Galeristen aus zartem Papier , flüchtig in den Raum gehängt auf einer transparenten Bahn sowie ein minimales technisches Equipment für die Schallplatten, Abformungen aus Kunstharz, die sich unaufhörlich drehen – eine Aufnahme von Velvet Underground sowie der japanischen Lieblingsmusik des Galeristen. Diese wenigen Dinge genügen Silvia Schreiber, um daraus die Essenz dessen zu formulieren, was die fragile, geheimnisvolle und so überwältigende Schönheit einer menschlichen Existenz ausmacht. So überwältigend, dass ich nicht den Versuch mache, sie näher zu beschreiben, sondern dem Dichter Mark Strand das Wort überlassen möchte. Er sagt: „Wir leben mit Geheimnissen, aber wir mögen das Gefühl nicht, dass wir es tun. Ich denke aber, wir sollten uns daran gewöhnen. Wir meinen, dass wir wissen müssen, was die Dinge bedeuten, um auf der Höhe von diesem oder jenem zu sein. Ich glaube aber nicht, dass es eine sehr menschliche Eigenschaft ist, dem Leben gegenüber so kompetent aufzutreten. Diese Haltung hat jedenfalls nur sehr wenig mit Poesie zu tun.“ Und vielleicht ist es ja gerade die Poesie, die den Ort beschreibt, wo das Ich seine Existenz zu einem unwiederholbaren und nie reproduzierbaren Kunstwerk macht. F.S.