Heiner-Matthias Priesnitz


HEINER-MATTHIAS PRIESNITZ
Zeichnungen aus den letzten Jahren
Eröffnung: Freitag, 05. Dezember 2008, 20:00 Uhr
Einführungstext: Heinzgert Friese, Hannover
Musik: Daniel Hoffmann, Cello | Johannes Strake, Violine

06. Dezember – 28. Dezember 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. In jahrelanger Weiterentwicklung sind Motiv-Serien entstanden, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium und den Akt des Zeichnens: das Verhältnis von (viel) Licht und (wenig) Dunkel, von Groß und Klein, zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.
Das Auge des Betrachters erfasst erst allmählich die auf den Bildern dargestellten Motive. Konturen, erzeugen Räumlichkeit, lösen sich jedoch in die Bildtiefe hinein auf. Die auf visuelle Zurückhaltung bedachte Zeichentechnik versagt ihnen die Illusion materieller Präsenz. Die meisten Arbeiten von Heiner-Matthias Priesnitz sind drucktechnisch nicht zu vervielfältigen. „Entgegen einer zeitgenössischen Kulturtendenz, Informationen zu aggressivieren, besteht die direkte Vermittlungsform meiner Arbeiten auf der Authentizität des Dialoges zwischen Bild und Betrachter.“ Heiner-Mattias Priesnitz ist am subtilen Gleichgewicht zwischen Helligkeit und Dunkelheit, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen Entspannung und Bedrohung interessiert. Je nachdem, wie sich Licht, Schatten und Dunkelheit auf seinen Zeichnungen zusammensetzen, je nachdem, wie die Bildarchitektur gebaut und perspektivisch angedeutet wird, entstehen Stimmungen zwischen romantischer Überhöhung und surrealer Klaustrophobie.

Heinzgert Friese

Schaufasten?

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. – Und kein Mensch nirgends. In jahrelanger, immer wieder unterbrochener und neuaufgenommener Arbeit sind Motiv-Serien entstanden, keine saisonalen Schnappschussgarben, sondern langzeitbelichtete Werkgruppen, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium des Zeichnens und den Akt desselben: das Verhältnis von Licht (viel) und Dunkel (wenig), von Groß und Klein (unklar), zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes, die wir immer mit einbringen müssen, allein schon wegen der Sehachse zum Bild – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.

Bilder sind oft Zäune, die uns den Blick dahinter verstellen, Einfriedungen unserer Augenweiden, Grenzen des sicheren Besitzes. Die Zäune von Priesnitz haben nicht nur offensichtlich diese Funktionen verloren, sondern sie weisen in eine gänzlich andere Dimension: in die Tiefe des Bildgrundes, den sie mit kalter Nadel versehren. Diese Zäune entgrenzen; sie öffnen den Grund, auf dem sie stehen.
Auch die drei kreisrunden Flecke oder aufgeblasenen Punkte erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht ganz geheure Durchbrüche ihrer Zeichen-Ebene: als eigenartige Löcher, die nicht durch einen festen Rand ’definiert’ sind, sondern durch eine bleierne Energie des Inneren. Die Assoziationen mögen von Steckdosen bis zu hypnotischen Blicken reichen. Beiden Assoziationen eignet ein bedrohliches, jedenfalls energisches Eindringen und Ausströmen zwischen Innen und Außen. Das ist etwas der Zeichen-Ebene von Hause aus Fremdes. Die Fläche der Bildordnung ist ja zunächst eine Trennwand zwischen den Vektoren – wenn auch die abendländische Malerei mit Raum-Illusionen zu Ruhm und vor allem zu ’Ansehen’ gekommen ist.
Zwar gibt uns Priesnitz plastische Gegenstände zu sehen. Seine Möbel aber sind fünfeckig. Diese eine Ecke mehr an ’Flügel’, Sarg oder Kommode macht uns haltlos durch den imaginären Raum schweben – und auf der Ebene der Zeichnung landen… Zeichnung reflektiert hier das Bild im Raum, in unserm Raum, als zusätzliche Dimension. Ein Raum, in dem ein Bild hängt, hat nämlich fünf Seiten.
Einer der glücklichsten Funde zum Durchspielen des Verhältnisses zwischen dem Flächennutzungsplan der Zeichnung und der Darstellung von Körper und Raum ist sein Haarnetz, das Priesnetz sozusagen. Die unendlich scheinende Sukzession der ersten Dimension, der Linie, der sich der Zeichner in müh-seliger Übung ohne ’Übersicht’ hingibt, gibt Netzbilder zurück, die eine zwischen Raum und Fläche oszillierende Wirklichkeit darstellen, die wir nur allzu oft nicht wahrnehmen wollen oder können.
Priesnitz’ Bilder gleichen Booten, die Haarnetze auswerfen, die unsere Augen fischen. Diese Meditationen über die Gesten des Zeichnens und des Sehens nehmen uns ein. Und schließlich: Stehen wir noch irgendwo, wenn wir, wie aus dem Flugzeug, auf die tief unter uns im gleißenden Licht eines südlichen Sommers gleitenden Boote blicken? Straucheln wir nicht, wenn das tief in das papierene Meer eingebettete Schiff unserer Blickfahrt Lichtschranken kreuzt, die nur auf der Fläche sind? – Es ’geht hier zu’ wie auf seinen Stilleben aus Gefäßen, die nichts fassen: Es sind Un-Still-Leben schwankender Parameter. Still stehen in dieser Motivgruppe die Gefäße wie Schauspieler eines unsichtbaren Mysteriums. Es sind Masken, und wir wissen nicht, was sie spielen. Das Geheimnis des Innen ist indessen das Geheimnis jeden künstlerischen Ausdrucks, jeden Ausdrucks, jeden Lebens. Priesnitz führt ins Geheimnis nicht durch Strategien des Verhüllens oder kokette Draperien, sondern durch eine an de Chirico geschulte physische Leere – Auf seinen Bildern ist nirgendwo kein Mensch: Er ist nämlich überall – nur nicht als dingfest gemachtes Objekt. Er steckt in den Bewegungen des realisierenden Sehens, zu denen die Bilder uns herausfordern.

1. Zäune
Seit acht Jahren arbeitet Priesnitz an diesen paradoxen Bildern, deren Sujet den Raum zumacht, während die Faktur den Raum durchbrechen will. Seit acht Jahren ritzt er piktogrammartig reduzierte Zeichen, die sich im Weg stehen, in Tafeln, die nie perforiert – aber durchaus versehrt werden. Im Unterschied zu den Schlitzbildern Fontanas kommt etwas an die Oberfläche zurück, das auf der Kippe ist zwischen der Bedeutung einer Linie und der einer Furche.
Diese Kippe ist ein nachhaltig intrigantes Konstrukt des ’Zeichners’. Hier hat er die scheinbar quadratischen Tafeln, Inbegriffe der Fläche, 1cm breiter als hoch geschnitten; wir nehmen also wohl etwas anderes ’wahr’ als wir sehen. Dieser eine Zentimeter mehr, den die Waagerechte hat, ist die Balancierstange für die Senkrechte, welche ein jeder Betrachter vor dem Bild darstellt und – ’einbringt’: Die Horizontale der Sehachse setzt sich fort (!) in der senkrechten Bodenbearbeitung des Bildgrundes: im Walzen des Grundes mit Acrylfarbe, in der Ritzung der Zäune mit der Kaltnadel. Die Betonung der Senkrechten setzt sich fort in den senkrechten Zaun-Planken, deren illusorische Senkrechte sogleich wieder auf die materielle Fläche kippt, zugunsten der Vertikale der physischen Ritzung, welche die Zäune macht – und zugunsten der Linie auf der Fläche, die sich aus der Fortbewegung des Ritzens ergibt.
Dagegen suchen die länglichen Kopflinien des einzelnen ’Zauns’ das Weite – gerade durch ihre oft diagonale Anlage in der Fläche, die entfernt an Perspektive erinnert. Aber sind das überhaupt Zäune? Bedeutungsschwanger weist die Gravität der aufgerissenen Gräben aller Richtungen nach unten. Sind das nicht Pflüge oder vergiftete Kämme? Oder Rechenpäckchen, die Zahl fünf symbolisierend? Jedenfalls würden diese Zäune nicht funktionieren: sie sind an jeder möglichen Ecke eines möglichen Territoriums offen. Trotz der Diagonalen markieren diese abstrakten Zeichen für ’Möbel’ und ‚Raum’ (eine Linie mit vier Füßen oder vier symbolischen Ecken) keine Perspektive im Raum. Eher bilden sie Barrikaden eines unübersichtlichen Labyrinthes, in welchem der Betrachter sich unversehens befindet, weil alle Gebilde gleich aussehen, keines entscheidend größer als das andere ist, keine Perspektive, keine ’Verjüngung’, keine ’Flucht’ gewährt wird. Unsere gestaltpsychologische Neigung, immer wieder einen Raum in diesem Bild sehen zu wollen, ist uns das wahre Labyrinth, das uns gehen heißt beim Sehen. – Aber natürlich ist es der Zeichner, der uns verführerisch zuwinkt, uns auffordert zu diesen Raumfantasien. Was für Raum aber sollte es sein, da es nicht der euklidische ist? Ich vermute, es ist der dem Medium der flachen Sichtbarkeit gegenüberstehende und deshalb ’entsprechende’ von Innen und Außen.

2. Löcher
Besonders rätselhaft sind auch die Löcherbilder. Wenn das Passepartout eine gewisse Proportion zu den drei Gebilden bietet, können wir eine kurze Weile vergrößerte Steckdosen vermuten, wobei der Rahmen dann aber zu einem reliefartigen Teil der Bilddarstellung wird, die andererseits nur durch negative Aussparungen definiert scheint: Löcher. Materielle Erhabenheit und dargestellte Tiefe und sonst nichts. – Aber das sind keine vertrauten Lochdarstellungen. Löcher haben Ränder, sichtbar an der Scheidelinie von Licht und Schatten. Genauer: nicht die Löcher ’haben’ die Ränder, sondern das Feste drum herum. Hier aber bestehen ’Löcher’ aus ihrem Inhalt, aus Kohle-Staub. Natürlich ist ’Inhalt’ eine Fiktion, denn die Darstellungen sind eine Auflage des Kohlenstiftes auf dem Karton. Was da im Übergang von Dunkel zu Hell geschieht, gleicht der bevorstehenden Ausbreitung einer ’Dunkel-Sonne’ in die noch undurchdrungene Fülle eines hellen Dunstes. – Die ’Sonne’ ist übertrieben? Dann betreibt hier eben schwarzer Schimmelpilz sein böses Werk der Infektion des Lichtes. Der Rand lebt! – In seinen, auf seinen Löcherbildern ist aber ein Loch nie allein: Immer bezieht es sich durch den gleichen Abstand auf die Nachbarn seiner Behausung. Durch diese Zumessung ist jedes Loch dann doch über eine unsichtbare Fläche fremdbestimmt, ’definiert’. Was ist das für ein befremdliches Gegenüber?
Die Weltgeschichte der Kunst liebt die Drei-Zahl: Drei Bäume, drei Grazien, drei Gekreuzigte, drei Wände eines Interieurs. Die Dreizahl simuliert oder symbolisiert Raum und Volumen. (Ein dritter Punkt ermöglicht erst Gegenüber.) – Aber hier haben wir eine beunruhigend weite Drei-Ansicht in der Fläche, auf einer Angriffslinie. Sehen uns diese Löcher an? So sieht doch kein Gesicht aus! Nun, es ist H.M. Priesnitz – wenn auch ’verquer’: Des Zeichners Spiegelblick wird aufgeklappt zum doppelten Augenspiegel, Augenspiel: Der Abstand zwischen dem zentralen großen Loch und den Seitenlöchern ist jeweils derjenige zwischen seinen Pupillen. Die Spiegelachse ist die mittlere Pupille. Natürlich könnte man auch einfacher annehmen, der Zeichner habe einen Abdruck, eine Spur, seines Augenpaars ans Blatt gegeben, dann habe er sich vom Blatt gelöst und noch einmal seinen Augenabstand auf das Papier gebannt, und zwar so, dass die neue linke Pupille auf seine bereits abgegebene rechte trifft, wodurch diese Vereinigung von rechts und links sich vergrößert hätte. Aber auch dieser Akt setzte das ’Zurückblicken’ des je ersten Abdrucks vom materiellen Medium voraus, das den Abstand fixiert und die Simulation einer sich überlappenden Verdoppelung ermöglicht. Das Papier und das Graue zusammen ermöglichen die Oszillation zwischen Loch und Spiegel eine abgründige Reflexion.
Löcher werden übrigens nicht weiter, wenn man sie übereinander legt – wohl aber jene hier repräsentierten menschlichen Abgründe alles Sichtbaren, die wir Pupillen nennen. In äußerer Dunkelheit erweitern sich diese Eingänge in die innere Nacht des Menschen. Alles Sichtbare, also auch die bloße Linie auf der Fläche ist ein Ereignis zwischen Innen und Außen. Die Kulmination solcher Ereignisse ist das Auftauchen der Sichtbarkeit aus dem Unsichtbaren, die Epiphanie. Sie aber ist immer eine Sache unserer leibhaftigen Anwesenheit.

3. Fünfeckige Möbel
Zuviel Geheimnis? Nun gut, nehmen wir uns einfache Darstellungen wie seine ’Möbel’ vor. Welch eine Demonstration von Volumen! Sie haben sogar eine Ecke mehr – und ein fünftes Bein! Wahrlich sehr mobil! Wer sich in diese unmöglichen Mobiles imaginär versenkt, dem schwindelt leicht auf pentagrammatischer Fahrt. Denn die Fünfzahl sprengt die quatre coins du monde – und die schiefen Winkel sprengen die Rechtwinkligkeit der Fläche. Ein Hintergrund, an den man sich zu klammern wünschte, ist hinter den hochgekippten Oberseiten der inkommoden Kommoden abgestürzt. Aber es gibt einen, wenn auch abgründigen, Grund; er ist vollständig ausschraffiert. Vor und auf ihm bilden die dominanten Fünfecke eine geradezu bekiffte weiße Fläche. Eben noch Segel über bleiernem Grund, sacken sie ab im nächsten Augenblick zu bedrohlichen, jedenfalls unkommensurablen Innenansichten dieser seltsamen Körper.
Zwischen (Ober-)Fläche und Innenraum-Ahnung flattert was. Aber unterhalb dieser kopflosen Wesen oder Vehikel streben fußlose Beine grundlos zur Tiefe. Tanzend, als ob sie ein Bein mehr hätten, was sage ich: drei! Spüren Sie die Spannung zwischen der weißen Flotte und den bis in die Spitze dunkelnden Beinen? Die Drift dieser Bilder entsteht aus der Verführung des Betrachters, Körper im Raum zu vermuten, Körper, die ein imaginäres Innen haben, wie der Betrachter selbst, und die sich im simulierten Raum befinden, den wir vergeblich suchen, weil wir Körper im Raum sind, weil wir Raum im Körper sind.

4. Boote
Solch eine Umwandlung unserer Orientierungsfahrt bewegt die ’Boote’ von 2007, die auf ihrem Grunde beginnen zu gleiten, sobald wir unsere Position in der Luft über ihnen bezogen haben. Dass wir nicht fallen, liegt am kreidigen Pastellgrund, der die gesamte Fläche ausfüllt. Die Boote, in den Umrissen von Surfbrettern oder Sepia-Skeletten, und die kreuzenden Ereignisse zwischen Linie und ganz langer schmaler Fläche sind reales Licht auf Papier: Priesnitz hat Boot und Band aus dem Kreide-Meer herausradiert. Sonst sind Gegenstände Licht-Barrieren, hier sind sie Löcher aus Licht. – Damit wir nicht durchfallen, hat der Zeichner starke, aber kurze Schatten an die Bootswände geworfen, wie von einer fast senkrechten Sonne, vielleicht aus unserer Position… Da sind wir aber erleichtert und schweben, halb eingesunken ins Wasser, wie das Boot, und dennoch drüber hin. Das Boot überquert die Ziellinie zur Fläche, wir haben uns wieder, stehend vor dem Bild…

5. Stilleben
Das Gleiten der Parameter ist auch in den Unstilleben mit Bechern und Näpfen zu erleben. Die Bewegung entsteht hier gerade durch die drohende Entropie der Kontraste. Auf einer Foto-Datei im PC mit 1,10MB sieht man nichts als ellipsoide Heiligenscheine. In Wahrheit sind das aus dem Pastellgrund ausradierte Gefäßränder, deren aus Bleistiftschatten gebildeter Korpus sich nur äußerst schwach vom Pastell abhebt. Eine bloße Anmutung von Raum hält fast nur dadurch sich, dass man ihr Verschwinden in der Tiefe ahnt. Ansonsten bleibt ein Gleißen, von dem man nicht weiß, ob es an zuviel oder zuwenig Licht liegt. Nach einiger Zeit der Blindheit: bebende Stille. Beulige Protuberanzen von Schatten beleben den Vordergrund. Das freiradierte Licht der Ellipsen, das nie perspektivisch korrekt ist, beginnt zu ragen, als eine aufgestellte Fläche, und die Hohl-Körper treten ins Verhältnis. Manchmal ziehen Kräfte von den Seiten das Bild nach außen – so auf dem mit den zwei kleinen Bechern innen und zwei großen Bechern außen. Überall Transit, wie von Geisterhand durchgewunken…

6. Haarnetze
Fast mit Händen greifbar ist die menschliche Anwesenheit in jenen atmenden Wesen, die Nesselquallen, Muscheln oder Muschis gleichen, aber jenen zarten Schutz, vornehmlich an Frauenköpfen, zum Vorbild haben, den wir schnöde ’Haarnetz’ nennen. Hat man in solchen Netzen nicht Aphrodite, die Lilofee oder Undine aus dem Wasser geschöpft? Die Schönheit gerät leicht in Kitschverdacht. Deshalb sei hier die rhythmische Harmonie zwischen Linie, Fläche und Raumeindruck hervorgehoben. Schon die ’Grundlinie’, die Kante des Haarnetzes spielt in ihrer schwarzen Breite mit der Fläche. Ihr Zickzack schneidet die Seiten auf und hält doch dialektisch linearen Kurs. Kaum glaublich, dass diese Unruhe zum Kreisähnlichen sich schließt. Und dann hat diese Bewegung auch noch einen Schatten aus Blei – also im Raum! – Das Netz selbst aus unendlichen feinen Linien, bildet eine Oberfläche aus Nichts, das sich unerfindlich unterschiedlich verdichtet von wolkig bis filzig, deren schwärzliche Lavierungen wie larvierte räumliche Tiefe wirken. Oder nicht doch eher wie körperliche Überlagerungen? Wir haben es hier nicht mit realistischen Abbildern zu tun, sondern mit Lebewesen, die oszillieren zwischen einer Innen- und einer Außenansicht. Ob das Netzwerk immer ’hinter’ der Zickzacklinie liegt, ist zum Beispiel nicht zu entscheiden. Diese durchsichtigen Gebilde stülpen sich ein und aus. Sie stellen die Interpenetration mit der Netzhaut der Betrachter dar. Ihre Grenze zum Amorphen erlaubt die Vorstellung des Undarstellbaren, des Erlebens von Innen und Außen.

Ob geritzt, radiert, schraffiert, aufgetragen oder ausgespart, ob in Blei, Kohle oder Pastell: die prima vista so verschiedenen Bilder atmen unter der Oberfläche der Zurückhaltung den Geist eines Werks. Es ist ein Spiel von Innen und Außen: das Auftauchen der Erscheinung. – Schaufasten? – Schaufeste!

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