Eine Rauminstallation in der Erlöserkirche Landshut
Eien raumfüllende Installation „up to the sky“ zeigt Silvia Schreiber auf Einladung von Pfarrer Dr. Flothow in der Landshuter Erlöserkirche.
Allein schon das Material ihrer Skulpturen, japanisches Papier, ist hierfür viel zu vergänglich und veränderlich.
Veränderung bestimmt auch deren Herstellungsprozess. Am Anfang stehen Fotografien einer Person; diese dienen dazu, eine Büste aus Ton zu formen. Die dabei entstehende Skulptur ist weniger eine naturgetreue, als vielmehr eine impressionistische, gefühlsmäßige Wiedergabe.
Danach erstellt die Künstlerin aus der Vorder- und Rückseite der Skulptur eine Negativform aus Gips. Sie geht hier also traditionell bildhauerisch vor, ohne jedoch nun Bronze in die Form zu gießen. Sie legt vielmehr kleine Stücke farbigen, japanischen Papiers hinein und verklebt diese. Nachdem die Form entfernt ist, entsteht so eine Abbildung eines Menschen, die wörtlich hauchdünn und federleicht ist.
Da sie auf einen Sockel verzichtet, muss die Künstlerin andere Strategien wählen, um die Skulpturen mit einer schützenden Aura zu versehen. Sie tut dies, indem sie sie in Beziehungs-Geflechte stellt – in einem erweiterten und in einem wörtlichen Sinne:
Keine Arbeit bleibt unabhängig vom Ort, von den Personen und Beziehungen, in denen und für die sie entsteht – im Gegenteil, all dies wird Teil der Skulptur. Und jede Arbeit steht in Beziehung zu allen anderen, greift Aspekte einer vorhergehenden auf und entwickelt sie weiter – ich möchte dies anhand zweier Arbeiten veranschaulichen, die der heutigen Installation vorausgingen:Ihre Installation „Hanami“, die sie 2004 in der Neuen Galerie zeigte, gehört für mich zum Berührendsten, was ich in meiner 25jährigen Arbeit mit aktueller Kunst erfahren durfte. Es handelte sich um ein Porträt des japanischen Galeristen Nobuo Yamagishi, der vor dreißig Jahren als erster begann, in Japan zeitgenössische Kunst zu zeigen. Die Installation bestand aus einer Büste des Galeristen aus zartem blauen Papier, flüchtig in den Raum gehängt auf einer transparenten Folienbahn. Drumherum stand ein minimales technisches Equipment für zwei Schallplattenspieler. Auf ihnen drehten sich unaufhörlich zwei Scheiben: auch dies Porträts, oder genauer: Abformungen der Originalplatten aus Kunstharz, die Lieblingsmusik des Galeristen: eine Aufnahme von Velvet Underground sowie ein japanisches Traditional. Dieses optische und akustische Geflecht aus wenigen Dingen genügte Silvia Schreiber, um daraus die Essenz dessen zu formulieren, was die fragile, geheimnisvolle und so überwältigende Schönheit einer menschlichen Existenz ausmacht.
Wenige Jahre später zeigte sie, ebenfalls in der Neuen Galerie, eine Büste aus weißem Papier, die deutlich ihre eigenen Züge trugen. Ein Porträt, fast leicht wie Luft. (Es wog ziemlich genau 30 Gramm – manche behaupten, dies sei genau das Gewicht, um das ein Mensch leichter wird, wenn die Seele im Augenblick des Todes den Körper verlässt). Dieses Porträt hing wortwörtlich an einem seidenen Faden: es wirkte wie ein Spiel, ein Mobile und war zugleich eine konzentrierte Meditation über die Gefährdung des Individuums. Auch dieses Proträt war umhüllt, doch war aus einer einfachen Plastikfolienbahn ein Jurte-artiges Gebilde aus weißlichem Kunststoff geworden; es erinnerte an Vorhänge, die man in Hospitälern und Lazaretten einzog, um Raum für einen Kranken zu schaffen. Auch in diesem Selbstporträt wirkte jener weiße Raum wie ein die Intimität schützender Vorhang. Er hatte jedoch Öffnungen in der abgerundete Form von Bildschirmen. Sie erlaubten Blicke von innen nach außen, wie bei einer Video-Überwachung. Andererseits gaben diese Öffnungen auch den Kopf im Inneren den Blicken von außen preis. In diesem steten Hin und Her der Blicke durch die transparente Schutzhülle entwickelte sich ein Gedankenspiel über Beschützheit und Gefährdung – nämlich von Beobachtung und Beschädigung – und damit ein Bild heutiger menschlicher Existenz.
Der Büste der Künstlerin gegenüber befand sich ein weiterer Raum aus schwarzer Baufolie, in dem eine Büste des damaligen amerikanischen Präsidenten ebenfalls an einem Faden pendelte. Die schwarze Folie trug eine Art Scherenschnitt-Struktur, welche aus der Übereinanderlagerung menschlicher Figuren entstanden war.
Anhand des baumelnden, vom Wind bewegten Porträts des irdischen Lenkers der Welt stellten sich Fragen nach der Machbarkeit von Geschichte und deren Grenzen – und nach der Fragilität aller Existenz.
Dabei sind Silvia Schreibers Figuren selbst zerbrechliche Hüllen um einen leeren Kern, um eine offene Frage als Essenz des Subjekts, und sie schließen immer auch gedanklich die umgebende architektonische Hülle mit ein.
Die Vorhänge, Planen, Umhüllungen, die sich wie ein weiterer Raum zwischen Körper und Architektur schieben, bilden eine trübe Projektionsfläche zwischen innen und außen, hier auch von unten nach oben, die den Betrachter als Teil des Kunstwerks mit einbeziehen. Sie bilden wacklige Angebote an seine tastende Wahrnehmung, bieten Klärung und verunklären zugleich, denn sie lassen das Licht, nicht aber den Blick durchdringen – außer an einigen wenigen Öffnungen. Und genau hier, sagt der japanische Kunstkritiker Shigeo Chiba über Silvia Schreibers Arbeiten, „erfährt die visuelle Wahrnehmung eine gewisse Leere. Das ist der Moment, in dem sich ihre Arbeit vollständig manifestiert.“
Und es ist der Moment, in dem sich ein unreduzierbarer, geheimnisvoller Rest offenbart, mit dem wir leben müssen..
Der amerikanische Dichter Mark Strand sagt: „Wir leben mit Geheimnissen, aber wir mögen das Gefühl nicht, dass wir es tun. Ich denke aber, wir sollten uns daran gewöhnen. Wir meinen, dass wir wissen müssen, was die Dinge bedeuten, um auf der Höhe von diesem oder jenem zu sein. Ich glaube aber nicht, dass es eine sehr menschliche Eigenschaft ist, dem Leben gegenüber so kompetent aufzutreten. Diese Haltung hat jedenfalls nur sehr wenig mit Poesie zu tun.“
Silvia Schreibers Werke dafür aber umso mehr.
F. S.