Stefan Heide

Kartographie des Erinnerns – Malerei

STEFAN HEIDE

Kartographie des Erinnerns
StadtBilderEröffnung: Freitag, 27. November 2009, 20:00 Uhr
Einführung: Johann Haslauer28. November – 20. Dezember 2009
do – so 14:00 – 17:00 UhrFür die Ausstellung sind neue Bilder aus Landshut enstanden,
die zeitgleich in der Sparkasse Altstadt gezeigt werden.

Kartographie des Erinnerns
StadtBilder

Städte sind Teil eines längeren Projekts, das 2001 mit Budapest begann und mit Berlin, Lissabon, Shanghai und Rom fortgeführt wurde.

Für diese Ausstellung kam eine kleine Serie mit Bildern der Stadt Landshut hinzu.

Im Focus steht die Architektur der Stadt, die von Menschen geformt und geprägt wurde. Stefan Heide sieht in den Gebäuden Erinnerungsspeicher.
Die alten Strukturen, klassizistische Bauten, verwaiste Areale – sie alle erzählen Geschichten von vergangenen Zeiten, von gelebten Schicksalen und vom Wandel der Zeit.

Eine Stadt ist einem Menschen nicht unähnlich. Sie entsteht, sie wächst, sie bildet eine Persönlichkeit heraus und sie altert und verfällt irgendwann.
Unsere Vorstellung von „Stadt “ ist, nach Stefan Heide, ein Konglomerat unterschiedlicher Aspekte. Sie ist ein Organismus mit einem charakteristischen Gesicht, mit einer eigenen Dynamik und Persönlichkeit. Städte wecken in Menschen Gefühle, Erwartungen, Träume.

Stefan Heide versteht sein Werk nicht als topographisches Stadtporträt, sondern als Projektionsfläche menschlicher Befindlichkeit und Seinszustände: Vertrautheit, Nähe und Distanz, Melancholie, Einsamkeit, Vergänglichkeit.
In der Ausstellung werden neben Bildern der Städte Lissabon, Rom, Shanghai und Landshut auch eine Serie von Menschen in der Stadt zu sehen sein. Menschengruppen, auf die in den Architekturbildern bewusst verzichtet wurde und deren Abwesenheit gerade die Frage nach deren Präsenz stellt.


weitere Arbeiten von Stefan Heide

http://www.stefan-heide.de/arbeiten/werke.htm

 

Landshut

Parallel zur Ausstellung in der Neuen Galerie zeigt Stefan Heide in den Räumen der Sparkasse Altstadt neue Bilder aus Landshut.
(geöffnet zu den üblichen Geschäftszeiten)
Vom Bild der Stadt
Einführung von Johann Haslauer
Zur Ausstellung Stefan Heides
am 27.11.09 in der Neuen Galerie Landshut

Umherschweifend, immer mit Blick auf diese Bilder will ich mich der Thematik „Bild der Stadt“ nähern, der Weise der Aneignung von Städten folgend, die Stefan Heide bei seiner Arbeit anlegt. Nicht systematisch, mit der Absicht, alles in den Blick zu bekommen, was für das Bild der Stadt relevant ist, sondern intuitiv, absichtslos, mich treiben lassend, von einem Aspekt zum anderen flanierend.1

Beim Rundblick merken wir schnell: dies sind Ausschnitte von Städten, von Rom, und Shanghai, Serien von Detailansichten, dazu Zitate aus solchen Serien von Lissabon (im oberen Stock) und nun auch von Landshut (hier unten ein Wandaus-schnitt von einem Haus in der Kirchgasse), keine Gesamtansichten, Veduten, wie das in der Fachsprache heißt, vielmehr charakteristische Details, flüchtige Wahr-nehmungen, schnelle Schnitte, die wir dann zu unserem Film zusammensetzen, zusammen mit den Bildern, die wir bereits von den gezeigten Städten gespeichert haben.

Ein Bild der Stadt entsteht immer erst im Auge des Betrachters. Der amerikanische Städteplaner und Architekt Kevin Lynch hat dies in seinem als Klassiker zum Thema geltenden „The Image of the City“ von 1960 wegweisend herausgearbeitet.2 Das Bild, das sich der Einwohner, der Besucher, der Experte des Städtebaus macht je
nach seiner Interessenslage, seiner mehr oder weniger geschulten Wahrnehmung. Es geht bei Kevin Lynch um die Orientierung des Individuums in seiner Umwelt, um die Lesbarkeit einer Stadt, um die Vorstellung der Stadt als Ganzes in der Wahrneh-mung und um Gemeinsamkeiten bei dieser Wahrnehmung. Was bedeutet die sicht-bare Gestalt der Stadt den Bewohnern? Das Stadtbild, wie es ihnen als inneres Bild erscheint, aber auch, wie es tatsächliche veränderbar ist. In Landshut wird dies derzeit für sehr sensible Bereiche diskutiert: die Altstadtgestaltung (ich erinnere an das bevorstehende Mediationsverfahren dazu), die Neuplanung an der alten JVA (ich erinnere an die Diskussionsveranstaltung des Vereins Architektur und Kunst vom Mittwoch), aber auch die Beplanung am Kaserneneck.

Doch hier in unserer Ausstellung haben wir es mit Bildern als körperliche Träger visuell verarbeiteter Inhalte zu tun. Erhellend mag dazu ein historischer Rückblick sein3: Die Stadt war in der Malerei bis weit ins 15. Jh. hinein kein eigener Bildge-genstand. Wir kennen vereinzelte Stadtdarstellungen aus dem mittelalterlichen Italien. Publikum war bei den ersten Ansätzen meist der Hof, zunächst auch Auf-traggeber der Darstellungen, die für repräsentative Zwecke hergestellt wurden. Daneben fanden symbolisierte Stadtdarstellungen auf Siegeln und Münzen eine größere Verbreitung, auf denen oft auch der Stadtpatron, der Stadtheilige und Repräsentant der Stadt abgebildet war4. Was das innere Bild der Bewohner von ihrer Stadt zum Ausdruck brachte. Mit der Renaissance und der Erfindung der neuen Drucktechniken wie auch der raschen Ausbreitung des Buchdrucks begann sich in ganz Europa ein Markt für Stadtdarstellungen in Form von Stichen zu entwickeln. Zentrales Medium waren in der frühen Neuzeit die sog. „Städtebücher“, die dazu beitrugen, dass sich Städteansichten zunehmender Beliebtheit erfreuten. Als Stich-worte für Darstellungen Landshuts mögen die Namen Heofnagel (bei Braun/Hogen-berg 1572) und Fischer (bei Merian 1644) genügen, die das traditionelle Bild dieser Stadt maßgeblich geprägt haben. Franz Niehoff hat hierzu mit einer Ausstellung der Städt. Museen 2001 eine umfassende Dokumentation erstellt, die aber nur bis Franz Högner reicht und mit dem 2. Weltkrieg endet5. Hier nun anzuknüpfen wäre ein lohnendes Unterfangen.

Doch schnell zurück zum Beginn der Neuzeit: Abnehmer waren in erster Linie Ver-treter der städtischen Oberschicht. Als mit der Darstellung von Städten verbundene Absicht kam dabei auch die der Orientierungshilfe hinzu; so griffen neben den Handelsleuten auch die Kriegsherren jener Zeit gerne auf die angebotenen Stadt-übersichten zurück. In der Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts wurden Stadtan-sichten zum beliebten Motiv der Genremalerei, Abteilung Landschaftsmalerei, – wegweisend für mich Vermeers Ansicht von Delft von 1660, und – noch ein großer Sprung – als mit der Industrialisierung die Fotografie als Medium auf den Plan trat, war dies der Beginn der großen Flut an Städtebildern im 20.Jh. und der wir nun aus-gesetzt sind. Nicht umsonst ist heute die Rede von einem Jahrhundert der Städte, in dem sich das Schicksal des Planeten im Überleben der Städte erweisen wird.

Was in den historischen Städtebildern gezeigt wurde, waren Inszenierungen,
nicht die Wirklichkeit. Es wurde ein Image präsentiert, der eigenen Bevölkerung wie auch nach außen, fortgeführt in den heutigen Marketingbestrebungen der Städte, die bei den meisten ein gewisses Unbehagen hinterlassen, ein – wie es auf der diesjäh-rigen Jahrestagung der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung zum Thema „Bilder der Stadt“ im Oktober in Bremen hieß, und ich zitiere aus dem Flyer-Text: „Unbehagen gegenüber einer aus politischen wie ökonomisierten Interes-sen als Marketinginstrument eingesetzten Bildproduktion über Stadt“, also die „emblemhafte Verkürzung städtischer Vielfalt und das Einfrieren des permanenten Wandels auf mediengerechte Botschaften, auf werbende Zeichen im Konkurrenz-kampf der Städte und Regionen“.6

Eine Kollektive Spiegelung des Wir, ein Inneres Bild der Bewohner, die Corporate Identity, wie sie über solchermaßen verbreitete Bilder eingerichtet und verbreitet wird, – das zu zeigen ist nicht die Absicht Stefan Heides, wie er wohl in der Summe jeweils Portraits dieser Städte zeigt. Städte werden bei der Frage ihrer Identität immer wieder mit Personen verglichen: eine Stadt wächst, bildet eine Persönlichkeit aus, altert, verfällt. Ein Vedutenmotiv wäre also ihr „Gesicht“, das Bild/die Bilderserie das „Portrait“ einer Stadt. Das menschliche Portrait taucht hier in dieser Ausstellung wie als Fingerzeig auf. Wie ist es um das Gesicht von Rom oder Shanghai, oder auch Landshut (wenn wir in die Sparkasse gehen) bestellt? Wir sehen Fassaden, Außenseiten, gerne mit Patina, denn im Verfall von Gebäuden lässt sich auch die Zeit ablesen, der Entwicklungsprozeß, der die Kontinuität dieser kollektiven Identität erst herstellt – in der Soziologie wird das ganz aktuell als „Eigenlogik der Städte“ entdeckt.7

Doch das sind nur Krücken für die Wahrnehmung. Die Vorstellung einer Art persona-ler Identität, die man in einem Portrait darstellen möchte, nur eine Projektion, weil die personale Identität nach unserem menschlichen Bilde die einzige Vorstellung von integrierter und integrierender Ganzheit eines komplexen Gebildes ist, über die wir verfügen. Die menschlichen Portraits also hierzu Erinnerungen, Fragezeichen.
Eine Stadt als – durch die darin stattfindende Kommunikation – vernunftbegabter Organismus, in permanenter (auch ökologischer) Transformation, ein System, das sich als Ganzheit begreift, in dem sich seine Einwohner /Elemente bestmöglich entfalten können, die im Gegenzug „der Stadt Bestes suchen“, – das wäre wohl eine erstrebenswerte Utopie. Aus diesem Blick gibt es für mich kaum etwas Aufregende-res als Portraits von Städten.

Stefan Heide hat mir von einem Traum erzählt, einem immer wiederkehrenden Traum, in dem er sich in einer Situation des Ausgesetztseins findet. Die Stadt als Sozialraum, die Stadt als Gemeinschaft kommt darin nicht vor. Für Landshut könnte die Martinskirche vielleicht Symbol dafür sein, so wie das auf der Einladungskarte gezeigte Linbrunner- oder Bürger-Portal von St. Martin Zugang ist zu diesem gemeinsamen Innenraum, der die Bewohner der mittelalterlichen Stadt noch alle fassen konnte und mit dem Innen allen Seins, einer allen gemeinsamen Transzendenz verband.
Anmerkungen

1 Gemäß der Methode der Stadterkundung, die in den 50er Jahren die Situationisten entwickelten

 

2 Kevin Lynch, The Image of the City. MIT Press & Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1969. Dt.: Das Bild der Stadt. Bauwelt Fundamente 16, Friedrich Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft Braunschweig 1965

 

3 Einen guten Überblick gibt Wolfgang Behringer und Bernd Roeck (Hrsg.), Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400-1800. Verlag C.H.Beck, München 1999

 

4 Vgl. Jörg Oberste (Hrsg.), Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt. Forum Mittelalter Studien Bd. 4, Schnell + Steiner, Regensburg 2008

 

5 Franz Niehoff (Hrsg.), Landshut ins Bild gesetzt. Karten und Ansichten vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 19, Hrsg. v. Franz Niehoff, Landshut 2001

 

6 vgl. www.dasl.de/wordpress/wp-content/uploads/DASL-JT2009%Bremen.pdf

 

7 Martina Löw, Soziologie der Städte. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008
siehe auch:

http://www.musicandmeaning.net/issues/showArticle.php?artID=6.6


Johann Haslauer (b.1950) is a journalist and conceptionalist who works in press distribution and on the curating staff of Neue Galerie Landshut for Contemporary Art, Landshut, Germany. He has a background in philosophy, philosophical anthropology and Zeitungswissenschaften/communication science at the University of Munich. From 1977-87 Haslauer was engaged in local journalism and various newspaper projects as an editor and/or journalist. From 1986-1988 he participated in the Arcosanti workshop and in working periods at the experimental city-building project Arcosanti in the high desert of central Arizona, USA. 1989-1995 Haslauer was active in local political and cultural activities together with cultural groups and city council members in Landshut, focusing on cultural activities in the public sphere. One such project was the preservation of the old Landshut Slaughterhouse of cultural purposes. From 1995-2008 he was active within the contemporary art context provided by Neue Galerie Landshut. In 2004 he curated the StadtLAge2004 Project, https://www.ngla.de/index.php?stadtlage2004index&reason=0, for Neue Galerie Landshut and in 2006 Haslauser gave a presentation entitled “Cities are Individuals” at the Western Humanities Alliance Conference held in Calgary, Canada. He lives with his family in Landshut, Germany.
Facebook