Kategorie: Archiv

Nähe & Ferne I Dagmar Pachtner

Nähe und Ferne I. Dagmar Pachtner

Ausstellungsorte:
Museum im Kreuzgang Landshut:
1. August –4. Oktober 2009 | dienstags bis sonntags 10:00–17:00 Uhr

Neue Galerie Landshut im Gotischen Stadel auf der Mühleninsel:
1. August –6. September 2009 | donnerstags bis sonntags 14:00–17:00 Uhr

Vorankündigung:
Nähe und Ferne II – sechs japanische Gegenpositionen
Neue Galerie Landshut – Eröffnung zur Kunstnacht 11.09.2009

Ouverture

Motion
Das Interesse an den Grundlagen des Menschlichen, der menschlichen Identität, des menschlichen inneren Antriebs zur ständigen Weiterentwicklung, ständiger Bewegung … ist eines der Hauptthemen meiner künstlerischen Arbeit. In diesem thematischen Zusammenhang stehen die Arbeiten der beiden Ausstellungen in Kyoto, Motion und Overtures. Die Arbeiten sind während eines Aufenthaltstipendiums am Kyoto Art Center entwickelt und ausgeführt worden:
– eine Videoinstallation für das Kyoto Art Center
– Fotoarbeiten, die auf japanisches Papier gedruckt sind und eine großformatige Rauminstallation in der Galerie Artislong.

Bahnhöfe sind Schnittstellen der Gesellschaft und auch deshalb besonders interessant für dieses Projekt. Videoaufnahmen und Fotos sind am Bahnhof in Kyoto entstanden – am gleichen Ort, in der gleichen Situation. Sie zeigen den Bewegungsablauf der Menschenmenge aus ungewöhnlicher Perspektive – Vogelperspektive.

Für beide gilt: ein Moment im Fluss, im Lauf des Lebens, des Fortbewegens, des Antriebs, des Ziel vor Augen Habens – wird „herausgeschnitten“. Die durch Film und Bild erzeugte Distanz ermöglicht eine Art analytischen Blick auf Verhalten, Bewegungsabläufe, Bewegungsmuster.

Was bewegt den Menschen heute, wie geht die Entwicklung voran? Wie auch immer – es findet statt im Rahmen (all)täglicher Abläufe und Ereignisse.

DP. 2006

Net


Die Fotos für diese fünfteilige Arbeit wurden innerhalb kürzester Zeit – in derselben Minute – 2004 am Bahnhof Shinjuku, Tokyo, aufgenommen.

Die Arbeit befasst sich mit Distanz und Nähe zwischen Asien und Europa in
– Wahrnehmung
– Erkenntnis
– Kultur
– individuellen Besonderheiten

Ereignisse der Realität sind sichtbar und gleichzeitig doch verborgen. Es gibt eine Annäherung an die Situation hinter dem Vorhang. Der Vorhang bewegt sich. Die Distanz schaffende Überlagerung ist dünn, durchlässig und beweglich.

DP. 2006

Motion
Video-Installation


Motion
Das Interesse an den Grundlagen des Menschlichen, der menschlichen Identität, des menschlichen inneren Antriebs zur ständigen Weiterentwicklung, ständiger Bewegung … ist eines der Hauptthemen meiner künstlerischen Arbeit. In diesem thematischen Zusammenhang stehen die Arbeiten der beiden Ausstellungen in Kyoto, Motion und Overtures. Die Arbeiten sind während eines Aufenthaltstipendiums am Kyoto Art Center entwickelt und ausgeführt worden:
– eine Videoinstallation für das Kyoto Art Center
– Fotoarbeiten, die auf japanisches Papier gedruckt sind und eine großformatige Rauminstallation in der Galerie Artislong.

Bahnhöfe sind Schnittstellen der Gesellschaft und auch deshalb besonders interessant für dieses Projekt. Videoaufnahmen und Fotos sind am Bahnhof in Kyoto entstanden – am gleichen Ort, in der gleichen Situation. Sie zeigen den Bewegungsablauf der Menschenmenge aus ungewöhnlicher Perspektive – Vogelperspektive.

Für beide gilt: ein Moment im Fluss, im Lauf des Lebens, des Fortbewegens, des Antriebs, des Ziel vor Augen Habens – wird „herausgeschnitten“. Die durch Film und Bild erzeugte Distanz ermöglicht eine Art analytischen Blick auf Verhalten, Bewegungsabläufe, Bewegungsmuster.

Was bewegt den Menschen heute, wie geht die Entwicklung voran? Wie auch immer – es findet statt im Rahmen (all)täglicher Abläufe und Ereignisse.

DP. 2006

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Naehe & Ferne II

Etsuko Fuzuki, Tatsuya Higuchi, Keiko Koana, Aisuke Kondo, Yukara Shimizu, Maki Ueda

Eröffnung: Freitag, 11.September, 20:15 Uhr

11. September – 04. Oktober

donnerstags bis sonntags 14:00 bis 17:00 Uhr

Führung durch die Ausstellung am 27.09. und 04.10 um 16:00 Uhr.


Infos zur Kunstnacht

4. Landshuter Kunstnacht

Programm der 4. Landshuter Kunstnacht


Naehe & Ferne II

Japanische Künstler in der Neuen Galerie Landshut

Während im Museum im Kreuzgang Arbeiten der Landshuter Künstlerin Dagmar Pachtner im Mittelpunkt stehen, die bei mehreren Japan-Aufenthalten in Auseinandersetzung mit dieser so ambivalenten KUltur entstanden sind, zeigt die Neue Galerie mehrere japanische Künstler, welche die Gegenerfahrung zu diesen künstlerischen Auseinandersetzungen thematisieren. Es handelt sich dabei um internationale Künstler, welche nur oder erst seit kürzerer Zeit in Deutschland leben und ihre Sichtweise und Standpunkte in Auseinandersetzung mit der westlichen Kultur und ihren Phänomenen formulieren. Malerei und Skulptur, Installation, Fotografie und Film – alte und neue Medien finden dabei Verwendung.

Die Entstehung künstlerischer Arbeiten unter dem Eindruck anderer Kulturen hat eine lange Tradition – sei es in der Renaissance als Bildungsreise im Bezug zur europäischen Hochkultur oder Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Eindruck der Kolonialisierung als „Orientreise“ – und erfolgt heute doch unter gänzlich anderen gesellschaftlichen Vorzeichen:

Die weltweite Vernetzung und Wirkungsweise von gesellschaftlichen Prozessen hat auch die Kunstwelt verändert. So ist nun neben dem eurozentrischen Blick auch der Blick von außen auf unsere Kultur möglich geworden, was dem Publikum wiederum eine Reflexion mit den eigenen, auch vorgefassten Sichtweisen ermöglicht.

In Kooperation mit der Neuen Galerie Landshut zeigt das Kinoptikum während der Kunstnacht non stop den Film „Der Lauf der Dinge“ von Fischli/Weiss, eine wunderbare, verblüffende Meditation über Ursache und Wirkung – und ein erhellender Kommentar zur Ausstellung „Nähe und Ferne II“ in der Neuen Galerie Landshut.
Außerdem werden vom Kinoptikum im Laufe der Ausstellung zwei Filme gezeigt, die sich ebenfall, aus zwei verschiedneen Perspektiven, mit den Erfahungen von Nähe und Ferne zwischen Japan und Deutschland befassen:
Von 14. – 16. September, jeweils 21.00 Uhr: „DER ROTE PUNKT“ http://www.derrotepunkt-derfilm.de
sowie vom 04. – 05. Oktober, jeweils 21:00 Uhr: „88-PILGERN AUF JAPANISCH“ http://www.88-pilgern-auf-japanisch.de
Am 04. Oktober zeigt das Kinoptikum um 20:00 Uhr nochmals „Der Lauf der Dinge“ von Fischli & Weiss

Die Ausstellung wird gefördert vom Kulturfonds Bayern

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Tina Haase & Angelika Hoegerl

Tina Haase & Angelika Hoegerl
AUSSTEUER – Von Doppelmuff und Delfter Gefühl

Eröffnung:
Freitag, den 16. Oktober 2009,
20:00 Uhr

17. Oktober bis 08. November 2009
Donnerstag bis Sonntag
14:00 – 17:00 Uhr

Nicht nur das Material der beiden Künstlerinnen schuldet den Titel Aussteuer.
Gemeint sind die Dinge, die uns „mitgegeben“ wurden, im materiellen, wie im übertragenen Sinn.

Grubentücher, Damast, Porzellan, Faden, Stickereien oder Häckelware – all diese gutgemeinten Gaben, die uns in wertbeständiges Denken, Spar- und Achtsamkeit wünschten und traditionell wie emotional anzubinden vorhatten, führen nun in völlig anderem Kontext neue, ungeahnte Kunststücke vor. Diese alte Mitgift wird konterkariert durch neue abstrakte Formen, neue Verbindlichkeiten, verbindliche Fragen und ästhetische Antworten.

Angelika Hoegerl


Bei Angelika Hoegerl, die durch mehrere Ausstellungen in Landshut bekannt ist, sind es Anklänge an banale räumliche Fragmente, aber auch an moderne Architekturen, die in Ihren Wandobjekten mitschwingen. Kleinkariertes aus dem Genre Haushalt, Baumarkt und Deko, wie z.B. Fensterleder, Karostoffe, Tapeten, Gummimatten, Grubentücher, Wärmflaschen etc… verwandelt sie in eigenständige Objekte, die über ihr Aufgeräumtsein hinaus eine verbindliche, geometrische, klare Formen-Schönheit entfalten. Im Spiel mit Form und Oberfläche verkehrt sich manchmal Häusliches mit Öffentlichem, Privates mit Architektonischem.

Tina Haase

Überformte Relikte des Wohlerzogenen bilden auch in den Arbeiten der in Köln und München lebenden Bildhauerin Tina Haase eine Rolle. Die Serie „Delfter Gefühl“ verinnerlicht den Spagat zwischen der skulpturalen Bedeutsamkeit von BH-Körbchen und einem blauem, vielleicht holländischen Dekor. Sie enttarnt die Erwartungslastigkeit der Dinge und verwandelt Sie in neue, leichte, selbstverständliche und humorvolle Selbstbehauptungen. Tina Haase lehrt in der Nachfolge von Rainer Wittenborn Freie Kunst an der TU in München am Lehrstuhl für Bildnerisches Gestalten der Fakultät für Architektur.
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Obsession

Bilder aus der Ausstellung


Obsession

Sven Drühl, Loek Grootjans, Christoph Kern, Hartmut Neumann, Nikolaus Steglich

Mit einem Highlight beginnt die Neue Galerie Landshut ihr Ausstellungsjahr.
Die Ausstellung „Obsession“, die am 25. Januar eröffnet wird, vereinigt Positionen von 5 bekannten Künstlern, die in ihrer Arbeit eine obsessive, mit intensiver Leidenschaft betriebene künstlerische Strategie verfolgen. Obwohl vier von ihnen ausgebildete Maler sind, kommen sie in ihren Werken allerdings zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen.

Die Ausstellung, die auf eine Idee von Wolfgang Ellenrieder zurückgeht und in enger Abstimmung und Kooperation mit ihm entstand, wird am Freitag, den 25. Januar im Gotischen Stadel auf der Mühelninsel mit einer Performance von Loek Grootjans eröffnet und dauert bis zum 17. Februar.

Eröffnung der Ausstellung: Freitag, 25. Januar 2008
Einführung: Wolfgang Ellenrieder und Franz Schneider
Dauer: 26. Januar bis 17. Februar
donnerstags bis sonntags, 14:00 bis 17:00 Uhr
Führungen an den Sonntagen 03. und 17. Februar, jeweils ab 15:00 Uhr

 

Obsession
Fünf künstlerische Strategien

Sven Drühl

Sven Drühl, Künstler und Kunstwissenschaftler, lehrte an Hochschulen in Essen und Dresden. Der in Berlin lebende Künstler spielt in seiner Malerei sowohl konzeptionell wie ironisch mit dem Gedanken der Nachahmung. Grundlage seiner eigenwilligen Gemälde sind Transformationen von „Klassikern“ der Kunstgeschichte: Landschaftsmalerei der Romantik oder der Moderne, zum Beispiel von Casper David Friedrich, von Ferdinand Hodler oder Claude Monet, aber auch Motive von zeitgenössischen Künstlerkollegen dienen ihm als Vorlage.

Allerdings kopiert Sven Drühl seine berühmten Vorbilder nicht, sondern er bildet sie mit heutigen Mitteln nach und schafft sie so quasi neu. Für die Umrisszeichnung verwendet er Silikonpaste; Ölfarben und glänzende Lacke lassen die Bilder in einem eigenen Licht erscheinen.

In seinen neuesten Arbeiten stellt Sven Drühl seine Motive aus unterschiedlichen Bildquellen zu den sogenannten „Bastard Landscapes“ zusammen. Vergleichbar mit einem DJ, der Musikstücke in einzelne Sequenzen zerlegt und remixt, wählt Sven Drühl einzelne Bildelemente wie Bäume, Felsen und Bergrücken aus vorhandenen Bildern, um daraus neue Landschaften zu formen. Wie selbstverständlich zerpflückt er dabei vorhandenes Bild-Material, benutzt es nach eigenem Ermessen und fasst es neu.

Loek Grootjans

Loek Grootjans ist in den Niederlanden nicht nur als Künstler, sondern auch als Philosoph bekannt. Er doziert an holländischen Universitäten über die Verbindung von Kunst und (aufgeklärter) Philosophie. Ursprünglich von der Malerei konmmend, hat er vor einigen Jahren bechlossen, die Malerei buchstäblich an den Nagel zu hängen. So hat er seine gesamten Bilder zerstört, gehäckselt und die Farbe recyclet, um daraus seine letzten, monochromen Bilder zu erstellen.

Seither ist er selbst Gegenstand und Medium seiner Kunst und verarbeitet seine existentiellen Erfahrungen in Installationen und Performances. So wurde eine Besteigung des Zuckerhütls in Österreich mit Kollegen Grundlage für die Arbeit Sugar-Mountain, in deren Mittelpunkt ein wortwörtliches philosophisches „Gipfelgespräch“ stand. Ein Monat in völliger Abgeschiedenheit und künstlicher Blindheit wurde zum Material der künstlerischen Auseinandersetzung genauso wie das beinahe obsessive Aufbewahren und Weiterverarbeiten der eigenen Hinterlassenschaften, des produzierten Hausstaubes ebenso wie der eigenen Körperaus- und -abscheidungen.

Eine Performance am Marktplatz von Breda, wo zu einem Bankett ein Video aus Splattermovie-Samples gezeigt wurde sorgte für ähnliche Furore wie eine Performance, wo er in Rom illegales Personal gegen Bezahlung die Galerieräume mit unbrauchbarem Gerät putzen ließ. Auch in Landshut wird er eine Performance zeigen, die Teil eines gegenwärtig im Entsehen begriffenen Gesamtwerkes sein wird.

 

Christoph Kern

Der Maler Christoph Kern lebt in Berlin und hat sich ganz dem Kubus als Gegenstand seiner Malerei verschrieben.
Schon früh faszinierte ihn der modulare Charakter des Lego-Spielzeuges.

In seiner bildnerischen Arbeit übernahmen auf ganz ähnliche Weise einfache geometrische Körper die Funktion eines modularen Bildbausteins. Zu Anfang der Entwicklung seines Bildsystem Bildbausatz benützte er als bildnerischen Auseinandersetzungsgegenstand einfache Holzbauklötze aus dem Spielzeugladen.

Später bei den Cubic Worlds begann er, die Vorlagen für seine Bilder mit
3D-Konstruktionsprogrammen zu konstruieren. Am Computer werden Animationen erzeugt, die festlegen, auf welche Art- und Weise sich die Bildkörper durch den Bildraum bewegen, und welchen Transformationen, wie Form-, Textur und Beleuchtungsveränderungen sie ausgesetzt sind.

Die auf diese Weise gewonnenen Bildkörper-Choreographien dienen als Anweisungen, wie sich die Bilder durch die Malebenen verändern und
sorgen für das notwendige Veränderungspotential in den zu malenden Bildern.

 

Hartmut Neumann

In erster und wichtigster Linie ist auch Hartmut Neumann Maler. Diese Entscheidung bestimmt auch sein Vorgehen im Bereich seiner Objekte, Skulpturen und fotografischen Arbeiten. Der Maler erzeugt Welten von phantastischer, fabulierender Dichte. Seine Arbeiten sind maßlos in einem doppelten Sinn: In ihnen spürt man den Anspruch, alles, restlos alles in Malerei zu verwandeln und dabei Maßstäblichkeit, Verhältnismäßigkeit und heutige malerische Konventionen komplett zu opfern.

In Hartmut Neumanns Bildern dampft es. Die Farben leuchten und lodern, als wollten sie die Wirklichkeit zum Verblassen bringen. Flora und Fauna – seine zwei großen Themen – wuchern schmatzend und saugend organisch ineinander und verschlingen dabei jeden Zentimeter freier Fläche.

Grundlage seiner fotografischen Arbeiten ist eine schier endlose Sammlung tierischer und pflanzlicher Präparate, Airport-Kitschskulpturen und Objekte der Alltagsästhetisierung. Diese stellt er zu immer neuen, üppigen Foto-Tableaus zusammen, die in ihrer visuellen und beinahe haptischen Anmutung changieren zwischen altniederländischem Stilleben und verstörender Fototapete.

Der 1954 geborene Künstler lebt in Köln und Braunschweig, wo er seit 1992 eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste inne hat.

 

Nikolaus Steglich

Nikolaus Steglich studierte an der Hochschule für Medienkunst in Köln, wo er heute lebt und arbeitet.

Für Steglich ist seine eigene Person, genauer: sein Körper, Material für seine Video-Arbeiten. Er zeigt in Landshut zwei Kurzfilme, „Platz da“ und „You’ll never walk alone“. In letzterem Video steht die Zunge als sinnliches Organ im Mittelpunkt, sowohl mit all ihren sexuellen Konnotationen, als auch in ihrer zum größten Teil dem Sprechen dienenden Funktion – in diesem Fall am Beispiel des Gesangs.

Die Zunge, die schon in den vorangegangenen Videos “Platz da” und “4.2 liter quattro” eine wichtige Rolle übernahm und als “pars pro toto” für den Körper stand, bestimmt durch den Spot und die Nahaufnahme das Bild dieses Videos. Wiederum setzt Steglich die Zunge als Sinnes- und als Sexualorgan ein. Das, was sie aufnimmt und darstellt wird von Elvis` Songs wiedergegeben.Sie überträgt, vermittelt, liebt und singt.

 

Bilder der Ausstellung

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Heike & Helmuth Hahn

ArchiDom


HEIKE UND HELMUTH HAHN
ARCHIDOM PROJEKT WUNSCHHAUS

Eröffnung: Freitag, 30. Mai 2008, 20:30 Uhr
Einführung: Johann Haslauer
31. Mai – 22. Juni 2008
do – so 15:00 – 18:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung
Sonntag,15. Juni und Sonntag, 22. Juni 2008, 15:00 Uhr

 

ARCHIDOM
Projekt Wunschhaus

Bildobjekte, Installationen und Skulpturen aus der Werkreihe ARCHIDOM

Johann Haslauer: Eröffnungsrede zu Heike und Helmuth Hahn

Archidom Projekt Wunschhaus

Ich möchte eine Bemerkung vorausschicken, die mein ganz persönliches Verhältnis zu dieser Ausstellung, zu diesen Arbeiten und zu diesem Thema betrifft. Es hat mit dem Fokus auf ein früheres Projekt der Neuen Galerie, „StadtLAge“ zu tun und mit dem gegenwärtig besonders präsenten Blick auf das Nikola-Viertel in unserer Stadt. StadtLAge war der Beitrag der NG zur 800-Jahr-Feier der Stadt vor vier Jahren, – eine naturgemäß unvollkommene Annäherung, denn das Phänomen Stadt ist zu komplex, um es durch eine Ausstellung zu erfassen, sei es auch mit den Medien der zeitgenössischen Kunst. Die vielen Fragmente ließen vielleicht aber ein Bild aufscheinen, das damals die sonst eher unterbelichtete Gegenwart und Zukunft der Stadt und des Städtischen betraf. Und so hätten die heute von Heike und Helmuth Hahn gezeigten Arbeiten sehr gut in unser damaliges Konzept gepaßt, das Blicke auf das gemeinsame Wohnen und den Prozeß Stadt eröffnete.

Aber das StadtLAge-Unternehmen geht weiter und wird als nächstes möglicher Weise in eine Auseinandersetzung mit dem Stadtteil Nikola münden. Hier ist ja einiges in Gang gekommen: ich möchte nur eine Auswahl an Ausstellungen und Veranstaltungen nennen, in deren Zusammenhang sich die heute eröffnete Ausstellung – obwohl zeitlich nicht daraufhin geplant – doch alles andere als zufällig erweist:

– Da stellt das Bauamt der Stadt im Rahmen der Architekturwoche 2008 die Geschichte und die Planungen um dieses Viertel in einer Ausstellung im Sparkassenfoyer am Bischof-Sailer-Platz dar.
– Da setzt sich eine Ausstellung der Galerie in Bewegung in einem ehemaligen Elektromarkt im Nikolaviertel unter dem Titel „inHäusern“ mit dem Thema „Wir-Konstruktionen“ auseinander.
– Da gibt es im Rahmen eines Stadtteilfestes am Bismarckplatz eine Fotoausstellung „Bilder von Nikola“, die eine Reflektion der Bewohner dieses Viertels anstoßen soll.
– Nicht zu vergessen auch die derzeitige, von Dr. Niehoff konzipierte Schau „seligenthal.de. Anders leben seit 1232“ mit dem utopisch empfundenen Klosterleben der Zisterzienserinnen von Seligenthal, mit die erste Besiedlung des Gebiets des heutigen Nikolaviertels, und nun

– Diese Ausstellung Archidom Projekt Wunschhaus bei uns in der Neuen Galerie mit Plastiken und Installationen unter dem Titel „Archidom“ zum Thema Wohn-Utopien

Wir sind also – ausgehend von der konkreten Situation und Aufgabenstellung in Architektur und Stadtplanung bzw. einer bestimmten geschichtlichen Entwicklung bei den anderen Veranstaltungen – noch ein Stück offener und damit grundsätzlicher: mit der Frage von Heike und Helmuth Hahn an einen Querschnitt von Personen aus der Region Nürnberg nach ihren Traum-häusern und -landschaften. Diesen Beschreibungen hat das Paar künst-lerische Gestalt gegeben. „Visionen wurden zu Kunst-Räumen, Wünsche und Sehnsüchte zu Objekten und Installationen, die in ihrer Vielfalt unter-schiedlichste Wohn- und Lebensentwürfe widerspiegeln“. So der Pressetext.

Wenn ich das Künstlerpaar zunächst biographisch vorstellen darf:
Heike und Helmuth Hahn wurden 1963 bzw. 1958 in Nürnberg bzw. in Winkelhaid bei Nürnberg geboren, waren zunächst als gelernte Schlosser im Baubereich tätig, bis sich 1994 durch einen Lehrauftrag für Helmuth Hahn an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg für beide die Möglichkeit ergab, sich noch mehr den eigentlichen Ambitionen hinzugeben. Durch die Beschäftigung im Bereich des Wohnungsbaus hatten sie begonnen, sich mit dem Thema künstlerisch auseinanderzusetzen und traten seither mit zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland hervor. Seit 2002 ist „Archidom“ ihr zentrales Projekt, das auch hier im oberen Raum vorgestellt wird.

Was sehen wir? Versuchsanordnungen mit Landschaftsfragmenten unter einem Glassturz, als würde hier die Herstellung autarker Atmosphären für die Besiedlung unwirtlicher Planeten erforscht.

Was noch? Mehrere Tableaus in unterschiedlichen Farbtönen, in deren Zentrum, gleichsam im Schmelzpunkt der Lichteinstrahlung, jeweils drei Häuser zusammenstehen, – Hinweis auf soziale Nähe, oder auch ähnlich disponierte mentale Temperaturen, sozioklimatische Milieus, könnte man annehmen, kurz vor der Verschmelzung.

Dann Schaukästen mit verschiedenen Landschaften mit den entsprechenden Längen- und Breitengrad-Angaben, das breite Spektrum traumhaft anmutender Naturlandschaften. Auf der anderen Seite Reklametafeln aus der Immobilienbranche mit den allseits bekannten Sprüchen: Your dream is our reality. Und als Abschluß am hinteren Ende eine geballte Ladung „Immobilien-poesie“, wie wir sie aus den Anzeigen der überregionalen Tageszeitungen kennen, hinterlegt mit den passenden Landschafts-Stereotypen.

Zum besseren Verständnis dieser Arbeiten ist es vielleicht hilfreich, den Werdegang des Projekts zu kennen: Bei dem als längerfristige Untersuchung angelegten Projekt ARCHIDOM (zusammengesetzt aus Archiv und Domizil) wurden seit 2002 ca. 750 Personen aus der Metropolenregion Nürnberg per Interview oder Fragebögen befragt, wie ihre persönlichen Wunschhäuser und Traumlandschaften aussehen könnten. Jeder erhält dabei fiktiv 5 Mio Euro zur Verwirklichung seiner Vorstellungen. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte querbeet durch alle Altersgruppen bzw. alle Berufssparten und Einkommensverhältnisse. Diese Ergebnisse nun in Bilder zu übersetzen und spielerisch zu verarbeiten, ist die zentrale Absicht des Künstlerpaars, das sowohl die Recherche zu den Datengrundlagen weiter vorantreibt, wie es auch das System des Spiels noch ausbaut und verfeinert. So ist nun seit 2006 die fiktive Vermarktung dieser Traumwelten hinzugekommen – die Arbeiten der „Immago Real Estates“ sind im unteren Stockwerk zu sehen, wo uns das biedere Modell Erika, die Soap City mit Versatzstücken aus städtischen Elementen, wo uns schematisierte Wünsche in weiteren Objekt-kästen begegnen und liebevoll gestaltete Modelllandschaften zur wilden Besiedlung angeboten werden. „Ihr Wunsch ist unsere Wirklichkeit“ wird eine Sprechblase der Illusionsmaschine Immobilienbranche ironisch zitiert.

So abgehoben verspielt und so fern von jedem Realismus solche Wünsche erscheinen, so elementar ist dieses Spielen und Träumen für das tatsächliche Planen und Bauen. Die moderne Stadtplanungstheorie hat längst das Potential dieser Elemente erkannt, im Konzept der „sozialen Stadt“ etwa gehört es in Form von Zukunftswerkstätten mit zu den Essentials.

Natürlich kann es nicht das grenzenlose „Mehr“ und „größer“ und „ausgefallener“ sein, dem ein nachhaltiges Planen und Bauen zugrunde liegt. Heidegger hat in einer vielbeachteten Rede von 1951 das Sein als durch das Wohnen bestimmt dargestellt. „Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen.“ Wie wir uns im räumlichen Gefüge zwischen Himmel und Erde einrichten. Und dabei das Wohnen auch als Schonen begreifen, mit dem es eine gemeinsame Sprachwurzel hat, und das Sein als Mit-Sein. Doch wenn Fragen gestellt werden wie die genannten nach der Wunschwelt, in der die Befragten leben möchten, dann klingt eine alles andere als schonende Variante des Seins durch, eine, die eher die Reklamephantasien der Warenwelt spiegelt. Insofern ist die Kunst von Heike und Helmuth Hahn in ihrer Wirklichkeitsanalyse wieder sehr der Wahrheit verpflichtet. Aber es scheinen auch menschliche Grundbedürfnisse durch: nach Natur, nach Ruhe und nach individueller Entfaltung, – neben dem potentiellen Zugriff auf das soziale Umfeld. Dasein ist Mitsein, am liebsten natürlich durch einen U-Bahn-Anschluß im Keller.

Ich wünsche noch viel Spaß bei den eigenen Andockversuchen an die gezeigten Wunschwelten, viele Impulse aus den Arbeiten von Heike und Helmuth Hahn und gute Gespräche. Wir haben dafür zusammen mit dem Kunstverein in der Osteria das Bistro reserviert.

Die Werke des Projektes ARCHIDOM werden im Rahmen der Kunsträume Bayern 2008 im Juni bei containArt Fürth zu sehen sein, von Juli bis September in der Städtischen Galerie Traunstein, im Sommer im Forum Kunst und Architektur Essen und im Herbst in der Städtischen Galerie Ditzingen.

Landshuter Gespräche
Burkard Bluemlein

BURKARD BLÜMLEIN

Landshuter Gespräche

Objekte und Installation

Eröffnung: Freitag, 25. April 2008, 20:00 Uhr

26. April – 18. Mai 2008
do – so 15:00 – 18:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung
Sonntag, 04. Mai und Sonntag, 18. Mai 2008, 15:00 Uhr

mit freundlicher Unterstützung von
Maria und Rolf Haucke, Landshut,
der Stadt Landshut und der Sparkasse Landshut

Burkard Blümlein


Burkard Blümlein wurde 1960 in Würzburg geboren.
Er lebt in Paris und München.
Er hat eine Professur an der Villa Arson, Ecole Nationale Supérieure in Nizza.
Von 2002 bis 2007 war er Professor an der Ecole Européenne Supérieure de l’Image, Angoulème.

Betrachtet man die zentrale Bodenarbeit im unteren Stock mit dem Titel „Landshuter Gespräche“, so denkt man, wir würden den Nachverkauf des großen Landshuter Flohmarkts vom letzten Wochenende veranstalten. Nicht nur der Titel, auch die Fülle der ausgebreiteten Dinge und Objekte, ihre recht chaotisch wirkende, willkürliche Anordnung auf einer Plastikfolie könnten darauf hindeuten.
Schnell hat der geübte Flohmarktbesucher ausgemacht, worum es sich handelt: Schädel, Schlüssel, Strandgut, mechanische und elektronische Geräte, Touristenkitsch, Nippes und Ramsch aus asiatischen Billigläden, möglicherweise auch von IKEA.
Allerdings irritiert die Anordnung der Plastikfolie und die Wahrnehmung, dass sich in unseren Augen billiger Ramsch mit kleinen Kostbarkeiten, seltsamen zweckfreien Gegenständen und – bei noch genauerem Hinsehen – mit künstlerisch bearbeiteten Objekten mischen.
Wir versuchen, eine Logik, eine Struktur in diesem scheinbaren Durcheinander zu finden, ein Prinzip, nach denen diese Objekte aufgereiht, angeordnet sind – doch wir werden nicht fündig. Mit unseren gewohnten Kategorien und Taxonomien kommen wir nicht weiter.
Möglicherweise sind wir schon versucht, uns abzuwenden, es als nette, farbenfrohe Spielerei abzutun, die uns an die Kinderzimmer zu Hause erinnert, doch dann interessiert uns ein Gegenstand etwas näher, zum Beispiel der Schädel eines Vogels, der neben einem perforierten Straußenei liegt – es könnte also der Schädel dieses Vogels sein. Daneben liegt ein schwarzer kleiner Schädel, möglicherweise eines Affen, aber nun fasziniert uns eher diese Antonomie von Schwarz und Weiß, und wir bemerken, dass diese Gegensatzpaare immer wieder zu finden sind.
Wir finden Reihungen, etwa Perlenschnüre und Rosenkränze, Spagatknäuel oder eine seltsam geflochtene Plastikschnur. Diese besteht aus simplen farbigen Plastiktüten, wie man sie auf Märkten zum Verstauen der gekauften Waren bekommt. Diese wiederum korrespondiert mit einem Stapel von ebenso starkfarbigen Plastiktellern, deren Material und Anordnung ebenfalls in einem an einen Ritualstock erinnernden durchsichtigen Objekt zu finden ist, welches sich als eine Sammlung ineinandergeschichteter Einwegsektgläser entpuppt. Deren matt opake Oberfläche findet sich auch wieder in einem Objekt, das aus zusammengeklebten Spegelscherben besteht, welches einen formgleichen, aber spiegelbildlichen Naturschwamm neben sich stehen hat.
Der Blick könnte sich nun von da zu den bunten Plastikschwämmen in seiner Nähe hangeln, aber er bleibt an anderen Spiegelungen hängen, etwa der Murmel auf dem Rasierspiegel oder den beiden Flaschen, die sich Hals an Hals spiegeln und damit wiederum Analogien zu den Spielkarten unter der Plastikfolie bilden lassen, deren Motive ebenfalls spiegelbildlich angeordnet sind.
Während der ganzen Zeit ist unser Geist dabei, zu interpretieren, Analogien zu bilden, zu assoziieren und in immer neuen, sich verändernden Wahrnehmungs- und Gedankensprüngen über das Feld zu mäandern – sich gleichsam in einem wilden Denken zu ergehen, das sich so völlig von dem analysierenden Herangehen der modernen Wissenschaft unterscheidet. Claude Lévi-Strauss, der berühmte Ethnologe, hat dieses Denken als konkrete Logik der Premieres Cultures beschrieben – also der ersten, und nicht, wie wir sie bezeichnen, der primitiven Kulturen.
Dieses wilde Denken vereint sowohl intellektuelle Elemente als auch solche der Anmutung oder des Gefühls, während unser heutiges Wissenschaftsverständnis das Ziel größtmöglicher Objektivität und Abstraktion verfolgt, emotionale Beteiligung aber ausschließt.
Dabei liegt der konkreten Logik durchaus ein ebenso großer Erkenntnisdrang zu Grunde und erschließt sich nur durch die genaueste Identifizierung ihrer Bestandteile. Denn sie beruht auf der Vielgestaltigkeit der Beziehungen zwischen den Elementen.
So besteht bei den Luapula eine Beziehung zwischen dem Leopardenclan und dem Ziegenclan, weil ein Tier das andere frisst; zwischen dem Elefantenclan und dem Tonerdenclan aber, weil ehemals die Frauen, statt Behälter zu formen, Abdrücke von Elefantenfüßen aus dem Boden herauslösten und diese natürlichen Formen anstelle von Behältern verwendeten.
Wildes Denken beruht also durchaus auf einer Logik, wenn auch nicht auf der bei uns herrschenden – und es ist weder kultur- noch entwicklungsgeschichtlich überholt. So erinnert mich dieses Basislager eines Sammlers einerseits an das Kinderzimmer meines Sohnes – allerdings: wenn ich sage: „Dein Zimmer sieht aus, als hätte eine Bombe darin eingeschlagen“, so habe ich nicht genau hingeschaut: In Wirklichkeit beinhaltet nämlich dessen Kinderzimmer selbst in den chaotischsten Zuständen eine komplexe Ordnung, eine konkrete Logik, die in ihren einzelnen Analogien und Assoziationen genauso nachvollziehbar ist wie diese Arbeit von Burkard Bluemlein. Zum anderen ist auch kulturgeschichtlich dieses konkrete Denken noch zur Zeit der Renaissance das beherrschende gewesen:
Es war von Ähnlichkeiten und Verwandtschaften unter den Dingen gekennzeichnet, und wenier von Fragen von Identität bzw. Unterschiedlichkeit.
Kunst- und Wunderkammern als Vorläufer unserer Museen verdeutlichen dieses Denken: sie vergegenwärtigten anhand ausgewählter Beispiele ein Abbild der großen Welt. In dem kürzlichen erschienenen und sehr empfehlenswerten Katalog zur Kunst- und Wunderkammer wird dies wunderbar beschrieben: „Kunst und Wunder waren die beiden Schlüsselbegriffe, und diese bezogen sich sowohl auf von Menschen geschaffene Dinge (sogenannte Artificialia) als auch auf Objekte aus der Natur (Naturalia). So war ein mechanisch kompliziertes Eisenschloss „gar künstlich“, also höchst kunstvoll, und damit ebenso wie ein gemaltes Kunstwerk der Bewunderung wert und der Sammlung würdig. Dass ein Mensch aus einem Stück Elfenbein feinste ineinander gedrehte Kugeln drechseln konnte, war ein Wunder. Ein Wunder war aber auch der Baumschwamm, der einem Laib Brot berblüffend ähnlich sah.“
Hier finden wir also durchaus Elemente des „Wilden Denkens“ von Lévi-Strauss wieder, und Burkard Blümleins „Landshuter Gespräche“ üben wirklich eine Zwiesprache mit der Landshuter Kunst- und Wunderkammer und deren kokreten Logik. Wir finden in ihnen Naturalia und Artificialia, Scientifica und Exotica, und wer die Kunst- und Wunderkammer in Landshut kennt, wird wiederum Analogien und Assoziationen vielfältigster Art in den Landshuter Gesprächen finden:
Es gibt eine minutiöse Liste, in der Burkard Blümlein die Objekte seiner Installation auf die Objekte der Landshuter Sammlung bezieht. So finden sich die eben erwähnten kunstvollen Schlösser als tatsächlich entsprechende Artficialia, andere wiederum nur als Abbildung, etwa berühmte Werke der Kunstgeschichte. Es gibt die Exotica, in Form von perlmuttglänzenden Muscheln, aber auch als von Kindern im Sommerurlaub gesammelten Tand. Wir finden die Naturalia, etwa den Kugelfisch, der allerdings aus Zahnstochern nachgebildet ist, oder die menschenähnliche Alraunwurzel, wo der Künstler, ebenso wie beim schwarzen Totenschädel, mit Plastilin nachgeholfen hat.
Selbst zeitgenössische Scientifica sind in der Sammlung: Eine Nachbildung des Eisenmoleküls als Souvenir des Atomiums aus Brüssel, Computerfestplatten, oder auch ein schwarzes Telefon, dessen eingeschränkte und rätselhafte Funktionaliät schon wieder an einen totemistischen Ritualgegenstand denken lässt.
Einen solches finden wir auch in der Arbeit des Nagelfetisch im oberen Stock. Auf einem lapidaren Tisch steht eine Glasvase, die sich, gleichsam wie in einem Antipoden, unter dem Tisch in einem hölzernen Fetisch fortsetzt – oder besser gesagt, spiegelt. Den Nägeln im schrundigen Holzkörper entsprechen die Blasen im Glas der Vase, die allerdings ohne jedes Prinzip, zufällig, wie bei einer absichtslosen Bastelei, eingraviert wurden. Was sowohl die zerbrechliche Vase als auch den verletzten hölzernen Fetisch zu halten scheint, ist das jeweilige Gegenstück auf der anderen Seite der Tischplatte – und diese halten wiederum den Tisch.
Hier stellt sich die Frage nach der Ordnung der Dinge, und diese wird in den Arbeiten im oberen Stock auf je eigene Weise beantwortet. So wird die Ordnung des billigen Sammelsuriums von Gläsern auf dem niederen Regalbord durch einen Licht-Spot hergestellt, ebenso wie der Tisch hinten durch den Strahl der Lampe, welcher durch ein Loch in der Tischplatte fällt, im Raum verortet wird. In der benachbarten Arbeit verortet das hängende Lot verortet den schiefen Tisch –
oder ist es umgekehrt?: Die Ordnung der Dinge, die uns so selbstverständlich erscheint, ist eine wilkürliche, wie Michel Foucault uns seinem gleichnamigen Werk nachweist.
Wissen ist danach nicht das Ergebnis rationaler Denkprozesse, sondern das Produkt von zufälligen „Entdeckungen“ und vor allem von politisch durchgesetzten Machtpositionen innerhalb von diskursiven Strukturen. Wer also die Macht hat, den Wissens-Diskurs zu bestimmen, hat die Macht, unser Denken, ja uns selbst zu formen, zu erfassen und zu klassifizieren.
Gerade im Augenblick der umwälzenden Globalisierung wird dies wieder schmerzlich bewusst.
Es ist deshalb wichtig, dieser Ordnung der Dinge eine erkenntniskritische Ordnung der Blicke hinzuzufügen:
Die Dinge benötigen nämlich immer einen Beobachter, der über seine Perspektiven, seine Blicke, eine Ordnung herstellt.
Diese Blicke, diese Sichtweisen ergeben in umfassender Weise Möglichkeiten von Konstruktionen, die wir als Wirklichkeiten »sehen«. Darin aber ist die Sprache ebenso wie das Fühlen oder andere sinnliche Tätigkeiten eingeschlossen.
So könnte unser Blick auf dem niederen Tischchen dem Golddraht folgen, der sich durch die Gläser bohrt, genauso aber der Struktur der Volumina oder der Oberflächen; er könnte sich dem Besonderen widmen oder dem Ähnlichen, je nachdem, welche Beziehungswirklichkeit wir zwischen den Dingen herstellen.

Wenn man die Perspektive wechselt, ändern sich die Beziehungen der Elemente untereinander: Auf dem Kindergeburtstagstisch wirft aus der Froschperspektive jedes Ding seinen Schatten auf ein wieder anderes. Was am Ende drin sein wird, wissen wir nicht. Vielleicht aber sind in diesem umgekehrten Höhlengleichnis die Schatten ohnehin wesentlicher als die Dinge oder gar ihr Inhalt.
Das wilde, mäandernde Denken ist nie ganz verschwunden gewesen:
Nicht erst im postmodernen Informationszeitalter finden wir es wieder in der assoziativen, rhizomartigen Vernetzung der Hyperlinks.

Ähnlich entwickelte auch schon Aby Warburg in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts seine berühmte verschollene Arbeit Mnemosyne, benannt nach der Göttin der Erinnerung, in der er mit Hilfe von Bildern das vielfältige Weiterleben der Antike in der europäischen Kultur anschaulich machen wollte. Dieser Atlas bestand schließlich aus über 40 Kartons mit ca. 1.500 bis 2.000 Fotos, die die Tafeln teilweise bis zum Rand bedeckten und weder mit Bildunterschriften noch mit Kommentaren versehen waren. Die Tafeln beschränkten sich nicht auf klassische Forschungsobjekte der Kunstwissenschaft, sondern beinhalteten auch Werbeplakate, Briefmarken, Zeitungsausschnitte oder Pressefotos von Tagesereignissen. Warburg starb 1929 an einem Herzinfarkt, Mnemosyne konnte nicht vollendet werden.
Auch Burkard Blümleins Arbeit ist in gewisser Weise eine Mnemosyne, in der er die Erinnerung und die Möglichkeit wachhält an ein anderes Denken, einen anderen Blick, der die gängige Diskurshoheit unterlaufen kann. Nicht nur in diesem Sinne allerdings steckt sie voller Subversivität:
Immer dort etwa, wo wir als geübte Kunstbetrachter meinen, vordergründigen Sinn in den Arbeiten festmachen zu können, werden wir enttäuscht. So ist der Nagelfetisch in keiner Weise ein mit Bedeutung aufgeladenes, surrealistisches Objekt im Sinne etwa einer Louise Bourgeois. Die Arbeit ist als Idee plötzlich da gewesen, und er hat sie gemacht.
Es ist nicht diese psychoanalytisch beförderte Kunstproduktion, die Burkard Blümleins Arbeiten kennzeichnen.
Sie beinhalten vielmehr immer ein Moment des Bastelns, der „bricolage“, wie es in Frankreich heißt; das bedeutet zum einen eine Art intellektuelle Bastelei mit einem begrenzten Bestand von Material, das immer neu geordnet wird und das prinzipiell heterogen ist.
Dies bedeutet aber auch Bastelei im eigentlichen Sinne, seien es die eingravierten Blasen in der Glasvase, der geätzte Fingerabdruck im Glas, die zersprungenen und geklebten Porzellanteller, deren Haar-Riss als durchgehende Linie angeordnet sind, die perforierte Matrioschka, das Muster der geschälten Einhorn-Rinde, immer sind es einfache, oft unmerkliche Eingriffe, die auf ursprüngliche, volkstümliche oder handwerkliche Techniken zurückgreifen und die der materialistischen Ordnung der Dinge ein subversives und sperriges Element der Zweckfreiheit einfügen, unseren Blick fokussieren und ihm damit die Möglichkeit eines anderen Sehens, eines anderen Denkens, ja eines anderen Diskurses anbietet.
„Im Grunde“, meinte schon Jacques Derrida, ist ohnehin „jeder endliche Diskurs zu einer gewissen Bastelei gezwungen“. und wenn Wildes Denken nach Derrida „Erkenntnisgewinn auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung und der Einbildungskraft“ bedeutet, dann ist diese Ausstellung eine Einladung an den Betrachter, wild zu denken.

Toni Wirthmüller
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Malerei | Zeichnung

Eröffnung: Freitag, 29. Februar 2008, 20:00 Uhr
Es spricht: Dr. Bernhard Fischer, Altheim

01. März – 24. März 2008
do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung
Sonntag, 09. März und Sonntag 16. März 2008, 15:00 Uhr

mit freundlicher Unterstützung
der Stadt Landshut und der Sparkasse Landshut

Toni Wirthmüllers Arbeiten basieren auf konzeptuell angelegten Bilderserien und Bildinstallationen, in denen er sich mit dem menschlichen Körper und seiner medialen Repräsentation und Vermarktung beschäftigt, Werte und ihre Wandlungen hinterfragt. Den Künstler interessieren die verbliebenen Surrogate von Körperlichkeit sowie deren Sprache, erotische Signale und Codes. Mit dem Prinzip der Fragmentierung, der Montage und Überblendung bringt er malerische Elemente wie Farbe, Ornament und Zeichnung in vielschichtige Zusammenhänge. Gegenständliche und skripturale Zeichnungslinien sowie abstrakt eingesetzte Farbspuren durchkreuzen sich so gegenseitig. Er setzt weitere Materialien ein, um Transparenzen zu bewirken, so dass sich das Bildgeschehen auf vielen Ebenen abspielen kann, dabei ermöglicht das haptische Element der Bildoberflächen und Strukturen einen sinnlichen Zugang. Bei der Entschlüsselung der Inhalte trifft man auf die Brüchigkeit und plötzlichen Schleusen, an denen sich Alltags-und Medienebenen durchdringen, den Blick öffnend für die thematischen Schichtungen wie Schönheit, Hässlichkeit, Verwundbarkeit und Vergänglichkeit.
Der 1960 in München geborene Wirthmüller lebt seit 1982 in Berlin, wo er an der Hochschule der Künste studierte. Ab Mitte der 90er Jahre war er an der UdK (früher HdK) Berlin und der Facultad de Bellas Artes in Barcelona als Dozent tätig. Von 2000-2007 arbeitete er als Lehrbeauftragter an der Bauhaus Universität Weimar.
Wirthmüllers Arbeiten wurden an zahlreichen Orten im In- und Ausland ausgestellt, zuletzt unter anderem in New York, San Francisco, Hamburg, München, Lissabon und Novosibirsk.
Christoph Tannert (Leiter des Künstlerhaus Bethanien):
„Gegenüber den teutonischen Schmerzwutgesängen hat Toni Wirthmüller diese wunderbare Gabe, mit Farbe tief zu loten und gleichzeitig elegant wie puristisch-modern Bildelemente über- und hintereinander zu schichten. Qualität kommt bei ihm nicht von Quälen. Der Augensinn wird geschont, ja oft sogar geläutert und erheitert.
Aus der Serie „Mind Loops“ stammen jene blauen Blasen, Nullen, Ovale und Gucklöcher in Acryl auf Leinwand, die von der Nichtigkeit unserer Existenz wie von der Unendlichkeit sprechen. Wirthmüller unterstreicht das Gedankenkreisen in großen Leinwandbildern, indem er Blau auf Gelb treffen lässt, und sogar Blau auf Blau (bis an die Grenze jener Dunkelzonen des preußischen Blaus, das einem Schwarz vor den Augen werden lässt).Die Serie „Incorporeal“ lässt aus Kugelschreiberwölkchen über einer Gorillagruppe, verfremdeten Reality-Erlebnissen und Denkakrobatik Materielles auf Sinnliches treffen. Ein Ornamenten-Reigen verheißt die perfekte Würze und Entspanntheit an der richtigen Stelle.
Ihre Fortführung im Medium der Zeichnung findet diese Serie in den Arbeiten, auf denen Boxer-Motive, Bierdeckel-Pin ups, Bewusstes, Unbewusstes und aus den Weiten des Internet Gefischtes in originellen Versionen Gestalt annehmen. Das abstrahierte Normale und Notate belegen künstlerische Erlebnisetappen.
Eine besonders dichte Form der Überblendung diverser Bild- und Textebenen findet sich in einem Bild mit dem Titel „Faces“ das vier Gesichter zeigt, die an das Model Kate Moss erinnern, und das aus der Serie „Flesh Factor“ stammt. Weil der Künstler einen Text des legendären, frühverstorbenen Rockstars und Lyrikers Jim Morrison mit Kohle- und Kreidestift auf die bedruckte Leinwand geschrieben hat, bekommt das Ganze etwas von einer geheimnisvollen Offenbarung. Man fühlt sich hineingerissen in einen der magischen Rocksongs, der mehr verbirgt als freigibt von geheimnisvollen Offenbarungen über Tod und Wiedergeburt, buddhistische Weisheit und uralte biblische Prophezeiungen.
Das Grenzüberschreitende und Wunderbare dieser Morrison-Songs, die verknüpft sind mit der anderen Seite des Morgen, fixiert Wirthmüller auf geradezu elektrische Weise an dem Punkt, wo sich mitten im Alltag das Tor zum Hintergründig-Provozierenden öffnet.“

(aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung im GEHAG-FORUM Berlin, Juni 2006)

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Jon Groom | Rupert Eder

Aquarelle & Malerei

 

Eröffnung: Freitag, 11. Juli 2008, 20:00 Uhr 

Einführung: Ivo Ringe, Köln

12. Juli – 03. August 2008
do – so 15:00 – 18:00 Uhr
sowie bis 05. September auf Nachfrage

Führungen durch die Ausstellung
an den Sonntagen 20. Juli und 03. August, jeweils 16:00 Uhr

Die großformatigen Aquarelle der Ausstellung enstanden unmittelbar vor Ort
am 8. und 9. Juli 2008

Jon Groom

Jon Groom, DAYLIGHT WINDOW, 2005, Acryl und Pigment auf Aluminium, 49,5 x 49,5 cm

“Die Malerei ist ein Weg, die Komplexität der Existenz zu vereinfachen.“

Jon Groom wurde 1953 in Wales geboren, studierte Kunst von 1971-1978, bis hin zu einem Master of Fine Arts Diplom, verliehen von der Chelsea School of Art. Danach ging er mit einem Boise Stipendium der University of London nach Amerika. Seit 1978 wurde Grooms Werk auf breiter internationaler Ebene ausgestellt, darunter in London, New York, München, Mexiko City und Mailand. 1994 zeigte die Städtische Galerie im Lenbachhaus München einen umfassenden Überblick über Grooms Werk. 1997 stellte Groom im Luis Barragan Museum in Mexiko City aus und unlängst zeigte das Ludwig Museum Koblenz Grooms großformatige Gemälde. In diesem Jahr war Grooms Werk bei Osborne Samuel, London, in der Ausstellung „Masterpieces of Modern British Art: Selected works from the Derek Williams Trust and National Museum of Wales“ zu sehen.
Seit 1988 unterhält Groom ein Studio in München. Er lebte für einige Zeit in New York und Italien und hat bis vor kurzem einen Großteil des Jahres in Wales verbracht. In den letzten fünf Jahren reiste und arbeitete Groom intensiv durch und in Indien.

“Die Malerei schafft einen Raum, der Künstler arbeitet, um diesem Raum Bedeutung zu geben, um ihn mit ungesagtem Schweigen zu füllen, das über unser Verständnis hinausgehen kann in den Bereich der Tiefe.“

Grooms Werk kann in drei Bereiche unterteilt werden: Gemälde, Aquarelle und Wandarbeiten (Wandmalereien und großformatige mehrblättrige Aquarelle).
Durch die ständige Bezugnahme auf ein reduziertes Vokabular und dessen Wiederholung könnte man Grooms Werk mit einem Mandala oder Mantra vergleichen, durch das versucht wird, unsere visuelle Welt zu verdeutlichen. “Es ist essenziell, Kunst zu machen, deren Sinn in der Tiefe liegt und die unsere Seele direkt anspricht. Die visuellen Aspekte der Geometrie, wie sie bei Plato diskutiert werden, die Komplexität der Farbe und deren Symbiose müssen zu einer Kunst führen, die wie Nahrung für die Seele ist.”

“Jon Grooms Werke zeugen von dieser beständigen Auseinandersetzung mit der Malerei, der Natur, der Reflexion über Sein und Schönheit. Sie lassen teilhaben an den Läuterungen, die der Künstler selbst durchschreitet, im festen Willen, sich selbst zu perfektionieren und sich nicht zu begnügen mit einer – möglicherweise falschen – Wahrheit, sondern um den Gedanken und Anschauungen eine Gültigkeit jenseits der eigenen Subjektivität zu verleihen.” (Reifenscheid, Beate, The Transmission of Color, Jon Groom – Between the Light, Prestel Verlag, 2006)

“Painting is a journey to simplify the complexity of existence”

Jon Groom was born in Wales in 1953, studied Art from 1971-1978 culminating in a Master of Fine Arts Degree awarded by the Chelsea School of Art. He then traveled to America on a Boise Scholarship from the University of London. Since 1978 Groom’s work has been exhibited extensively around the world, including London, New York, Munich, Mexico City and Milan. In 1994 a major survey of Groom’s work was shown in the Städtische Galerie Lenbachhaus, Munich. In 1997 Groom exhibited in the Luis Barragan Museum in Mexico City. Recently Groom showed large-scale paintings at Ludwig Museum Koblenz and this year his work was included in an exhibition in London at Osborne Samuel entitled Masterpieces of Modern British Art: Selected works from the Derek Williams Trust and National Museum of Wales.
Since 1988 Groom has maintained a studio in Munich, Germany. He has lived for periods of time in New York and Italy and until recently spent much of each year in Wales, UK. For the last five years Groom has worked and traveled extensively in India.

“Painting creates a space, the artist works to give that space meaning, to fill it with unspoken silence which can go beyond our understanding into the realm of profundity.”

Groom’s work can be divided into three practices: the paintings, the watercolors and the wall works (wall paintings and large-scale multiple aquarelle paperwork’s).
By constantly referring to a reduced vocabulary and its repetition Grooms work can be compared to a Mandala or Mantra, seeking to clarify our visual world. “It is essential to make art which is deeply significant and which speaks directly to our souls. The visual aspects of geometry as discussed in Plato, the complexity of color and their symbioses must lead to an art work which is like food for the soul.”

“Jon Groom’s works bare evidence of this constant confrontation with painting, nature, and reflections on existence and beauty. They allow participation in the purifications that the artist himself undergoes, in the firm resolve to perfect himself and not to be content with a – possibly false – truth, but to confer validity on thoughts and views beyond his own subjectivity.” (Reifenscheid, Beate, The Transmission of Color, Jon Groom – Between the Light, Prestel Verlag, 2006)

Rupert Eder

Rupert Eder schließt mit seinen Arbeiten an die Tradition der gegenstandsfreien Malerei der Moderne an – einer Kunstform, die sich auf das Wesentliche konzentriert. In seiner künstlerischen Entwicklung setzt sich Eder immer wieder aufs Neue mit den Bedingungen und Möglichkeiten der Malerei auseinander und entwickelt dabei eine unverkennbare, eigene Bildsprache von Farbe, Form und Komposition.

Eder arbeitet seit 15 Jahren an seinem malerischen Werk. In den Leinwandbildern und Arbeiten auf Papier zeigt sich seine konsequente Position, bei der die Bildidee und die Bildfindung im Vordergrund stehen. Die Arbeiten laden zum aufmerksamen Betrachten ein, der langsame Blick entdeckt die ästhetische Schönheit und die Unmittelbarkeit des Erlebens seiner Bilder, die eine emotionale Qualität in sich bergen, wie wir sie beispielsweise auch aus der Musik oder der Literatur kennen.

In seiner frühen 360°-Serie hat Eder begonnen, Kreis, Quadrat und Rechteck zu verbinden, ohne dass die Form tatsächlich vorkam, sie hat sich ausschließlich in der Bewegung der vier rotorenartig verlaufenden Farbbalken gezeigt und durch die Überlagerung der breiten Pinselstriche gefunden.
Im weiteren Entwicklungsprozess ist er dazu übergegangen, die TOMBE, eine wabenartige Struktur, die der Künstler in Italien in einem etruskischen Felsengrab entdeckt hat, als Bildsprache zu formulieren.
Die beiden malerischen Erfahrungen haben sich verschmolzen, indem der Künstler begann, die Struktur der 360°-Bilder neben- und untereinander wabenähnlich auf einer Leinwand anzuordnen. Diese Bildneufindung hat sich zu den ersten ROTOR-Arbeiten verselbständigt:

Mit dem spürbaren Gestus der Pinselführung baut Eder aus jeweils vier Farbbalken rechtwinklige Binnenformen auf, deren Mitte ausgespart wird. Diese breiten Farbfelder fügen sich häufig aus mehreren nebeneinander gesetzten Pinselstrichen zusammen, die sich an den Eckpunkten überlagern und dort zu neuen Farbmischungen und -wirkungen führen. Die Farben nehmen raumgreifende Ausmaße an, indem sie in ihre Umgebung ausstrahlen und als Farbenergie wahrnehmbar werden. Innerhalb eines Rotors gibt es ein gewisses, rein malerisches System in der Wahl der Farben, das der Künstler intuitiv im Malprozess entscheidet, je nachdem, wie er das Bild gewichten will. Vor allem aber wird in diesen Arbeiten die sich schier endlos fortsetzende Farbbewegung betont.
Im formalen Aufbau des Geflechts entstehen nicht-hierarchische Strukturen – Bilder ohne Vordergrund, ohne Hintergrund, ohne Fluchtpunkt oder Zentrum – indem sich die Elemente kreuzen und überschneiden, Querverbindungen schaffen, und sich somit verselbständigen und unendlich fortzusetzen scheinen. Durch ihre Anschnitte am Bildrand rufen die Werke beim Betrachten das Gefühl hervor, als seien sie lediglich ein Ausschnitt, ein Detail aus einem größeren Ganzen, das sich allerdings nicht offenbart. Die Bildorganisation der ROTOR-Arbeiten ist dezentralisiert, was sich auch in diesen Anschnitten am Rand widerspiegelt, und was sich in den neueren CUT UP-Bildern fortsetzt.

CUT UP bezeichnet die Technik, die vor allem in der Literatur Anwendung fand (beispielsweise bei William S. Borroughs): Texte werden wortwörtlich zerschnitten und auf eine andere Weise wieder zusammengefügt, oder, wie beim FOLD IN, jeweils in der Mitte gefaltet und parallel nebeneinander gelegt, so dass auf spielerische Weise neue Kontexte und Sinnstrukturen geschaffen werden.
Bei Eders CUT UPs passiert das Gleiche, indem er die Form auseinander schneidet und verschiebt, wobei ein neues malerisches Bild entsteht, bei dem sich alle Teile zu einem stimmigen Ganzen fügen. An manchen Randstellen der zwei- oder dreiteiligen Bilder treffen die Formen wieder zusammen, an anderen Stellen dagegen nicht. Daraus entsteht aus einer Grundform und ihren Variationen eine neue malerische Sinnstruktur. Frühe Formen wie die TOMBE tauchen auch in diesen jüngeren Arbeiten wieder auf, aber verselbständigen sich als eigene, neue Bildsprache.

Wie der Überblick über sein bisheriges Schaffen zeigt, hat Eder sein bildnerisches Vokabular bereits in seinen frühen Arbeiten klar formuliert und setzt dieses in seiner weiteren Entwicklung konsequent fort. Es handelt sich dabei um eine gegenstandsfreie Malerei, in der sich Formen zeigen und zu Bildern generieren. Für Rupert Eder ist dies ein Ausweg aus dem Dilemma mit der wirklichkeitsnahen Darstellung und der Frage, was man abbilden will und kann.
Nanna Preußners

Was ich hier mache, ist reines Tun, reines Handeln, und daraus entstehen die Bilder, ohne einen theoretischen Überbau, ohne eine Vorlage aus der Wirklichkeit, es ist ein reines Arbeiten und Vorankommen mit der Malerei. Und das ist schon sehr spannend. Man kann meine Werke eben auch ausschließlich phänomeno-logisch betrachten: Was ist da? Was sehen wir?
Rupert Eder

Arbeit an den Aquarellen

im Gotischen Stadel, 8. u. 9. Juli 2008
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Johanna Schweizer | Leonie Ruissen

Textile Objekte und Installationen


Kuratiert von Dorien Eggink und Paul Hagenaars, Stichting Idee Fixe, Breda, NL

Mit freundlicher Unterstützung durch
die Botschaft der Niederlande in Berlin

Eröffnung: Freitag, 12. September 2008
im Rahmen der 3. Landshuter Kunstnacht 19.00 – 23.00 Uhr

20.30 Uhr: Poetry-Performance von Leonie Ruissen

Ausstellungsadauer:
13. September – 05. Oktober 2008
do – so 15.00 – 18.00 Uhr

Gleichzeitig zeigt das Kinoptikum Landshut
in Kooperation mit der Neuen Galerie Landshut
»Sterne aus dem Videopalast« – junge deutsche Videokunst
zusammengestellt von Spunk Seipel, Berlin – Edition UMELEC
am Freitag, 12.09. von 20.00 bis 23.00 Uhr
sowie am Sonntag, 05.10. um 19.00 Uhr

3. Landshuter Kunstnacht

DIE NEUE GALERIE LANDSHUT BETEILIGT SICH MIT DER AUSSTELLUNG
„JOHANNA SCHWEIZER | LEONIE RUISSEN – TEXTILE KUNST AUS DEN NIEDERLANDEN“
SOWIE MIT DEM VIDEOPROJEKT
„STERNE AUS DEM VIDEOPALAST“
(IN KOOPERATION MIT DEM KINOPTIKUM LANDSHUT)
AN DER 3. KUNSTNACHT.

Alle Informationen können auch der Website zur Kunstnacht bzw. aus dem Booklet zur Kunstnacht entnommen werden.

JOHANNA SCHWEIZER

Mit Johanna Schweizer (*1946) und Leonie Ruissen (*1984) zeigen zwei niederländische Künstlerinnen aus zwei Generationen einen sehr speziellen, burlesken Umgang mit textiler Objekt-Kunst, in der sich verschiedenste Ebenen von Wirklichkeit bunt vermischen und märchenhafte Blüten treiben.

Johanna Schweizer verbindet herkömmliche Produktionsweise mit modernen Werkstoffen wie Polyester.

„Ich greife zurück auf die traditionelle Produktionsweise der Häkelarbeit, die man üblicherweise assoziert mit gutbürgerlicher Häuslichkeit. Diese aber kontrastiert mit der Darstellung schamloser Nacktheit oder der Zurschaustellung menschlicher Verwundbarkeit.“

LEONIE RUISSEN

Leonie Ruissen mischt pflanzliche Elemente und Versatzstücke des Alltags aus genähtem Filz zu einer oft wild wuchernden Vegetation.

„Ich strebe danach, vollständig in den Dingen um mich herum aufzugehen.
Ich will eine Brücke bauen zwischen der Welt tief in mir drin und der Welt außerhalb von mir, so dass die Schönheit, die in allem enthalten ist, und die oft eine andere, besondere Sprache spricht, ans Licht kommt.“

Sterne aus dem Videopalast


Zur 3. Landshuter Kunstnacht zeigt das Kinoptikum Landshut in Kooperation mit der Neuen Galerie Landshut

STERNE AUS DEM VIDEOPALAST – NONSTOP VON 20:00 – 23:00 UHR

Präsentation der von Spunk Seipel zusammengestellten und von der Eastern Alliance bzw. dem Umelec Magazin herausgegebenden Videoedition „Sterne aus dem Videopalast“. In dieser Edition würdigt Eastern Alliance zum ersten Mal die
junge Videoszene in einem Land, das nicht in Osteuropa liegt – sie versammelt 27 Videoarbeit junger deutscher Videokünstler und -künstlerinnen.

DIE COMPILATION IST NOCH EINMAL ZU SEHEN AM SONNTAG, 05. OKTOBER, 19:00

Aus dem Booklett:
„Deutschland hat eine große Tradition im künstlerischen Film. So ist es kein Wunder, dass mit dem Aufkommen der neuen Videotechnik vor nunmehr 40 Jahren Künstler dieses Medium für sich genutzt haben. Auch in den Galerien und Museen wurde Video relativ früh als Kunstform akzeptiert. In den 90er Jahren gab es dann einen geradezu rauschhaften Boom von Videokunst. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass Sammler inzwischen Spitzenpreise für Videokunst zahlen.

Videokunst ist heute ein so selbstverständliches Medium, dass inzwischen fast alle Künstler, auch Maler und Fotografen, gelegentlich zu Video als Ausdrucksform greifen. Das bedeutet auch, da die Grenzen zu konventionelleren Gattungen wie Musik-, Dokumentar- und Spielfilmvideo nicht immer klar definiert werden können und sollen, dass die Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten mittels Video immer größer wurde.

In dieser Edition zeigen wir eine möglichst große Vielfalt dieser verschiedenen Stile und Techniken, auch wenn natürlich Videoinstallationen oder längere Videofilme hier nicht gezeigt werden können. Wir präsentieren hier einen Querschnitt der jungen Videokunstszene in Deutschland. Natürlich kann dies nur ein kleiner Einblick in die riesige Videokunstszene sein. Aber die gezeigten Künstler und Filme stehen exemplarisch für das aktuelle Geschehen in Deutschland.“ (Spunk Seipel)

Programm:
Sylvie Boisseau/Frank Westermeyer – Meine Familie Und Ich
Ulu Braun/Alexej Tschernyi – Fish Soup
Nine Budde – Huck (Go Wes T)
Tim Coe – 0-8-15
Helmut Dick – Sunday Afternoon
Judith Egger – Biotopie
Martin Erlenmaier – Jubel
Dorotea Etzler – To Go S Trange
Dietmar Fleischer – Dranbleiben
Heike Gallmeier – Protobobs
Florian Gwinner – Das Model
Alexander Györfi – Pimui Home Recording With C Arsen Erobique Meier
Philipp Hartmann/F.K.Flumen – Kas Traten Und Männer
Gab Heller – For The Birds
Philip Hirsch – In
Susane Huth – Run
David Krippendorff – Blame
Andy Leuenberger – Boom Boom Boogie
Maix Mayer – Ideal Cit Y
Lars Nagler – Grid
Sladjan Nedeljkovic – Transformers
Kristoper Paetau – Artforumaccident
Oliver Pietsch – Out
Nikki Schuster – Geis Ters Tunde
Stock‘N‘Wolf – Bob Log‘S Iii Electric Fence
Myriam Thyes – A Little Meditation
Franz Wanner – Pirt S

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Schnittstelle Druckgraphik II

Gesa Puell | Michael Golf | Ole Müller | Alicia Vela | Ral Veroni

Schnittstelle Druckgraphik II

SCHNITTSTELLE DRUCKGRAPHIK 2008
MICHAEL GOLF OLE MÜLLER GESA PUELL ALICIA VELA RAL VERONI
Eröffnung: Freitag, 24. Oktober 2008, 20:00 Uhr
Hierzu sind Sie und Ihre Freunde herzlich eingeladen!
25. Oktober – 16. November 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung: Sonntag, 09. und Sonntag, 16. November 2008, 15:00 Uhr

Gesa Puell


Der Titel der Ausstellung nimmt, wie in Schnittstelle Druckgraphik I, Bezug auf Arbeiten von Künstlern, die mit druckgrafischen Techniken (sowohl künstlerische Druckgrafik (Golf-Siebdruck, Puell – Lithografie, Vela – Stempeldruck, Veroni – Siebdruck), als auch kommerzielle Druckgrafik (Ole Müller, arbeitet mit vorhandenen gedruckten Medien)) arbeiten, diese aber über den klassisch angewandten Bereich hinaus nehmen.
Gesa Puell beklebt eine der Wände in der Galerie mit bedruckten Tapeten , – die gesamte Wand erscheint in einem flirrigen Schwarz.Weiß-Gekrissel, aus der Wand „wachsen“ Objekte, die die selbe Oberflächenstruktur aufweisen, der Übergang zwischen 2- und 3-Dimensionalen verwischt.

Ole Mueller


Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters dienen Ole Müller als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk.
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen“rückgebaut“ zu werden. … So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit. (A. v. W.)

Michael Golf


Michael Golf zeigt drei bedruckte Aludibondplatten, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind (siehe auch beiliegende Fotos). Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.

Alicia Vela


Alicia Vela wird aus Barcelona mit gefertigten Stempeln kommen und sich auf die Räumlichkeiten der Galerie einlassen

Ral Veroni

 Ral Veroni, Argentinien präsentiert 2 Projekte:

Struggle for Life: entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu werlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien, der Rest wurde billig auf Flohmärkten verkauft.
Hierzu gibt es einen Video von Eduardo Orenstein.

Lottery: Ral Veroni schafft sein eigenes Lottery Programm, Looteriescheine, die verfallen sind werden neu bedruckt und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder eingefügt.

Schnittstelle Druckgraphik 2008

Schnittstelle Druckgraphik II“ lautet der Titel dieser Ausstellung . Wie in der Vorgängershow im Jahr 2000 mit Christine Zoche, Jakob Kirchheim und Jonathan Cassels versammelt Gesa Puell auch dieses Mal Positionen, die sich einerseits, mehr oder weniger klar, zur Druckgraphik als zeitgemäßes künstlerisches Ausdrucksmittel bekennen, und diese aber andererseits in unterschiedliche Grenzbereiche hin verfolgen und überschreiten. Was die Objekte, Installationen, Bilder und dokumentierte Aktionen dieser Ausstellung also verbindet, was sozusagen ihre Schnittstelle darstellt, ist die Verwendung der Druckgraphik als künstlerisches Medium.
Nicht immer wird dies sofort deutlich. So etwa bei den Wandobjekten von Ole Müller, in denen Druckgraphik nur noch in ihrer angewandten Form wieder-verwendet wird.
Es handelt sich nämlich um Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters, die ihm als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk dienen – um Druck-Graphik in einem ganz anderen Sinne:
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene, übereinander geschichtete, gedrehte, zerknüllte oder sonst vorbehandelte Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen „rückgebaut“ zu werden. … Der schließlich als Firnis aufgetragene Lack hat eine zusätzliche archäologische Wirkung, da er durch die oberen Schichten dringt und so darunter liegende wieder freilegt und durchscheinen lässt. So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Sie erlauben aber auch einen Blick auf ästhetische Phänomene ihrer Ursprungsprodukte: Bei den beiden großen Wandobjekten etwa wurden für das linke Ausgaben der Brigitte, einer Zeitschrift für die reifere Frau verwendet, in der rechten solche des Girlie-Magazins Bravo-Girl. Der Unterschied in der vom Künstler nicht manipulierten Farbpalette ist doch eklatant.
„In konsequent täglicher Arbeit ringt Ole Müller“, wie der vor kurzem so früh verstorbene Andreas von Weizsäcker es beschreibt, „ringt der Künstler die Zeugnisse der Informationsflut nieder, lässt sie in neuer Form auferstehen. [ Es gelingt ihm]…die Gegenwart so zu komprimieren, dass deren Essenz nach Zukunft schmeckt. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit.“

Bilder unserer Zeit, in einem ganz anderen Sinne, aber von der Tagesaktualität keinen Silberstreifen weit entfernt, sind die druckgraphischen Arbeiten des Argentiniers Ral Veroni.
In seiner Serie: „Struggle for Life“ benutzt er als Bildträger entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu wertlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien; der Rest des alten wurde billig auf Flohmärkten verkauft. Seine künstlerische Wiederverwertung ist zunächst ein sehr sarkastischer Kommentar zu dieser finanzpolitischen Situation; und er gewinnt gerade am heutigen Tag, wo berichtet wird, dass der Staat Argentinien kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht, ungeplante Tagesaktualität. Erstaunlicherweise gewinnen diese wertlosen Geldscheine gerade durch seine künstlerischen Interventionen wieder an Wert – einen reellen, auf einer Preisliste darstellbaren, und einen ideellen Mehr-Wert, der vermutlich noch bedeutend höher einzuschätzen ist. Hier sei ein Hinweis in eigener Sache gestattet: Wenn auch Sie zu den krisengebeutelten Anlegern in leeren Wertpapieren gehören: Kunst lohnt sich immer!
Zu der Aktion „Struggle for Life“ gibt es auch ein Video Eduardo Orenstein zu sehen.

Eine zweite Serie des Künstlers heißt „Lottery“: Hier schuf Ral Veroni sein eigenes Lotterie-Programm, indem er Lotteriescheine, die verfallen waren, neu bedruckte und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder einfügte. Die endlose, immer unerfüllte und leere Hoffnung nach dem großen Glück nimmt Ral Veroni hier auf eine ironische, und doch ganz poetische Weise aufs Korn, indem er den wertlosen Scheinen wiederum den Mehrwert der Kunst darauf und den Wert des Ideellen gleichsam darüber setzt. „Mink – schmink – money – schmoney,; what have you got if you haven’t got love“ sang schon Eartha Kitt vor 50 Jahren, als ironischen Kommentar zur Konsum-Orientierung ihrer Zeit.
Kommentare zu aktuellen Fragestellungen kann sich auch Michael Golf nicht verkneifen.
Als Reaktion auf eine Umfrage unter Deutschen, wie die Farben auf der Bundesflagge angeordnet sind, hat er drei Aludibondplatten bedruckt, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind. Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.
Aber Vorsicht: Wer falsch rubbelt, kann sich natürlich auch hier blamieren!
So wie diese Umfrage Ausgangspunkt für Michael Golfs Rubbel-Siebdrucke waren, so ist es häufig die Besonderheit einer Situation, die er vorfindet, auf die er reagiert – und dabei bietet ihm das Medium des Siebdrucks einen schier unerschöpflichen Handlungsspielraum. So nutzte er bei einem Indien-Aufenthalt das spezielle Licht dieser Region für eine Siebdruckserie, indem er beschichtete Siebe unter das flirrende Blätterdach von Bäumen legte, und die irisierenden Sonnenstrahlen die Belichtungsarbeit erledigen ließ. Eine wunderbar poetische Serie mit unscharf verfließenden Rändern, changierend zwischen Konkretion und Abstraktion entstand auf diese Weise.
Gerade in der radikalen Beschränkung auf das Medium des Siebdrucks und dem steten Experiment mit dessen Ausdrucks- und Einsatzmöglichkeiten gelingt es ihm, einer scheinbaren Reduktion auf technische Machbarkeit ein Höchstmaß an Poesie zu entlocken. So druckte er einmal einen Biberschwanz. Er verwandte darauf so viele Druckvorgänge, bis die Darstellung des Schwanzes eine ebensolche Dicke hatte wie das reale Vorbild. Eine weitere Arbeit in dieser Ausstellung zeigt eine Auflage von Papierstreifen, welche in ihrer Mitte lediglich eine dünne Linie aufgedruckt haben. Durch ihre Überlagerung erhöht sich der minimale Farbauftrag so, dass er dreidimensionale, ja haptische Qualität bekommt.
Manchmal reagiert Michael Golf aber auch umgekehrt auf Vorlagen der Poesie. Den Satz Wiliam Shakespeares „Es ist Sparsamkeit im Himmel, sie bliesen aus die Kerzen“ druckte er mit goldener Rubbelfarbe auf schwarzen Hintergrund. Wenn man an dem Text rubbelte – wurde es dunkel.

Poesie und Sprache sind auch die Ausgangssituation für die Wandinstallation von Alicia Vela. Eine Passage aus dem Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ von Roland Barthes steht im Zentrum dieser Arbeit. In selten gewordener Handschrift, wie in einem persönlichen Tagebuch, ist der Text direkt auf die Wand geschrieben. Der Eindruck von Intimität wird noch verstärkt durch den Schleier, der vor diese Handschrift gelegt ist und der durch die beiden aufgedruckten Mädchenfiguren bewacht wird. Sie wirken wie aus einem Märchenbuch entsprungen und lassen den Betrachter noch mehr zögern, den Bann zu brechen und den Schleier zu lüften. Magie und Märchen, Bann- und Zaubersprüche waren ja die Ursprünge der zunächst schriftlosen Poesie und stehen auch für eine unwiederbringliche Zeit unschuldig naiver Zuversicht, in der das Wünschen noch geholfen hat. Wenn der Schleier (span. velo) geöffnet wird, ist der Zauber gebrochen, der Text bietet sich dar, doch seine Entzauberung geht über in einen neuen Zustand beinahe unerhörter, geheimnisvoller Lebendigkeit und legt sich wie ein weiterer Schleier über das Ich des Eindringenden, der einem Akt höchster Intimität gleicht:
„Die Sprache ist eine Haut; ich reibe meine Sprache an einer anderen. So als hätte ich Worte an Stelle von Fingern, oder Finger an den Enden meiner Worte. Meine Sprache zittert vor Begierde…“ (R. Barthes)

Der Siebdruck der beiden bedeutungsoffenen Figuren verknüpft dabei wie ein Kettfaden die tradierten, erinnerten und erdachten Textfäden zu einem feinst versponnenen Gewebe, deren assoziative Textur eine pulsierende Energie freisetzt, welche selbst ohne Berührung den Schleier zum Wehen zu bringen vermag.

Diese assoziative Vermischung und Verwischung von Grenzen verbildlicht sich, ja nimmt konkrete Form an in der Arbeit von Gesa Puell. Es sind Schatten an der Wand, die langsam aus der Wand wachsen, Form annehmen und wieder verschwinden, sich immer an der Grenze zwischen 2- und 3-Dimensionalität bewegend, doch niemals eigentlich richtig greifbar und niemals auch logisch richtig zu fassen – denn sie verhalten sich auch widerspenstig gegen das Raumlicht, bilden selbst wieder Schatten, die dann sogar auf sie selbst fallen können und dann die Form wieder aufheben, die ohnehin einen stets illusionären Charakter hat.
Das Amorphe der Formen tut ein Weiteres zu dieser Ungreifbarkeit, zu diesem Vexierbild an Unfassbarkeit. Wo hört was auf, wo fängt was an?
Geschickt gelingt es Gesa Puell, durch eine kunstvolle Kombination von Siebdruck auf Papier und Glasgriesel auf kaschierten PU-Schaumformen die Grenzen zwischen Fläche und Form aufzulösen in ein ständig kippendes Spiel der Dimensionen. So ensteht ein pulsierender Dialog zwischen den Formen und ihren Schatten, die sich ständig gegenseitig befragen und verändern, von einander weg- oder aufeinander zugehen, ständig die Grenzen sprengend nicht nur unserer Erwartungen an die Eigenschaften eines Schattens, sondern sogar die der realen Vorgaben der Wand und des Lichts.
Nichts könnte schöner die Intentionen und den Titel dieser Ausstellung verdeutlichen: Eine pulsierende Schnittstelle zu sein zwischen den unterschiedlichsten Vektoren künstlerischen Ausdrucks, welche immer eines beweisen: Die Kraft, die Zeitgemäßheit und die Unbegrenztheit der hier verwendeten künstlerischen Medien und der Kunst überhaupt.

Franz Schneider, 2008

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Heiner-Matthias Priesnitz


HEINER-MATTHIAS PRIESNITZ
Zeichnungen aus den letzten Jahren
Eröffnung: Freitag, 05. Dezember 2008, 20:00 Uhr
Einführungstext: Heinzgert Friese, Hannover
Musik: Daniel Hoffmann, Cello | Johannes Strake, Violine

06. Dezember – 28. Dezember 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. In jahrelanger Weiterentwicklung sind Motiv-Serien entstanden, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium und den Akt des Zeichnens: das Verhältnis von (viel) Licht und (wenig) Dunkel, von Groß und Klein, zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.
Das Auge des Betrachters erfasst erst allmählich die auf den Bildern dargestellten Motive. Konturen, erzeugen Räumlichkeit, lösen sich jedoch in die Bildtiefe hinein auf. Die auf visuelle Zurückhaltung bedachte Zeichentechnik versagt ihnen die Illusion materieller Präsenz. Die meisten Arbeiten von Heiner-Matthias Priesnitz sind drucktechnisch nicht zu vervielfältigen. „Entgegen einer zeitgenössischen Kulturtendenz, Informationen zu aggressivieren, besteht die direkte Vermittlungsform meiner Arbeiten auf der Authentizität des Dialoges zwischen Bild und Betrachter.“ Heiner-Mattias Priesnitz ist am subtilen Gleichgewicht zwischen Helligkeit und Dunkelheit, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen Entspannung und Bedrohung interessiert. Je nachdem, wie sich Licht, Schatten und Dunkelheit auf seinen Zeichnungen zusammensetzen, je nachdem, wie die Bildarchitektur gebaut und perspektivisch angedeutet wird, entstehen Stimmungen zwischen romantischer Überhöhung und surrealer Klaustrophobie.

Heinzgert Friese

Schaufasten?

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. – Und kein Mensch nirgends. In jahrelanger, immer wieder unterbrochener und neuaufgenommener Arbeit sind Motiv-Serien entstanden, keine saisonalen Schnappschussgarben, sondern langzeitbelichtete Werkgruppen, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium des Zeichnens und den Akt desselben: das Verhältnis von Licht (viel) und Dunkel (wenig), von Groß und Klein (unklar), zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes, die wir immer mit einbringen müssen, allein schon wegen der Sehachse zum Bild – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.

Bilder sind oft Zäune, die uns den Blick dahinter verstellen, Einfriedungen unserer Augenweiden, Grenzen des sicheren Besitzes. Die Zäune von Priesnitz haben nicht nur offensichtlich diese Funktionen verloren, sondern sie weisen in eine gänzlich andere Dimension: in die Tiefe des Bildgrundes, den sie mit kalter Nadel versehren. Diese Zäune entgrenzen; sie öffnen den Grund, auf dem sie stehen.
Auch die drei kreisrunden Flecke oder aufgeblasenen Punkte erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht ganz geheure Durchbrüche ihrer Zeichen-Ebene: als eigenartige Löcher, die nicht durch einen festen Rand ’definiert’ sind, sondern durch eine bleierne Energie des Inneren. Die Assoziationen mögen von Steckdosen bis zu hypnotischen Blicken reichen. Beiden Assoziationen eignet ein bedrohliches, jedenfalls energisches Eindringen und Ausströmen zwischen Innen und Außen. Das ist etwas der Zeichen-Ebene von Hause aus Fremdes. Die Fläche der Bildordnung ist ja zunächst eine Trennwand zwischen den Vektoren – wenn auch die abendländische Malerei mit Raum-Illusionen zu Ruhm und vor allem zu ’Ansehen’ gekommen ist.
Zwar gibt uns Priesnitz plastische Gegenstände zu sehen. Seine Möbel aber sind fünfeckig. Diese eine Ecke mehr an ’Flügel’, Sarg oder Kommode macht uns haltlos durch den imaginären Raum schweben – und auf der Ebene der Zeichnung landen… Zeichnung reflektiert hier das Bild im Raum, in unserm Raum, als zusätzliche Dimension. Ein Raum, in dem ein Bild hängt, hat nämlich fünf Seiten.
Einer der glücklichsten Funde zum Durchspielen des Verhältnisses zwischen dem Flächennutzungsplan der Zeichnung und der Darstellung von Körper und Raum ist sein Haarnetz, das Priesnetz sozusagen. Die unendlich scheinende Sukzession der ersten Dimension, der Linie, der sich der Zeichner in müh-seliger Übung ohne ’Übersicht’ hingibt, gibt Netzbilder zurück, die eine zwischen Raum und Fläche oszillierende Wirklichkeit darstellen, die wir nur allzu oft nicht wahrnehmen wollen oder können.
Priesnitz’ Bilder gleichen Booten, die Haarnetze auswerfen, die unsere Augen fischen. Diese Meditationen über die Gesten des Zeichnens und des Sehens nehmen uns ein. Und schließlich: Stehen wir noch irgendwo, wenn wir, wie aus dem Flugzeug, auf die tief unter uns im gleißenden Licht eines südlichen Sommers gleitenden Boote blicken? Straucheln wir nicht, wenn das tief in das papierene Meer eingebettete Schiff unserer Blickfahrt Lichtschranken kreuzt, die nur auf der Fläche sind? – Es ’geht hier zu’ wie auf seinen Stilleben aus Gefäßen, die nichts fassen: Es sind Un-Still-Leben schwankender Parameter. Still stehen in dieser Motivgruppe die Gefäße wie Schauspieler eines unsichtbaren Mysteriums. Es sind Masken, und wir wissen nicht, was sie spielen. Das Geheimnis des Innen ist indessen das Geheimnis jeden künstlerischen Ausdrucks, jeden Ausdrucks, jeden Lebens. Priesnitz führt ins Geheimnis nicht durch Strategien des Verhüllens oder kokette Draperien, sondern durch eine an de Chirico geschulte physische Leere – Auf seinen Bildern ist nirgendwo kein Mensch: Er ist nämlich überall – nur nicht als dingfest gemachtes Objekt. Er steckt in den Bewegungen des realisierenden Sehens, zu denen die Bilder uns herausfordern.

1. Zäune
Seit acht Jahren arbeitet Priesnitz an diesen paradoxen Bildern, deren Sujet den Raum zumacht, während die Faktur den Raum durchbrechen will. Seit acht Jahren ritzt er piktogrammartig reduzierte Zeichen, die sich im Weg stehen, in Tafeln, die nie perforiert – aber durchaus versehrt werden. Im Unterschied zu den Schlitzbildern Fontanas kommt etwas an die Oberfläche zurück, das auf der Kippe ist zwischen der Bedeutung einer Linie und der einer Furche.
Diese Kippe ist ein nachhaltig intrigantes Konstrukt des ’Zeichners’. Hier hat er die scheinbar quadratischen Tafeln, Inbegriffe der Fläche, 1cm breiter als hoch geschnitten; wir nehmen also wohl etwas anderes ’wahr’ als wir sehen. Dieser eine Zentimeter mehr, den die Waagerechte hat, ist die Balancierstange für die Senkrechte, welche ein jeder Betrachter vor dem Bild darstellt und – ’einbringt’: Die Horizontale der Sehachse setzt sich fort (!) in der senkrechten Bodenbearbeitung des Bildgrundes: im Walzen des Grundes mit Acrylfarbe, in der Ritzung der Zäune mit der Kaltnadel. Die Betonung der Senkrechten setzt sich fort in den senkrechten Zaun-Planken, deren illusorische Senkrechte sogleich wieder auf die materielle Fläche kippt, zugunsten der Vertikale der physischen Ritzung, welche die Zäune macht – und zugunsten der Linie auf der Fläche, die sich aus der Fortbewegung des Ritzens ergibt.
Dagegen suchen die länglichen Kopflinien des einzelnen ’Zauns’ das Weite – gerade durch ihre oft diagonale Anlage in der Fläche, die entfernt an Perspektive erinnert. Aber sind das überhaupt Zäune? Bedeutungsschwanger weist die Gravität der aufgerissenen Gräben aller Richtungen nach unten. Sind das nicht Pflüge oder vergiftete Kämme? Oder Rechenpäckchen, die Zahl fünf symbolisierend? Jedenfalls würden diese Zäune nicht funktionieren: sie sind an jeder möglichen Ecke eines möglichen Territoriums offen. Trotz der Diagonalen markieren diese abstrakten Zeichen für ’Möbel’ und ‚Raum’ (eine Linie mit vier Füßen oder vier symbolischen Ecken) keine Perspektive im Raum. Eher bilden sie Barrikaden eines unübersichtlichen Labyrinthes, in welchem der Betrachter sich unversehens befindet, weil alle Gebilde gleich aussehen, keines entscheidend größer als das andere ist, keine Perspektive, keine ’Verjüngung’, keine ’Flucht’ gewährt wird. Unsere gestaltpsychologische Neigung, immer wieder einen Raum in diesem Bild sehen zu wollen, ist uns das wahre Labyrinth, das uns gehen heißt beim Sehen. – Aber natürlich ist es der Zeichner, der uns verführerisch zuwinkt, uns auffordert zu diesen Raumfantasien. Was für Raum aber sollte es sein, da es nicht der euklidische ist? Ich vermute, es ist der dem Medium der flachen Sichtbarkeit gegenüberstehende und deshalb ’entsprechende’ von Innen und Außen.

2. Löcher
Besonders rätselhaft sind auch die Löcherbilder. Wenn das Passepartout eine gewisse Proportion zu den drei Gebilden bietet, können wir eine kurze Weile vergrößerte Steckdosen vermuten, wobei der Rahmen dann aber zu einem reliefartigen Teil der Bilddarstellung wird, die andererseits nur durch negative Aussparungen definiert scheint: Löcher. Materielle Erhabenheit und dargestellte Tiefe und sonst nichts. – Aber das sind keine vertrauten Lochdarstellungen. Löcher haben Ränder, sichtbar an der Scheidelinie von Licht und Schatten. Genauer: nicht die Löcher ’haben’ die Ränder, sondern das Feste drum herum. Hier aber bestehen ’Löcher’ aus ihrem Inhalt, aus Kohle-Staub. Natürlich ist ’Inhalt’ eine Fiktion, denn die Darstellungen sind eine Auflage des Kohlenstiftes auf dem Karton. Was da im Übergang von Dunkel zu Hell geschieht, gleicht der bevorstehenden Ausbreitung einer ’Dunkel-Sonne’ in die noch undurchdrungene Fülle eines hellen Dunstes. – Die ’Sonne’ ist übertrieben? Dann betreibt hier eben schwarzer Schimmelpilz sein böses Werk der Infektion des Lichtes. Der Rand lebt! – In seinen, auf seinen Löcherbildern ist aber ein Loch nie allein: Immer bezieht es sich durch den gleichen Abstand auf die Nachbarn seiner Behausung. Durch diese Zumessung ist jedes Loch dann doch über eine unsichtbare Fläche fremdbestimmt, ’definiert’. Was ist das für ein befremdliches Gegenüber?
Die Weltgeschichte der Kunst liebt die Drei-Zahl: Drei Bäume, drei Grazien, drei Gekreuzigte, drei Wände eines Interieurs. Die Dreizahl simuliert oder symbolisiert Raum und Volumen. (Ein dritter Punkt ermöglicht erst Gegenüber.) – Aber hier haben wir eine beunruhigend weite Drei-Ansicht in der Fläche, auf einer Angriffslinie. Sehen uns diese Löcher an? So sieht doch kein Gesicht aus! Nun, es ist H.M. Priesnitz – wenn auch ’verquer’: Des Zeichners Spiegelblick wird aufgeklappt zum doppelten Augenspiegel, Augenspiel: Der Abstand zwischen dem zentralen großen Loch und den Seitenlöchern ist jeweils derjenige zwischen seinen Pupillen. Die Spiegelachse ist die mittlere Pupille. Natürlich könnte man auch einfacher annehmen, der Zeichner habe einen Abdruck, eine Spur, seines Augenpaars ans Blatt gegeben, dann habe er sich vom Blatt gelöst und noch einmal seinen Augenabstand auf das Papier gebannt, und zwar so, dass die neue linke Pupille auf seine bereits abgegebene rechte trifft, wodurch diese Vereinigung von rechts und links sich vergrößert hätte. Aber auch dieser Akt setzte das ’Zurückblicken’ des je ersten Abdrucks vom materiellen Medium voraus, das den Abstand fixiert und die Simulation einer sich überlappenden Verdoppelung ermöglicht. Das Papier und das Graue zusammen ermöglichen die Oszillation zwischen Loch und Spiegel eine abgründige Reflexion.
Löcher werden übrigens nicht weiter, wenn man sie übereinander legt – wohl aber jene hier repräsentierten menschlichen Abgründe alles Sichtbaren, die wir Pupillen nennen. In äußerer Dunkelheit erweitern sich diese Eingänge in die innere Nacht des Menschen. Alles Sichtbare, also auch die bloße Linie auf der Fläche ist ein Ereignis zwischen Innen und Außen. Die Kulmination solcher Ereignisse ist das Auftauchen der Sichtbarkeit aus dem Unsichtbaren, die Epiphanie. Sie aber ist immer eine Sache unserer leibhaftigen Anwesenheit.

3. Fünfeckige Möbel
Zuviel Geheimnis? Nun gut, nehmen wir uns einfache Darstellungen wie seine ’Möbel’ vor. Welch eine Demonstration von Volumen! Sie haben sogar eine Ecke mehr – und ein fünftes Bein! Wahrlich sehr mobil! Wer sich in diese unmöglichen Mobiles imaginär versenkt, dem schwindelt leicht auf pentagrammatischer Fahrt. Denn die Fünfzahl sprengt die quatre coins du monde – und die schiefen Winkel sprengen die Rechtwinkligkeit der Fläche. Ein Hintergrund, an den man sich zu klammern wünschte, ist hinter den hochgekippten Oberseiten der inkommoden Kommoden abgestürzt. Aber es gibt einen, wenn auch abgründigen, Grund; er ist vollständig ausschraffiert. Vor und auf ihm bilden die dominanten Fünfecke eine geradezu bekiffte weiße Fläche. Eben noch Segel über bleiernem Grund, sacken sie ab im nächsten Augenblick zu bedrohlichen, jedenfalls unkommensurablen Innenansichten dieser seltsamen Körper.
Zwischen (Ober-)Fläche und Innenraum-Ahnung flattert was. Aber unterhalb dieser kopflosen Wesen oder Vehikel streben fußlose Beine grundlos zur Tiefe. Tanzend, als ob sie ein Bein mehr hätten, was sage ich: drei! Spüren Sie die Spannung zwischen der weißen Flotte und den bis in die Spitze dunkelnden Beinen? Die Drift dieser Bilder entsteht aus der Verführung des Betrachters, Körper im Raum zu vermuten, Körper, die ein imaginäres Innen haben, wie der Betrachter selbst, und die sich im simulierten Raum befinden, den wir vergeblich suchen, weil wir Körper im Raum sind, weil wir Raum im Körper sind.

4. Boote
Solch eine Umwandlung unserer Orientierungsfahrt bewegt die ’Boote’ von 2007, die auf ihrem Grunde beginnen zu gleiten, sobald wir unsere Position in der Luft über ihnen bezogen haben. Dass wir nicht fallen, liegt am kreidigen Pastellgrund, der die gesamte Fläche ausfüllt. Die Boote, in den Umrissen von Surfbrettern oder Sepia-Skeletten, und die kreuzenden Ereignisse zwischen Linie und ganz langer schmaler Fläche sind reales Licht auf Papier: Priesnitz hat Boot und Band aus dem Kreide-Meer herausradiert. Sonst sind Gegenstände Licht-Barrieren, hier sind sie Löcher aus Licht. – Damit wir nicht durchfallen, hat der Zeichner starke, aber kurze Schatten an die Bootswände geworfen, wie von einer fast senkrechten Sonne, vielleicht aus unserer Position… Da sind wir aber erleichtert und schweben, halb eingesunken ins Wasser, wie das Boot, und dennoch drüber hin. Das Boot überquert die Ziellinie zur Fläche, wir haben uns wieder, stehend vor dem Bild…

5. Stilleben
Das Gleiten der Parameter ist auch in den Unstilleben mit Bechern und Näpfen zu erleben. Die Bewegung entsteht hier gerade durch die drohende Entropie der Kontraste. Auf einer Foto-Datei im PC mit 1,10MB sieht man nichts als ellipsoide Heiligenscheine. In Wahrheit sind das aus dem Pastellgrund ausradierte Gefäßränder, deren aus Bleistiftschatten gebildeter Korpus sich nur äußerst schwach vom Pastell abhebt. Eine bloße Anmutung von Raum hält fast nur dadurch sich, dass man ihr Verschwinden in der Tiefe ahnt. Ansonsten bleibt ein Gleißen, von dem man nicht weiß, ob es an zuviel oder zuwenig Licht liegt. Nach einiger Zeit der Blindheit: bebende Stille. Beulige Protuberanzen von Schatten beleben den Vordergrund. Das freiradierte Licht der Ellipsen, das nie perspektivisch korrekt ist, beginnt zu ragen, als eine aufgestellte Fläche, und die Hohl-Körper treten ins Verhältnis. Manchmal ziehen Kräfte von den Seiten das Bild nach außen – so auf dem mit den zwei kleinen Bechern innen und zwei großen Bechern außen. Überall Transit, wie von Geisterhand durchgewunken…

6. Haarnetze
Fast mit Händen greifbar ist die menschliche Anwesenheit in jenen atmenden Wesen, die Nesselquallen, Muscheln oder Muschis gleichen, aber jenen zarten Schutz, vornehmlich an Frauenköpfen, zum Vorbild haben, den wir schnöde ’Haarnetz’ nennen. Hat man in solchen Netzen nicht Aphrodite, die Lilofee oder Undine aus dem Wasser geschöpft? Die Schönheit gerät leicht in Kitschverdacht. Deshalb sei hier die rhythmische Harmonie zwischen Linie, Fläche und Raumeindruck hervorgehoben. Schon die ’Grundlinie’, die Kante des Haarnetzes spielt in ihrer schwarzen Breite mit der Fläche. Ihr Zickzack schneidet die Seiten auf und hält doch dialektisch linearen Kurs. Kaum glaublich, dass diese Unruhe zum Kreisähnlichen sich schließt. Und dann hat diese Bewegung auch noch einen Schatten aus Blei – also im Raum! – Das Netz selbst aus unendlichen feinen Linien, bildet eine Oberfläche aus Nichts, das sich unerfindlich unterschiedlich verdichtet von wolkig bis filzig, deren schwärzliche Lavierungen wie larvierte räumliche Tiefe wirken. Oder nicht doch eher wie körperliche Überlagerungen? Wir haben es hier nicht mit realistischen Abbildern zu tun, sondern mit Lebewesen, die oszillieren zwischen einer Innen- und einer Außenansicht. Ob das Netzwerk immer ’hinter’ der Zickzacklinie liegt, ist zum Beispiel nicht zu entscheiden. Diese durchsichtigen Gebilde stülpen sich ein und aus. Sie stellen die Interpenetration mit der Netzhaut der Betrachter dar. Ihre Grenze zum Amorphen erlaubt die Vorstellung des Undarstellbaren, des Erlebens von Innen und Außen.

Ob geritzt, radiert, schraffiert, aufgetragen oder ausgespart, ob in Blei, Kohle oder Pastell: die prima vista so verschiedenen Bilder atmen unter der Oberfläche der Zurückhaltung den Geist eines Werks. Es ist ein Spiel von Innen und Außen: das Auftauchen der Erscheinung. – Schaufasten? – Schaufeste!

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Gesa Puell | Michael Golf | Ole Müller | Alicia Vela | Ral Veroni

Schnittstelle Druckgraphik II

SCHNITTSTELLE DRUCKGRAPHIK 2008
MICHAEL GOLF OLE MÜLLER GESA PUELL ALICIA VELA RAL VERONI
Eröffnung: Freitag, 24. Oktober 2008, 20:00 Uhr
Hierzu sind Sie und Ihre Freunde herzlich eingeladen!
25. Oktober – 16. November 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung: Sonntag, 09. und Sonntag, 16. November 2008, 15:00 Uhr

Gesa Puell


Der Titel der Ausstellung nimmt, wie in Schnittstelle Druckgraphik I, Bezug auf Arbeiten von Künstlern, die mit druckgrafischen Techniken (sowohl künstlerische Druckgrafik (Golf-Siebdruck, Puell – Lithografie, Vela – Stempeldruck, Veroni – Siebdruck), als auch kommerzielle Druckgrafik (Ole Müller, arbeitet mit vorhandenen gedruckten Medien)) arbeiten, diese aber über den klassisch angewandten Bereich hinaus nehmen.
Gesa Puell beklebt eine der Wände in der Galerie mit bedruckten Tapeten , – die gesamte Wand erscheint in einem flirrigen Schwarz.Weiß-Gekrissel, aus der Wand „wachsen“ Objekte, die die selbe Oberflächenstruktur aufweisen, der Übergang zwischen 2- und 3-Dimensionalen verwischt.

 

Ole Mueller

bunte kreise

werbeberge


Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters dienen Ole Müller als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk.
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen“rückgebaut“ zu werden. … So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit. (A. v. W.)

Michael Golf

Gold-Schwarz-Rot

Rot-Gold-Schwarz

Schwarz-Rot-Gold


Michael Golf zeigt drei bedruckte Aludibondplatten, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind (siehe auch beiliegende Fotos). Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.

Alicia Vela

Alicia Vela wird aus Barcelona mit gefertigten Stempeln kommen und sich auf die Räumlichkeiten der Galerie einlassen

Ral Veroni


Ral Veroni, Argentinien präsentiert 2 Projekte:

Struggle for Life: entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu werlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien, der Rest wurde billig auf Flohmärkten verkauft.
Hierzu gibt es einen Video von Eduardo Orenstein.

Lottery: Ral Veroni schafft sein eigenes Lottery Programm, Looteriescheine, die verfallen sind werden neu bedruckt und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder eingefügt.

Schnittstelle Druckgraphik 2008

Schnittstelle Druckgraphik II“ lautet der Titel dieser Ausstellung . Wie in der Vorgängershow im Jahr 2000 mit Christine Zoche, Jakob Kirchheim und Jonathan Cassels versammelt Gesa Puell auch dieses Mal Positionen, die sich einerseits, mehr oder weniger klar, zur Druckgraphik als zeitgemäßes künstlerisches Ausdrucksmittel bekennen, und diese aber andererseits in unterschiedliche Grenzbereiche hin verfolgen und überschreiten. Was die Objekte, Installationen, Bilder und dokumentierte Aktionen dieser Ausstellung also verbindet, was sozusagen ihre Schnittstelle darstellt, ist die Verwendung der Druckgraphik als künstlerisches Medium.
Nicht immer wird dies sofort deutlich. So etwa bei den Wandobjekten von Ole Müller, in denen Druckgraphik nur noch in ihrer angewandten Form wieder-verwendet wird.
Es handelt sich nämlich um Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters, die ihm als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk dienen – um Druck-Graphik in einem ganz anderen Sinne:
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene, übereinander geschichtete, gedrehte, zerknüllte oder sonst vorbehandelte Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen „rückgebaut“ zu werden. … Der schließlich als Firnis aufgetragene Lack hat eine zusätzliche archäologische Wirkung, da er durch die oberen Schichten dringt und so darunter liegende wieder freilegt und durchscheinen lässt. So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Sie erlauben aber auch einen Blick auf ästhetische Phänomene ihrer Ursprungsprodukte: Bei den beiden großen Wandobjekten etwa wurden für das linke Ausgaben der Brigitte, einer Zeitschrift für die reifere Frau verwendet, in der rechten solche des Girlie-Magazins Bravo-Girl. Der Unterschied in der vom Künstler nicht manipulierten Farbpalette ist doch eklatant.
„In konsequent täglicher Arbeit ringt Ole Müller“, wie der vor kurzem so früh verstorbene Andreas von Weizsäcker es beschreibt, „ringt der Künstler die Zeugnisse der Informationsflut nieder, lässt sie in neuer Form auferstehen. [ Es gelingt ihm]…die Gegenwart so zu komprimieren, dass deren Essenz nach Zukunft schmeckt. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit.“

Bilder unserer Zeit, in einem ganz anderen Sinne, aber von der Tagesaktualität keinen Silberstreifen weit entfernt, sind die druckgraphischen Arbeiten des Argentiniers Ral Veroni.
In seiner Serie: „Struggle for Life“ benutzt er als Bildträger entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu wertlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien; der Rest des alten wurde billig auf Flohmärkten verkauft. Seine künstlerische Wiederverwertung ist zunächst ein sehr sarkastischer Kommentar zu dieser finanzpolitischen Situation; und er gewinnt gerade am heutigen Tag, wo berichtet wird, dass der Staat Argentinien kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht, ungeplante Tagesaktualität. Erstaunlicherweise gewinnen diese wertlosen Geldscheine gerade durch seine künstlerischen Interventionen wieder an Wert – einen reellen, auf einer Preisliste darstellbaren, und einen ideellen Mehr-Wert, der vermutlich noch bedeutend höher einzuschätzen ist. Hier sei ein Hinweis in eigener Sache gestattet: Wenn auch Sie zu den krisengebeutelten Anlegern in leeren Wertpapieren gehören: Kunst lohnt sich immer!
Zu der Aktion „Struggle for Life“ gibt es auch ein Video Eduardo Orenstein zu sehen.

Eine zweite Serie des Künstlers heißt „Lottery“: Hier schuf Ral Veroni sein eigenes Lotterie-Programm, indem er Lotteriescheine, die verfallen waren, neu bedruckte und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder einfügte. Die endlose, immer unerfüllte und leere Hoffnung nach dem großen Glück nimmt Ral Veroni hier auf eine ironische, und doch ganz poetische Weise aufs Korn, indem er den wertlosen Scheinen wiederum den Mehrwert der Kunst darauf und den Wert des Ideellen gleichsam darüber setzt. „Mink – schmink – money – schmoney,; what have you got if you haven’t got love“ sang schon Eartha Kitt vor 50 Jahren, als ironischen Kommentar zur Konsum-Orientierung ihrer Zeit.
Kommentare zu aktuellen Fragestellungen kann sich auch Michael Golf nicht verkneifen.
Als Reaktion auf eine Umfrage unter Deutschen, wie die Farben auf der Bundesflagge angeordnet sind, hat er drei Aludibondplatten bedruckt, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind. Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.
Aber Vorsicht: Wer falsch rubbelt, kann sich natürlich auch hier blamieren!
So wie diese Umfrage Ausgangspunkt für Michael Golfs Rubbel-Siebdrucke waren, so ist es häufig die Besonderheit einer Situation, die er vorfindet, auf die er reagiert – und dabei bietet ihm das Medium des Siebdrucks einen schier unerschöpflichen Handlungsspielraum. So nutzte er bei einem Indien-Aufenthalt das spezielle Licht dieser Region für eine Siebdruckserie, indem er beschichtete Siebe unter das flirrende Blätterdach von Bäumen legte, und die irisierenden Sonnenstrahlen die Belichtungsarbeit erledigen ließ. Eine wunderbar poetische Serie mit unscharf verfließenden Rändern, changierend zwischen Konkretion und Abstraktion entstand auf diese Weise.
Gerade in der radikalen Beschränkung auf das Medium des Siebdrucks und dem steten Experiment mit dessen Ausdrucks- und Einsatzmöglichkeiten gelingt es ihm, einer scheinbaren Reduktion auf technische Machbarkeit ein Höchstmaß an Poesie zu entlocken. So druckte er einmal einen Biberschwanz. Er verwandte darauf so viele Druckvorgänge, bis die Darstellung des Schwanzes eine ebensolche Dicke hatte wie das reale Vorbild. Eine weitere Arbeit in dieser Ausstellung zeigt eine Auflage von Papierstreifen, welche in ihrer Mitte lediglich eine dünne Linie aufgedruckt haben. Durch ihre Überlagerung erhöht sich der minimale Farbauftrag so, dass er dreidimensionale, ja haptische Qualität bekommt.
Manchmal reagiert Michael Golf aber auch umgekehrt auf Vorlagen der Poesie. Den Satz Wiliam Shakespeares „Es ist Sparsamkeit im Himmel, sie bliesen aus die Kerzen“ druckte er mit goldener Rubbelfarbe auf schwarzen Hintergrund. Wenn man an dem Text rubbelte – wurde es dunkel.

Poesie und Sprache sind auch die Ausgangssituation für die Wandinstallation von Alicia Vela. Eine Passage aus dem Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ von Roland Barthes steht im Zentrum dieser Arbeit. In selten gewordener Handschrift, wie in einem persönlichen Tagebuch, ist der Text direkt auf die Wand geschrieben. Der Eindruck von Intimität wird noch verstärkt durch den Schleier, der vor diese Handschrift gelegt ist und der durch die beiden aufgedruckten Mädchenfiguren bewacht wird. Sie wirken wie aus einem Märchenbuch entsprungen und lassen den Betrachter noch mehr zögern, den Bann zu brechen und den Schleier zu lüften. Magie und Märchen, Bann- und Zaubersprüche waren ja die Ursprünge der zunächst schriftlosen Poesie und stehen auch für eine unwiederbringliche Zeit unschuldig naiver Zuversicht, in der das Wünschen noch geholfen hat. Wenn der Schleier (span. velo) geöffnet wird, ist der Zauber gebrochen, der Text bietet sich dar, doch seine Entzauberung geht über in einen neuen Zustand beinahe unerhörter, geheimnisvoller Lebendigkeit und legt sich wie ein weiterer Schleier über das Ich des Eindringenden, der einem Akt höchster Intimität gleicht:
„Die Sprache ist eine Haut; ich reibe meine Sprache an einer anderen. So als hätte ich Worte an Stelle von Fingern, oder Finger an den Enden meiner Worte. Meine Sprache zittert vor Begierde…“ (R. Barthes)

Der Siebdruck der beiden bedeutungsoffenen Figuren verknüpft dabei wie ein Kettfaden die tradierten, erinnerten und erdachten Textfäden zu einem feinst versponnenen Gewebe, deren assoziative Textur eine pulsierende Energie freisetzt, welche selbst ohne Berührung den Schleier zum Wehen zu bringen vermag.

Diese assoziative Vermischung und Verwischung von Grenzen verbildlicht sich, ja nimmt konkrete Form an in der Arbeit von Gesa Puell. Es sind Schatten an der Wand, die langsam aus der Wand wachsen, Form annehmen und wieder verschwinden, sich immer an der Grenze zwischen 2- und 3-Dimensionalität bewegend, doch niemals eigentlich richtig greifbar und niemals auch logisch richtig zu fassen – denn sie verhalten sich auch widerspenstig gegen das Raumlicht, bilden selbst wieder Schatten, die dann sogar auf sie selbst fallen können und dann die Form wieder aufheben, die ohnehin einen stets illusionären Charakter hat.
Das Amorphe der Formen tut ein Weiteres zu dieser Ungreifbarkeit, zu diesem Vexierbild an Unfassbarkeit. Wo hört was auf, wo fängt was an?
Geschickt gelingt es Gesa Puell, durch eine kunstvolle Kombination von Siebdruck auf Papier und Glasgriesel auf kaschierten PU-Schaumformen die Grenzen zwischen Fläche und Form aufzulösen in ein ständig kippendes Spiel der Dimensionen. So ensteht ein pulsierender Dialog zwischen den Formen und ihren Schatten, die sich ständig gegenseitig befragen und verändern, von einander weg- oder aufeinander zugehen, ständig die Grenzen sprengend nicht nur unserer Erwartungen an die Eigenschaften eines Schattens, sondern sogar die der realen Vorgaben der Wand und des Lichts.
Nichts könnte schöner die Intentionen und den Titel dieser Ausstellung verdeutlichen: Eine pulsierende Schnittstelle zu sein zwischen den unterschiedlichsten Vektoren künstlerischen Ausdrucks, welche immer eines beweisen: Die Kraft, die Zeitgemäßheit und die Unbegrenztheit der hier verwendeten künstlerischen Medien und der Kunst überhaupt.

Franz Schneider, 2008

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