Kategorie: Ausstellung

Jon Groom | Rupert Eder

Aquarelle & Malerei

 

Eröffnung: Freitag, 11. Juli 2008, 20:00 Uhr 

Einführung: Ivo Ringe, Köln

12. Juli – 03. August 2008
do – so 15:00 – 18:00 Uhr
sowie bis 05. September auf Nachfrage

Führungen durch die Ausstellung
an den Sonntagen 20. Juli und 03. August, jeweils 16:00 Uhr

Die großformatigen Aquarelle der Ausstellung enstanden unmittelbar vor Ort
am 8. und 9. Juli 2008

Jon Groom

Jon Groom, DAYLIGHT WINDOW, 2005, Acryl und Pigment auf Aluminium, 49,5 x 49,5 cm

“Die Malerei ist ein Weg, die Komplexität der Existenz zu vereinfachen.“

Jon Groom wurde 1953 in Wales geboren, studierte Kunst von 1971-1978, bis hin zu einem Master of Fine Arts Diplom, verliehen von der Chelsea School of Art. Danach ging er mit einem Boise Stipendium der University of London nach Amerika. Seit 1978 wurde Grooms Werk auf breiter internationaler Ebene ausgestellt, darunter in London, New York, München, Mexiko City und Mailand. 1994 zeigte die Städtische Galerie im Lenbachhaus München einen umfassenden Überblick über Grooms Werk. 1997 stellte Groom im Luis Barragan Museum in Mexiko City aus und unlängst zeigte das Ludwig Museum Koblenz Grooms großformatige Gemälde. In diesem Jahr war Grooms Werk bei Osborne Samuel, London, in der Ausstellung „Masterpieces of Modern British Art: Selected works from the Derek Williams Trust and National Museum of Wales“ zu sehen.
Seit 1988 unterhält Groom ein Studio in München. Er lebte für einige Zeit in New York und Italien und hat bis vor kurzem einen Großteil des Jahres in Wales verbracht. In den letzten fünf Jahren reiste und arbeitete Groom intensiv durch und in Indien.

“Die Malerei schafft einen Raum, der Künstler arbeitet, um diesem Raum Bedeutung zu geben, um ihn mit ungesagtem Schweigen zu füllen, das über unser Verständnis hinausgehen kann in den Bereich der Tiefe.“

Grooms Werk kann in drei Bereiche unterteilt werden: Gemälde, Aquarelle und Wandarbeiten (Wandmalereien und großformatige mehrblättrige Aquarelle).
Durch die ständige Bezugnahme auf ein reduziertes Vokabular und dessen Wiederholung könnte man Grooms Werk mit einem Mandala oder Mantra vergleichen, durch das versucht wird, unsere visuelle Welt zu verdeutlichen. “Es ist essenziell, Kunst zu machen, deren Sinn in der Tiefe liegt und die unsere Seele direkt anspricht. Die visuellen Aspekte der Geometrie, wie sie bei Plato diskutiert werden, die Komplexität der Farbe und deren Symbiose müssen zu einer Kunst führen, die wie Nahrung für die Seele ist.”

“Jon Grooms Werke zeugen von dieser beständigen Auseinandersetzung mit der Malerei, der Natur, der Reflexion über Sein und Schönheit. Sie lassen teilhaben an den Läuterungen, die der Künstler selbst durchschreitet, im festen Willen, sich selbst zu perfektionieren und sich nicht zu begnügen mit einer – möglicherweise falschen – Wahrheit, sondern um den Gedanken und Anschauungen eine Gültigkeit jenseits der eigenen Subjektivität zu verleihen.” (Reifenscheid, Beate, The Transmission of Color, Jon Groom – Between the Light, Prestel Verlag, 2006)

“Painting is a journey to simplify the complexity of existence”

Jon Groom was born in Wales in 1953, studied Art from 1971-1978 culminating in a Master of Fine Arts Degree awarded by the Chelsea School of Art. He then traveled to America on a Boise Scholarship from the University of London. Since 1978 Groom’s work has been exhibited extensively around the world, including London, New York, Munich, Mexico City and Milan. In 1994 a major survey of Groom’s work was shown in the Städtische Galerie Lenbachhaus, Munich. In 1997 Groom exhibited in the Luis Barragan Museum in Mexico City. Recently Groom showed large-scale paintings at Ludwig Museum Koblenz and this year his work was included in an exhibition in London at Osborne Samuel entitled Masterpieces of Modern British Art: Selected works from the Derek Williams Trust and National Museum of Wales.
Since 1988 Groom has maintained a studio in Munich, Germany. He has lived for periods of time in New York and Italy and until recently spent much of each year in Wales, UK. For the last five years Groom has worked and traveled extensively in India.

“Painting creates a space, the artist works to give that space meaning, to fill it with unspoken silence which can go beyond our understanding into the realm of profundity.”

Groom’s work can be divided into three practices: the paintings, the watercolors and the wall works (wall paintings and large-scale multiple aquarelle paperwork’s).
By constantly referring to a reduced vocabulary and its repetition Grooms work can be compared to a Mandala or Mantra, seeking to clarify our visual world. “It is essential to make art which is deeply significant and which speaks directly to our souls. The visual aspects of geometry as discussed in Plato, the complexity of color and their symbioses must lead to an art work which is like food for the soul.”

“Jon Groom’s works bare evidence of this constant confrontation with painting, nature, and reflections on existence and beauty. They allow participation in the purifications that the artist himself undergoes, in the firm resolve to perfect himself and not to be content with a – possibly false – truth, but to confer validity on thoughts and views beyond his own subjectivity.” (Reifenscheid, Beate, The Transmission of Color, Jon Groom – Between the Light, Prestel Verlag, 2006)

Rupert Eder

Rupert Eder schließt mit seinen Arbeiten an die Tradition der gegenstandsfreien Malerei der Moderne an – einer Kunstform, die sich auf das Wesentliche konzentriert. In seiner künstlerischen Entwicklung setzt sich Eder immer wieder aufs Neue mit den Bedingungen und Möglichkeiten der Malerei auseinander und entwickelt dabei eine unverkennbare, eigene Bildsprache von Farbe, Form und Komposition.

Eder arbeitet seit 15 Jahren an seinem malerischen Werk. In den Leinwandbildern und Arbeiten auf Papier zeigt sich seine konsequente Position, bei der die Bildidee und die Bildfindung im Vordergrund stehen. Die Arbeiten laden zum aufmerksamen Betrachten ein, der langsame Blick entdeckt die ästhetische Schönheit und die Unmittelbarkeit des Erlebens seiner Bilder, die eine emotionale Qualität in sich bergen, wie wir sie beispielsweise auch aus der Musik oder der Literatur kennen.

In seiner frühen 360°-Serie hat Eder begonnen, Kreis, Quadrat und Rechteck zu verbinden, ohne dass die Form tatsächlich vorkam, sie hat sich ausschließlich in der Bewegung der vier rotorenartig verlaufenden Farbbalken gezeigt und durch die Überlagerung der breiten Pinselstriche gefunden.
Im weiteren Entwicklungsprozess ist er dazu übergegangen, die TOMBE, eine wabenartige Struktur, die der Künstler in Italien in einem etruskischen Felsengrab entdeckt hat, als Bildsprache zu formulieren.
Die beiden malerischen Erfahrungen haben sich verschmolzen, indem der Künstler begann, die Struktur der 360°-Bilder neben- und untereinander wabenähnlich auf einer Leinwand anzuordnen. Diese Bildneufindung hat sich zu den ersten ROTOR-Arbeiten verselbständigt:

Mit dem spürbaren Gestus der Pinselführung baut Eder aus jeweils vier Farbbalken rechtwinklige Binnenformen auf, deren Mitte ausgespart wird. Diese breiten Farbfelder fügen sich häufig aus mehreren nebeneinander gesetzten Pinselstrichen zusammen, die sich an den Eckpunkten überlagern und dort zu neuen Farbmischungen und -wirkungen führen. Die Farben nehmen raumgreifende Ausmaße an, indem sie in ihre Umgebung ausstrahlen und als Farbenergie wahrnehmbar werden. Innerhalb eines Rotors gibt es ein gewisses, rein malerisches System in der Wahl der Farben, das der Künstler intuitiv im Malprozess entscheidet, je nachdem, wie er das Bild gewichten will. Vor allem aber wird in diesen Arbeiten die sich schier endlos fortsetzende Farbbewegung betont.
Im formalen Aufbau des Geflechts entstehen nicht-hierarchische Strukturen – Bilder ohne Vordergrund, ohne Hintergrund, ohne Fluchtpunkt oder Zentrum – indem sich die Elemente kreuzen und überschneiden, Querverbindungen schaffen, und sich somit verselbständigen und unendlich fortzusetzen scheinen. Durch ihre Anschnitte am Bildrand rufen die Werke beim Betrachten das Gefühl hervor, als seien sie lediglich ein Ausschnitt, ein Detail aus einem größeren Ganzen, das sich allerdings nicht offenbart. Die Bildorganisation der ROTOR-Arbeiten ist dezentralisiert, was sich auch in diesen Anschnitten am Rand widerspiegelt, und was sich in den neueren CUT UP-Bildern fortsetzt.

CUT UP bezeichnet die Technik, die vor allem in der Literatur Anwendung fand (beispielsweise bei William S. Borroughs): Texte werden wortwörtlich zerschnitten und auf eine andere Weise wieder zusammengefügt, oder, wie beim FOLD IN, jeweils in der Mitte gefaltet und parallel nebeneinander gelegt, so dass auf spielerische Weise neue Kontexte und Sinnstrukturen geschaffen werden.
Bei Eders CUT UPs passiert das Gleiche, indem er die Form auseinander schneidet und verschiebt, wobei ein neues malerisches Bild entsteht, bei dem sich alle Teile zu einem stimmigen Ganzen fügen. An manchen Randstellen der zwei- oder dreiteiligen Bilder treffen die Formen wieder zusammen, an anderen Stellen dagegen nicht. Daraus entsteht aus einer Grundform und ihren Variationen eine neue malerische Sinnstruktur. Frühe Formen wie die TOMBE tauchen auch in diesen jüngeren Arbeiten wieder auf, aber verselbständigen sich als eigene, neue Bildsprache.

Wie der Überblick über sein bisheriges Schaffen zeigt, hat Eder sein bildnerisches Vokabular bereits in seinen frühen Arbeiten klar formuliert und setzt dieses in seiner weiteren Entwicklung konsequent fort. Es handelt sich dabei um eine gegenstandsfreie Malerei, in der sich Formen zeigen und zu Bildern generieren. Für Rupert Eder ist dies ein Ausweg aus dem Dilemma mit der wirklichkeitsnahen Darstellung und der Frage, was man abbilden will und kann.
Nanna Preußners

Was ich hier mache, ist reines Tun, reines Handeln, und daraus entstehen die Bilder, ohne einen theoretischen Überbau, ohne eine Vorlage aus der Wirklichkeit, es ist ein reines Arbeiten und Vorankommen mit der Malerei. Und das ist schon sehr spannend. Man kann meine Werke eben auch ausschließlich phänomeno-logisch betrachten: Was ist da? Was sehen wir?
Rupert Eder

Arbeit an den Aquarellen

im Gotischen Stadel, 8. u. 9. Juli 2008
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Johanna Schweizer | Leonie Ruissen

Textile Objekte und Installationen


Kuratiert von Dorien Eggink und Paul Hagenaars, Stichting Idee Fixe, Breda, NL

Mit freundlicher Unterstützung durch
die Botschaft der Niederlande in Berlin

Eröffnung: Freitag, 12. September 2008
im Rahmen der 3. Landshuter Kunstnacht 19.00 – 23.00 Uhr

20.30 Uhr: Poetry-Performance von Leonie Ruissen

Ausstellungsadauer:
13. September – 05. Oktober 2008
do – so 15.00 – 18.00 Uhr

Gleichzeitig zeigt das Kinoptikum Landshut
in Kooperation mit der Neuen Galerie Landshut
»Sterne aus dem Videopalast« – junge deutsche Videokunst
zusammengestellt von Spunk Seipel, Berlin – Edition UMELEC
am Freitag, 12.09. von 20.00 bis 23.00 Uhr
sowie am Sonntag, 05.10. um 19.00 Uhr

3. Landshuter Kunstnacht

DIE NEUE GALERIE LANDSHUT BETEILIGT SICH MIT DER AUSSTELLUNG
„JOHANNA SCHWEIZER | LEONIE RUISSEN – TEXTILE KUNST AUS DEN NIEDERLANDEN“
SOWIE MIT DEM VIDEOPROJEKT
„STERNE AUS DEM VIDEOPALAST“
(IN KOOPERATION MIT DEM KINOPTIKUM LANDSHUT)
AN DER 3. KUNSTNACHT.

Alle Informationen können auch der Website zur Kunstnacht bzw. aus dem Booklet zur Kunstnacht entnommen werden.

JOHANNA SCHWEIZER

Mit Johanna Schweizer (*1946) und Leonie Ruissen (*1984) zeigen zwei niederländische Künstlerinnen aus zwei Generationen einen sehr speziellen, burlesken Umgang mit textiler Objekt-Kunst, in der sich verschiedenste Ebenen von Wirklichkeit bunt vermischen und märchenhafte Blüten treiben.

Johanna Schweizer verbindet herkömmliche Produktionsweise mit modernen Werkstoffen wie Polyester.

„Ich greife zurück auf die traditionelle Produktionsweise der Häkelarbeit, die man üblicherweise assoziert mit gutbürgerlicher Häuslichkeit. Diese aber kontrastiert mit der Darstellung schamloser Nacktheit oder der Zurschaustellung menschlicher Verwundbarkeit.“

LEONIE RUISSEN

Leonie Ruissen mischt pflanzliche Elemente und Versatzstücke des Alltags aus genähtem Filz zu einer oft wild wuchernden Vegetation.

„Ich strebe danach, vollständig in den Dingen um mich herum aufzugehen.
Ich will eine Brücke bauen zwischen der Welt tief in mir drin und der Welt außerhalb von mir, so dass die Schönheit, die in allem enthalten ist, und die oft eine andere, besondere Sprache spricht, ans Licht kommt.“

Sterne aus dem Videopalast


Zur 3. Landshuter Kunstnacht zeigt das Kinoptikum Landshut in Kooperation mit der Neuen Galerie Landshut

STERNE AUS DEM VIDEOPALAST – NONSTOP VON 20:00 – 23:00 UHR

Präsentation der von Spunk Seipel zusammengestellten und von der Eastern Alliance bzw. dem Umelec Magazin herausgegebenden Videoedition „Sterne aus dem Videopalast“. In dieser Edition würdigt Eastern Alliance zum ersten Mal die
junge Videoszene in einem Land, das nicht in Osteuropa liegt – sie versammelt 27 Videoarbeit junger deutscher Videokünstler und -künstlerinnen.

DIE COMPILATION IST NOCH EINMAL ZU SEHEN AM SONNTAG, 05. OKTOBER, 19:00

Aus dem Booklett:
„Deutschland hat eine große Tradition im künstlerischen Film. So ist es kein Wunder, dass mit dem Aufkommen der neuen Videotechnik vor nunmehr 40 Jahren Künstler dieses Medium für sich genutzt haben. Auch in den Galerien und Museen wurde Video relativ früh als Kunstform akzeptiert. In den 90er Jahren gab es dann einen geradezu rauschhaften Boom von Videokunst. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass Sammler inzwischen Spitzenpreise für Videokunst zahlen.

Videokunst ist heute ein so selbstverständliches Medium, dass inzwischen fast alle Künstler, auch Maler und Fotografen, gelegentlich zu Video als Ausdrucksform greifen. Das bedeutet auch, da die Grenzen zu konventionelleren Gattungen wie Musik-, Dokumentar- und Spielfilmvideo nicht immer klar definiert werden können und sollen, dass die Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten mittels Video immer größer wurde.

In dieser Edition zeigen wir eine möglichst große Vielfalt dieser verschiedenen Stile und Techniken, auch wenn natürlich Videoinstallationen oder längere Videofilme hier nicht gezeigt werden können. Wir präsentieren hier einen Querschnitt der jungen Videokunstszene in Deutschland. Natürlich kann dies nur ein kleiner Einblick in die riesige Videokunstszene sein. Aber die gezeigten Künstler und Filme stehen exemplarisch für das aktuelle Geschehen in Deutschland.“ (Spunk Seipel)

Programm:
Sylvie Boisseau/Frank Westermeyer – Meine Familie Und Ich
Ulu Braun/Alexej Tschernyi – Fish Soup
Nine Budde – Huck (Go Wes T)
Tim Coe – 0-8-15
Helmut Dick – Sunday Afternoon
Judith Egger – Biotopie
Martin Erlenmaier – Jubel
Dorotea Etzler – To Go S Trange
Dietmar Fleischer – Dranbleiben
Heike Gallmeier – Protobobs
Florian Gwinner – Das Model
Alexander Györfi – Pimui Home Recording With C Arsen Erobique Meier
Philipp Hartmann/F.K.Flumen – Kas Traten Und Männer
Gab Heller – For The Birds
Philip Hirsch – In
Susane Huth – Run
David Krippendorff – Blame
Andy Leuenberger – Boom Boom Boogie
Maix Mayer – Ideal Cit Y
Lars Nagler – Grid
Sladjan Nedeljkovic – Transformers
Kristoper Paetau – Artforumaccident
Oliver Pietsch – Out
Nikki Schuster – Geis Ters Tunde
Stock‘N‘Wolf – Bob Log‘S Iii Electric Fence
Myriam Thyes – A Little Meditation
Franz Wanner – Pirt S

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Schnittstelle Druckgraphik II

Gesa Puell | Michael Golf | Ole Müller | Alicia Vela | Ral Veroni

Schnittstelle Druckgraphik II

SCHNITTSTELLE DRUCKGRAPHIK 2008
MICHAEL GOLF OLE MÜLLER GESA PUELL ALICIA VELA RAL VERONI
Eröffnung: Freitag, 24. Oktober 2008, 20:00 Uhr
Hierzu sind Sie und Ihre Freunde herzlich eingeladen!
25. Oktober – 16. November 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung: Sonntag, 09. und Sonntag, 16. November 2008, 15:00 Uhr

Gesa Puell


Der Titel der Ausstellung nimmt, wie in Schnittstelle Druckgraphik I, Bezug auf Arbeiten von Künstlern, die mit druckgrafischen Techniken (sowohl künstlerische Druckgrafik (Golf-Siebdruck, Puell – Lithografie, Vela – Stempeldruck, Veroni – Siebdruck), als auch kommerzielle Druckgrafik (Ole Müller, arbeitet mit vorhandenen gedruckten Medien)) arbeiten, diese aber über den klassisch angewandten Bereich hinaus nehmen.
Gesa Puell beklebt eine der Wände in der Galerie mit bedruckten Tapeten , – die gesamte Wand erscheint in einem flirrigen Schwarz.Weiß-Gekrissel, aus der Wand „wachsen“ Objekte, die die selbe Oberflächenstruktur aufweisen, der Übergang zwischen 2- und 3-Dimensionalen verwischt.

Ole Mueller


Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters dienen Ole Müller als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk.
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen“rückgebaut“ zu werden. … So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit. (A. v. W.)

Michael Golf


Michael Golf zeigt drei bedruckte Aludibondplatten, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind (siehe auch beiliegende Fotos). Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.

Alicia Vela


Alicia Vela wird aus Barcelona mit gefertigten Stempeln kommen und sich auf die Räumlichkeiten der Galerie einlassen

Ral Veroni

 Ral Veroni, Argentinien präsentiert 2 Projekte:

Struggle for Life: entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu werlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien, der Rest wurde billig auf Flohmärkten verkauft.
Hierzu gibt es einen Video von Eduardo Orenstein.

Lottery: Ral Veroni schafft sein eigenes Lottery Programm, Looteriescheine, die verfallen sind werden neu bedruckt und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder eingefügt.

Schnittstelle Druckgraphik 2008

Schnittstelle Druckgraphik II“ lautet der Titel dieser Ausstellung . Wie in der Vorgängershow im Jahr 2000 mit Christine Zoche, Jakob Kirchheim und Jonathan Cassels versammelt Gesa Puell auch dieses Mal Positionen, die sich einerseits, mehr oder weniger klar, zur Druckgraphik als zeitgemäßes künstlerisches Ausdrucksmittel bekennen, und diese aber andererseits in unterschiedliche Grenzbereiche hin verfolgen und überschreiten. Was die Objekte, Installationen, Bilder und dokumentierte Aktionen dieser Ausstellung also verbindet, was sozusagen ihre Schnittstelle darstellt, ist die Verwendung der Druckgraphik als künstlerisches Medium.
Nicht immer wird dies sofort deutlich. So etwa bei den Wandobjekten von Ole Müller, in denen Druckgraphik nur noch in ihrer angewandten Form wieder-verwendet wird.
Es handelt sich nämlich um Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters, die ihm als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk dienen – um Druck-Graphik in einem ganz anderen Sinne:
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene, übereinander geschichtete, gedrehte, zerknüllte oder sonst vorbehandelte Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen „rückgebaut“ zu werden. … Der schließlich als Firnis aufgetragene Lack hat eine zusätzliche archäologische Wirkung, da er durch die oberen Schichten dringt und so darunter liegende wieder freilegt und durchscheinen lässt. So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Sie erlauben aber auch einen Blick auf ästhetische Phänomene ihrer Ursprungsprodukte: Bei den beiden großen Wandobjekten etwa wurden für das linke Ausgaben der Brigitte, einer Zeitschrift für die reifere Frau verwendet, in der rechten solche des Girlie-Magazins Bravo-Girl. Der Unterschied in der vom Künstler nicht manipulierten Farbpalette ist doch eklatant.
„In konsequent täglicher Arbeit ringt Ole Müller“, wie der vor kurzem so früh verstorbene Andreas von Weizsäcker es beschreibt, „ringt der Künstler die Zeugnisse der Informationsflut nieder, lässt sie in neuer Form auferstehen. [ Es gelingt ihm]…die Gegenwart so zu komprimieren, dass deren Essenz nach Zukunft schmeckt. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit.“

Bilder unserer Zeit, in einem ganz anderen Sinne, aber von der Tagesaktualität keinen Silberstreifen weit entfernt, sind die druckgraphischen Arbeiten des Argentiniers Ral Veroni.
In seiner Serie: „Struggle for Life“ benutzt er als Bildträger entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu wertlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien; der Rest des alten wurde billig auf Flohmärkten verkauft. Seine künstlerische Wiederverwertung ist zunächst ein sehr sarkastischer Kommentar zu dieser finanzpolitischen Situation; und er gewinnt gerade am heutigen Tag, wo berichtet wird, dass der Staat Argentinien kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht, ungeplante Tagesaktualität. Erstaunlicherweise gewinnen diese wertlosen Geldscheine gerade durch seine künstlerischen Interventionen wieder an Wert – einen reellen, auf einer Preisliste darstellbaren, und einen ideellen Mehr-Wert, der vermutlich noch bedeutend höher einzuschätzen ist. Hier sei ein Hinweis in eigener Sache gestattet: Wenn auch Sie zu den krisengebeutelten Anlegern in leeren Wertpapieren gehören: Kunst lohnt sich immer!
Zu der Aktion „Struggle for Life“ gibt es auch ein Video Eduardo Orenstein zu sehen.

Eine zweite Serie des Künstlers heißt „Lottery“: Hier schuf Ral Veroni sein eigenes Lotterie-Programm, indem er Lotteriescheine, die verfallen waren, neu bedruckte und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder einfügte. Die endlose, immer unerfüllte und leere Hoffnung nach dem großen Glück nimmt Ral Veroni hier auf eine ironische, und doch ganz poetische Weise aufs Korn, indem er den wertlosen Scheinen wiederum den Mehrwert der Kunst darauf und den Wert des Ideellen gleichsam darüber setzt. „Mink – schmink – money – schmoney,; what have you got if you haven’t got love“ sang schon Eartha Kitt vor 50 Jahren, als ironischen Kommentar zur Konsum-Orientierung ihrer Zeit.
Kommentare zu aktuellen Fragestellungen kann sich auch Michael Golf nicht verkneifen.
Als Reaktion auf eine Umfrage unter Deutschen, wie die Farben auf der Bundesflagge angeordnet sind, hat er drei Aludibondplatten bedruckt, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind. Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.
Aber Vorsicht: Wer falsch rubbelt, kann sich natürlich auch hier blamieren!
So wie diese Umfrage Ausgangspunkt für Michael Golfs Rubbel-Siebdrucke waren, so ist es häufig die Besonderheit einer Situation, die er vorfindet, auf die er reagiert – und dabei bietet ihm das Medium des Siebdrucks einen schier unerschöpflichen Handlungsspielraum. So nutzte er bei einem Indien-Aufenthalt das spezielle Licht dieser Region für eine Siebdruckserie, indem er beschichtete Siebe unter das flirrende Blätterdach von Bäumen legte, und die irisierenden Sonnenstrahlen die Belichtungsarbeit erledigen ließ. Eine wunderbar poetische Serie mit unscharf verfließenden Rändern, changierend zwischen Konkretion und Abstraktion entstand auf diese Weise.
Gerade in der radikalen Beschränkung auf das Medium des Siebdrucks und dem steten Experiment mit dessen Ausdrucks- und Einsatzmöglichkeiten gelingt es ihm, einer scheinbaren Reduktion auf technische Machbarkeit ein Höchstmaß an Poesie zu entlocken. So druckte er einmal einen Biberschwanz. Er verwandte darauf so viele Druckvorgänge, bis die Darstellung des Schwanzes eine ebensolche Dicke hatte wie das reale Vorbild. Eine weitere Arbeit in dieser Ausstellung zeigt eine Auflage von Papierstreifen, welche in ihrer Mitte lediglich eine dünne Linie aufgedruckt haben. Durch ihre Überlagerung erhöht sich der minimale Farbauftrag so, dass er dreidimensionale, ja haptische Qualität bekommt.
Manchmal reagiert Michael Golf aber auch umgekehrt auf Vorlagen der Poesie. Den Satz Wiliam Shakespeares „Es ist Sparsamkeit im Himmel, sie bliesen aus die Kerzen“ druckte er mit goldener Rubbelfarbe auf schwarzen Hintergrund. Wenn man an dem Text rubbelte – wurde es dunkel.

Poesie und Sprache sind auch die Ausgangssituation für die Wandinstallation von Alicia Vela. Eine Passage aus dem Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ von Roland Barthes steht im Zentrum dieser Arbeit. In selten gewordener Handschrift, wie in einem persönlichen Tagebuch, ist der Text direkt auf die Wand geschrieben. Der Eindruck von Intimität wird noch verstärkt durch den Schleier, der vor diese Handschrift gelegt ist und der durch die beiden aufgedruckten Mädchenfiguren bewacht wird. Sie wirken wie aus einem Märchenbuch entsprungen und lassen den Betrachter noch mehr zögern, den Bann zu brechen und den Schleier zu lüften. Magie und Märchen, Bann- und Zaubersprüche waren ja die Ursprünge der zunächst schriftlosen Poesie und stehen auch für eine unwiederbringliche Zeit unschuldig naiver Zuversicht, in der das Wünschen noch geholfen hat. Wenn der Schleier (span. velo) geöffnet wird, ist der Zauber gebrochen, der Text bietet sich dar, doch seine Entzauberung geht über in einen neuen Zustand beinahe unerhörter, geheimnisvoller Lebendigkeit und legt sich wie ein weiterer Schleier über das Ich des Eindringenden, der einem Akt höchster Intimität gleicht:
„Die Sprache ist eine Haut; ich reibe meine Sprache an einer anderen. So als hätte ich Worte an Stelle von Fingern, oder Finger an den Enden meiner Worte. Meine Sprache zittert vor Begierde…“ (R. Barthes)

Der Siebdruck der beiden bedeutungsoffenen Figuren verknüpft dabei wie ein Kettfaden die tradierten, erinnerten und erdachten Textfäden zu einem feinst versponnenen Gewebe, deren assoziative Textur eine pulsierende Energie freisetzt, welche selbst ohne Berührung den Schleier zum Wehen zu bringen vermag.

Diese assoziative Vermischung und Verwischung von Grenzen verbildlicht sich, ja nimmt konkrete Form an in der Arbeit von Gesa Puell. Es sind Schatten an der Wand, die langsam aus der Wand wachsen, Form annehmen und wieder verschwinden, sich immer an der Grenze zwischen 2- und 3-Dimensionalität bewegend, doch niemals eigentlich richtig greifbar und niemals auch logisch richtig zu fassen – denn sie verhalten sich auch widerspenstig gegen das Raumlicht, bilden selbst wieder Schatten, die dann sogar auf sie selbst fallen können und dann die Form wieder aufheben, die ohnehin einen stets illusionären Charakter hat.
Das Amorphe der Formen tut ein Weiteres zu dieser Ungreifbarkeit, zu diesem Vexierbild an Unfassbarkeit. Wo hört was auf, wo fängt was an?
Geschickt gelingt es Gesa Puell, durch eine kunstvolle Kombination von Siebdruck auf Papier und Glasgriesel auf kaschierten PU-Schaumformen die Grenzen zwischen Fläche und Form aufzulösen in ein ständig kippendes Spiel der Dimensionen. So ensteht ein pulsierender Dialog zwischen den Formen und ihren Schatten, die sich ständig gegenseitig befragen und verändern, von einander weg- oder aufeinander zugehen, ständig die Grenzen sprengend nicht nur unserer Erwartungen an die Eigenschaften eines Schattens, sondern sogar die der realen Vorgaben der Wand und des Lichts.
Nichts könnte schöner die Intentionen und den Titel dieser Ausstellung verdeutlichen: Eine pulsierende Schnittstelle zu sein zwischen den unterschiedlichsten Vektoren künstlerischen Ausdrucks, welche immer eines beweisen: Die Kraft, die Zeitgemäßheit und die Unbegrenztheit der hier verwendeten künstlerischen Medien und der Kunst überhaupt.

Franz Schneider, 2008

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Heiner-Matthias Priesnitz


HEINER-MATTHIAS PRIESNITZ
Zeichnungen aus den letzten Jahren
Eröffnung: Freitag, 05. Dezember 2008, 20:00 Uhr
Einführungstext: Heinzgert Friese, Hannover
Musik: Daniel Hoffmann, Cello | Johannes Strake, Violine

06. Dezember – 28. Dezember 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. In jahrelanger Weiterentwicklung sind Motiv-Serien entstanden, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium und den Akt des Zeichnens: das Verhältnis von (viel) Licht und (wenig) Dunkel, von Groß und Klein, zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.
Das Auge des Betrachters erfasst erst allmählich die auf den Bildern dargestellten Motive. Konturen, erzeugen Räumlichkeit, lösen sich jedoch in die Bildtiefe hinein auf. Die auf visuelle Zurückhaltung bedachte Zeichentechnik versagt ihnen die Illusion materieller Präsenz. Die meisten Arbeiten von Heiner-Matthias Priesnitz sind drucktechnisch nicht zu vervielfältigen. „Entgegen einer zeitgenössischen Kulturtendenz, Informationen zu aggressivieren, besteht die direkte Vermittlungsform meiner Arbeiten auf der Authentizität des Dialoges zwischen Bild und Betrachter.“ Heiner-Mattias Priesnitz ist am subtilen Gleichgewicht zwischen Helligkeit und Dunkelheit, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen Entspannung und Bedrohung interessiert. Je nachdem, wie sich Licht, Schatten und Dunkelheit auf seinen Zeichnungen zusammensetzen, je nachdem, wie die Bildarchitektur gebaut und perspektivisch angedeutet wird, entstehen Stimmungen zwischen romantischer Überhöhung und surrealer Klaustrophobie.

Heinzgert Friese

Schaufasten?

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. – Und kein Mensch nirgends. In jahrelanger, immer wieder unterbrochener und neuaufgenommener Arbeit sind Motiv-Serien entstanden, keine saisonalen Schnappschussgarben, sondern langzeitbelichtete Werkgruppen, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium des Zeichnens und den Akt desselben: das Verhältnis von Licht (viel) und Dunkel (wenig), von Groß und Klein (unklar), zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes, die wir immer mit einbringen müssen, allein schon wegen der Sehachse zum Bild – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.

Bilder sind oft Zäune, die uns den Blick dahinter verstellen, Einfriedungen unserer Augenweiden, Grenzen des sicheren Besitzes. Die Zäune von Priesnitz haben nicht nur offensichtlich diese Funktionen verloren, sondern sie weisen in eine gänzlich andere Dimension: in die Tiefe des Bildgrundes, den sie mit kalter Nadel versehren. Diese Zäune entgrenzen; sie öffnen den Grund, auf dem sie stehen.
Auch die drei kreisrunden Flecke oder aufgeblasenen Punkte erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht ganz geheure Durchbrüche ihrer Zeichen-Ebene: als eigenartige Löcher, die nicht durch einen festen Rand ’definiert’ sind, sondern durch eine bleierne Energie des Inneren. Die Assoziationen mögen von Steckdosen bis zu hypnotischen Blicken reichen. Beiden Assoziationen eignet ein bedrohliches, jedenfalls energisches Eindringen und Ausströmen zwischen Innen und Außen. Das ist etwas der Zeichen-Ebene von Hause aus Fremdes. Die Fläche der Bildordnung ist ja zunächst eine Trennwand zwischen den Vektoren – wenn auch die abendländische Malerei mit Raum-Illusionen zu Ruhm und vor allem zu ’Ansehen’ gekommen ist.
Zwar gibt uns Priesnitz plastische Gegenstände zu sehen. Seine Möbel aber sind fünfeckig. Diese eine Ecke mehr an ’Flügel’, Sarg oder Kommode macht uns haltlos durch den imaginären Raum schweben – und auf der Ebene der Zeichnung landen… Zeichnung reflektiert hier das Bild im Raum, in unserm Raum, als zusätzliche Dimension. Ein Raum, in dem ein Bild hängt, hat nämlich fünf Seiten.
Einer der glücklichsten Funde zum Durchspielen des Verhältnisses zwischen dem Flächennutzungsplan der Zeichnung und der Darstellung von Körper und Raum ist sein Haarnetz, das Priesnetz sozusagen. Die unendlich scheinende Sukzession der ersten Dimension, der Linie, der sich der Zeichner in müh-seliger Übung ohne ’Übersicht’ hingibt, gibt Netzbilder zurück, die eine zwischen Raum und Fläche oszillierende Wirklichkeit darstellen, die wir nur allzu oft nicht wahrnehmen wollen oder können.
Priesnitz’ Bilder gleichen Booten, die Haarnetze auswerfen, die unsere Augen fischen. Diese Meditationen über die Gesten des Zeichnens und des Sehens nehmen uns ein. Und schließlich: Stehen wir noch irgendwo, wenn wir, wie aus dem Flugzeug, auf die tief unter uns im gleißenden Licht eines südlichen Sommers gleitenden Boote blicken? Straucheln wir nicht, wenn das tief in das papierene Meer eingebettete Schiff unserer Blickfahrt Lichtschranken kreuzt, die nur auf der Fläche sind? – Es ’geht hier zu’ wie auf seinen Stilleben aus Gefäßen, die nichts fassen: Es sind Un-Still-Leben schwankender Parameter. Still stehen in dieser Motivgruppe die Gefäße wie Schauspieler eines unsichtbaren Mysteriums. Es sind Masken, und wir wissen nicht, was sie spielen. Das Geheimnis des Innen ist indessen das Geheimnis jeden künstlerischen Ausdrucks, jeden Ausdrucks, jeden Lebens. Priesnitz führt ins Geheimnis nicht durch Strategien des Verhüllens oder kokette Draperien, sondern durch eine an de Chirico geschulte physische Leere – Auf seinen Bildern ist nirgendwo kein Mensch: Er ist nämlich überall – nur nicht als dingfest gemachtes Objekt. Er steckt in den Bewegungen des realisierenden Sehens, zu denen die Bilder uns herausfordern.

1. Zäune
Seit acht Jahren arbeitet Priesnitz an diesen paradoxen Bildern, deren Sujet den Raum zumacht, während die Faktur den Raum durchbrechen will. Seit acht Jahren ritzt er piktogrammartig reduzierte Zeichen, die sich im Weg stehen, in Tafeln, die nie perforiert – aber durchaus versehrt werden. Im Unterschied zu den Schlitzbildern Fontanas kommt etwas an die Oberfläche zurück, das auf der Kippe ist zwischen der Bedeutung einer Linie und der einer Furche.
Diese Kippe ist ein nachhaltig intrigantes Konstrukt des ’Zeichners’. Hier hat er die scheinbar quadratischen Tafeln, Inbegriffe der Fläche, 1cm breiter als hoch geschnitten; wir nehmen also wohl etwas anderes ’wahr’ als wir sehen. Dieser eine Zentimeter mehr, den die Waagerechte hat, ist die Balancierstange für die Senkrechte, welche ein jeder Betrachter vor dem Bild darstellt und – ’einbringt’: Die Horizontale der Sehachse setzt sich fort (!) in der senkrechten Bodenbearbeitung des Bildgrundes: im Walzen des Grundes mit Acrylfarbe, in der Ritzung der Zäune mit der Kaltnadel. Die Betonung der Senkrechten setzt sich fort in den senkrechten Zaun-Planken, deren illusorische Senkrechte sogleich wieder auf die materielle Fläche kippt, zugunsten der Vertikale der physischen Ritzung, welche die Zäune macht – und zugunsten der Linie auf der Fläche, die sich aus der Fortbewegung des Ritzens ergibt.
Dagegen suchen die länglichen Kopflinien des einzelnen ’Zauns’ das Weite – gerade durch ihre oft diagonale Anlage in der Fläche, die entfernt an Perspektive erinnert. Aber sind das überhaupt Zäune? Bedeutungsschwanger weist die Gravität der aufgerissenen Gräben aller Richtungen nach unten. Sind das nicht Pflüge oder vergiftete Kämme? Oder Rechenpäckchen, die Zahl fünf symbolisierend? Jedenfalls würden diese Zäune nicht funktionieren: sie sind an jeder möglichen Ecke eines möglichen Territoriums offen. Trotz der Diagonalen markieren diese abstrakten Zeichen für ’Möbel’ und ‚Raum’ (eine Linie mit vier Füßen oder vier symbolischen Ecken) keine Perspektive im Raum. Eher bilden sie Barrikaden eines unübersichtlichen Labyrinthes, in welchem der Betrachter sich unversehens befindet, weil alle Gebilde gleich aussehen, keines entscheidend größer als das andere ist, keine Perspektive, keine ’Verjüngung’, keine ’Flucht’ gewährt wird. Unsere gestaltpsychologische Neigung, immer wieder einen Raum in diesem Bild sehen zu wollen, ist uns das wahre Labyrinth, das uns gehen heißt beim Sehen. – Aber natürlich ist es der Zeichner, der uns verführerisch zuwinkt, uns auffordert zu diesen Raumfantasien. Was für Raum aber sollte es sein, da es nicht der euklidische ist? Ich vermute, es ist der dem Medium der flachen Sichtbarkeit gegenüberstehende und deshalb ’entsprechende’ von Innen und Außen.

2. Löcher
Besonders rätselhaft sind auch die Löcherbilder. Wenn das Passepartout eine gewisse Proportion zu den drei Gebilden bietet, können wir eine kurze Weile vergrößerte Steckdosen vermuten, wobei der Rahmen dann aber zu einem reliefartigen Teil der Bilddarstellung wird, die andererseits nur durch negative Aussparungen definiert scheint: Löcher. Materielle Erhabenheit und dargestellte Tiefe und sonst nichts. – Aber das sind keine vertrauten Lochdarstellungen. Löcher haben Ränder, sichtbar an der Scheidelinie von Licht und Schatten. Genauer: nicht die Löcher ’haben’ die Ränder, sondern das Feste drum herum. Hier aber bestehen ’Löcher’ aus ihrem Inhalt, aus Kohle-Staub. Natürlich ist ’Inhalt’ eine Fiktion, denn die Darstellungen sind eine Auflage des Kohlenstiftes auf dem Karton. Was da im Übergang von Dunkel zu Hell geschieht, gleicht der bevorstehenden Ausbreitung einer ’Dunkel-Sonne’ in die noch undurchdrungene Fülle eines hellen Dunstes. – Die ’Sonne’ ist übertrieben? Dann betreibt hier eben schwarzer Schimmelpilz sein böses Werk der Infektion des Lichtes. Der Rand lebt! – In seinen, auf seinen Löcherbildern ist aber ein Loch nie allein: Immer bezieht es sich durch den gleichen Abstand auf die Nachbarn seiner Behausung. Durch diese Zumessung ist jedes Loch dann doch über eine unsichtbare Fläche fremdbestimmt, ’definiert’. Was ist das für ein befremdliches Gegenüber?
Die Weltgeschichte der Kunst liebt die Drei-Zahl: Drei Bäume, drei Grazien, drei Gekreuzigte, drei Wände eines Interieurs. Die Dreizahl simuliert oder symbolisiert Raum und Volumen. (Ein dritter Punkt ermöglicht erst Gegenüber.) – Aber hier haben wir eine beunruhigend weite Drei-Ansicht in der Fläche, auf einer Angriffslinie. Sehen uns diese Löcher an? So sieht doch kein Gesicht aus! Nun, es ist H.M. Priesnitz – wenn auch ’verquer’: Des Zeichners Spiegelblick wird aufgeklappt zum doppelten Augenspiegel, Augenspiel: Der Abstand zwischen dem zentralen großen Loch und den Seitenlöchern ist jeweils derjenige zwischen seinen Pupillen. Die Spiegelachse ist die mittlere Pupille. Natürlich könnte man auch einfacher annehmen, der Zeichner habe einen Abdruck, eine Spur, seines Augenpaars ans Blatt gegeben, dann habe er sich vom Blatt gelöst und noch einmal seinen Augenabstand auf das Papier gebannt, und zwar so, dass die neue linke Pupille auf seine bereits abgegebene rechte trifft, wodurch diese Vereinigung von rechts und links sich vergrößert hätte. Aber auch dieser Akt setzte das ’Zurückblicken’ des je ersten Abdrucks vom materiellen Medium voraus, das den Abstand fixiert und die Simulation einer sich überlappenden Verdoppelung ermöglicht. Das Papier und das Graue zusammen ermöglichen die Oszillation zwischen Loch und Spiegel eine abgründige Reflexion.
Löcher werden übrigens nicht weiter, wenn man sie übereinander legt – wohl aber jene hier repräsentierten menschlichen Abgründe alles Sichtbaren, die wir Pupillen nennen. In äußerer Dunkelheit erweitern sich diese Eingänge in die innere Nacht des Menschen. Alles Sichtbare, also auch die bloße Linie auf der Fläche ist ein Ereignis zwischen Innen und Außen. Die Kulmination solcher Ereignisse ist das Auftauchen der Sichtbarkeit aus dem Unsichtbaren, die Epiphanie. Sie aber ist immer eine Sache unserer leibhaftigen Anwesenheit.

3. Fünfeckige Möbel
Zuviel Geheimnis? Nun gut, nehmen wir uns einfache Darstellungen wie seine ’Möbel’ vor. Welch eine Demonstration von Volumen! Sie haben sogar eine Ecke mehr – und ein fünftes Bein! Wahrlich sehr mobil! Wer sich in diese unmöglichen Mobiles imaginär versenkt, dem schwindelt leicht auf pentagrammatischer Fahrt. Denn die Fünfzahl sprengt die quatre coins du monde – und die schiefen Winkel sprengen die Rechtwinkligkeit der Fläche. Ein Hintergrund, an den man sich zu klammern wünschte, ist hinter den hochgekippten Oberseiten der inkommoden Kommoden abgestürzt. Aber es gibt einen, wenn auch abgründigen, Grund; er ist vollständig ausschraffiert. Vor und auf ihm bilden die dominanten Fünfecke eine geradezu bekiffte weiße Fläche. Eben noch Segel über bleiernem Grund, sacken sie ab im nächsten Augenblick zu bedrohlichen, jedenfalls unkommensurablen Innenansichten dieser seltsamen Körper.
Zwischen (Ober-)Fläche und Innenraum-Ahnung flattert was. Aber unterhalb dieser kopflosen Wesen oder Vehikel streben fußlose Beine grundlos zur Tiefe. Tanzend, als ob sie ein Bein mehr hätten, was sage ich: drei! Spüren Sie die Spannung zwischen der weißen Flotte und den bis in die Spitze dunkelnden Beinen? Die Drift dieser Bilder entsteht aus der Verführung des Betrachters, Körper im Raum zu vermuten, Körper, die ein imaginäres Innen haben, wie der Betrachter selbst, und die sich im simulierten Raum befinden, den wir vergeblich suchen, weil wir Körper im Raum sind, weil wir Raum im Körper sind.

4. Boote
Solch eine Umwandlung unserer Orientierungsfahrt bewegt die ’Boote’ von 2007, die auf ihrem Grunde beginnen zu gleiten, sobald wir unsere Position in der Luft über ihnen bezogen haben. Dass wir nicht fallen, liegt am kreidigen Pastellgrund, der die gesamte Fläche ausfüllt. Die Boote, in den Umrissen von Surfbrettern oder Sepia-Skeletten, und die kreuzenden Ereignisse zwischen Linie und ganz langer schmaler Fläche sind reales Licht auf Papier: Priesnitz hat Boot und Band aus dem Kreide-Meer herausradiert. Sonst sind Gegenstände Licht-Barrieren, hier sind sie Löcher aus Licht. – Damit wir nicht durchfallen, hat der Zeichner starke, aber kurze Schatten an die Bootswände geworfen, wie von einer fast senkrechten Sonne, vielleicht aus unserer Position… Da sind wir aber erleichtert und schweben, halb eingesunken ins Wasser, wie das Boot, und dennoch drüber hin. Das Boot überquert die Ziellinie zur Fläche, wir haben uns wieder, stehend vor dem Bild…

5. Stilleben
Das Gleiten der Parameter ist auch in den Unstilleben mit Bechern und Näpfen zu erleben. Die Bewegung entsteht hier gerade durch die drohende Entropie der Kontraste. Auf einer Foto-Datei im PC mit 1,10MB sieht man nichts als ellipsoide Heiligenscheine. In Wahrheit sind das aus dem Pastellgrund ausradierte Gefäßränder, deren aus Bleistiftschatten gebildeter Korpus sich nur äußerst schwach vom Pastell abhebt. Eine bloße Anmutung von Raum hält fast nur dadurch sich, dass man ihr Verschwinden in der Tiefe ahnt. Ansonsten bleibt ein Gleißen, von dem man nicht weiß, ob es an zuviel oder zuwenig Licht liegt. Nach einiger Zeit der Blindheit: bebende Stille. Beulige Protuberanzen von Schatten beleben den Vordergrund. Das freiradierte Licht der Ellipsen, das nie perspektivisch korrekt ist, beginnt zu ragen, als eine aufgestellte Fläche, und die Hohl-Körper treten ins Verhältnis. Manchmal ziehen Kräfte von den Seiten das Bild nach außen – so auf dem mit den zwei kleinen Bechern innen und zwei großen Bechern außen. Überall Transit, wie von Geisterhand durchgewunken…

6. Haarnetze
Fast mit Händen greifbar ist die menschliche Anwesenheit in jenen atmenden Wesen, die Nesselquallen, Muscheln oder Muschis gleichen, aber jenen zarten Schutz, vornehmlich an Frauenköpfen, zum Vorbild haben, den wir schnöde ’Haarnetz’ nennen. Hat man in solchen Netzen nicht Aphrodite, die Lilofee oder Undine aus dem Wasser geschöpft? Die Schönheit gerät leicht in Kitschverdacht. Deshalb sei hier die rhythmische Harmonie zwischen Linie, Fläche und Raumeindruck hervorgehoben. Schon die ’Grundlinie’, die Kante des Haarnetzes spielt in ihrer schwarzen Breite mit der Fläche. Ihr Zickzack schneidet die Seiten auf und hält doch dialektisch linearen Kurs. Kaum glaublich, dass diese Unruhe zum Kreisähnlichen sich schließt. Und dann hat diese Bewegung auch noch einen Schatten aus Blei – also im Raum! – Das Netz selbst aus unendlichen feinen Linien, bildet eine Oberfläche aus Nichts, das sich unerfindlich unterschiedlich verdichtet von wolkig bis filzig, deren schwärzliche Lavierungen wie larvierte räumliche Tiefe wirken. Oder nicht doch eher wie körperliche Überlagerungen? Wir haben es hier nicht mit realistischen Abbildern zu tun, sondern mit Lebewesen, die oszillieren zwischen einer Innen- und einer Außenansicht. Ob das Netzwerk immer ’hinter’ der Zickzacklinie liegt, ist zum Beispiel nicht zu entscheiden. Diese durchsichtigen Gebilde stülpen sich ein und aus. Sie stellen die Interpenetration mit der Netzhaut der Betrachter dar. Ihre Grenze zum Amorphen erlaubt die Vorstellung des Undarstellbaren, des Erlebens von Innen und Außen.

Ob geritzt, radiert, schraffiert, aufgetragen oder ausgespart, ob in Blei, Kohle oder Pastell: die prima vista so verschiedenen Bilder atmen unter der Oberfläche der Zurückhaltung den Geist eines Werks. Es ist ein Spiel von Innen und Außen: das Auftauchen der Erscheinung. – Schaufasten? – Schaufeste!

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Gesa Puell | Michael Golf | Ole Müller | Alicia Vela | Ral Veroni

Schnittstelle Druckgraphik II

SCHNITTSTELLE DRUCKGRAPHIK 2008
MICHAEL GOLF OLE MÜLLER GESA PUELL ALICIA VELA RAL VERONI
Eröffnung: Freitag, 24. Oktober 2008, 20:00 Uhr
Hierzu sind Sie und Ihre Freunde herzlich eingeladen!
25. Oktober – 16. November 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung: Sonntag, 09. und Sonntag, 16. November 2008, 15:00 Uhr

Gesa Puell


Der Titel der Ausstellung nimmt, wie in Schnittstelle Druckgraphik I, Bezug auf Arbeiten von Künstlern, die mit druckgrafischen Techniken (sowohl künstlerische Druckgrafik (Golf-Siebdruck, Puell – Lithografie, Vela – Stempeldruck, Veroni – Siebdruck), als auch kommerzielle Druckgrafik (Ole Müller, arbeitet mit vorhandenen gedruckten Medien)) arbeiten, diese aber über den klassisch angewandten Bereich hinaus nehmen.
Gesa Puell beklebt eine der Wände in der Galerie mit bedruckten Tapeten , – die gesamte Wand erscheint in einem flirrigen Schwarz.Weiß-Gekrissel, aus der Wand „wachsen“ Objekte, die die selbe Oberflächenstruktur aufweisen, der Übergang zwischen 2- und 3-Dimensionalen verwischt.

 

Ole Mueller

bunte kreise

werbeberge


Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters dienen Ole Müller als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk.
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen“rückgebaut“ zu werden. … So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit. (A. v. W.)

Michael Golf

Gold-Schwarz-Rot

Rot-Gold-Schwarz

Schwarz-Rot-Gold


Michael Golf zeigt drei bedruckte Aludibondplatten, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind (siehe auch beiliegende Fotos). Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.

Alicia Vela

Alicia Vela wird aus Barcelona mit gefertigten Stempeln kommen und sich auf die Räumlichkeiten der Galerie einlassen

Ral Veroni


Ral Veroni, Argentinien präsentiert 2 Projekte:

Struggle for Life: entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu werlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien, der Rest wurde billig auf Flohmärkten verkauft.
Hierzu gibt es einen Video von Eduardo Orenstein.

Lottery: Ral Veroni schafft sein eigenes Lottery Programm, Looteriescheine, die verfallen sind werden neu bedruckt und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder eingefügt.

Schnittstelle Druckgraphik 2008

Schnittstelle Druckgraphik II“ lautet der Titel dieser Ausstellung . Wie in der Vorgängershow im Jahr 2000 mit Christine Zoche, Jakob Kirchheim und Jonathan Cassels versammelt Gesa Puell auch dieses Mal Positionen, die sich einerseits, mehr oder weniger klar, zur Druckgraphik als zeitgemäßes künstlerisches Ausdrucksmittel bekennen, und diese aber andererseits in unterschiedliche Grenzbereiche hin verfolgen und überschreiten. Was die Objekte, Installationen, Bilder und dokumentierte Aktionen dieser Ausstellung also verbindet, was sozusagen ihre Schnittstelle darstellt, ist die Verwendung der Druckgraphik als künstlerisches Medium.
Nicht immer wird dies sofort deutlich. So etwa bei den Wandobjekten von Ole Müller, in denen Druckgraphik nur noch in ihrer angewandten Form wieder-verwendet wird.
Es handelt sich nämlich um Printprodukte unseres Medien- und Informationszeitalters, die ihm als Ausgangspunkt für sein bildhauerisches Werk dienen – um Druck-Graphik in einem ganz anderen Sinne:
So nutzt er recycelte Zeitungen als „weiche“ Negative, in die – mit 40 Tonnen Druck – geschnittene, übereinander geschichtete, gedrehte, zerknüllte oder sonst vorbehandelte Hochglanzmagazine gepresst werden, dort bis zu vier Monate trocknen, um schließlich mit Kettensäge, Raspel oder Schleifmaschinen u.a. bearbeitet, subtil wieder freigelegt, sozusagen „rückgebaut“ zu werden. … Der schließlich als Firnis aufgetragene Lack hat eine zusätzliche archäologische Wirkung, da er durch die oberen Schichten dringt und so darunter liegende wieder freilegt und durchscheinen lässt. So werden Strukturen sichtbar, die Erinnerungen an die Kraft der informellen Malerei wachrufen. Sie erlauben aber auch einen Blick auf ästhetische Phänomene ihrer Ursprungsprodukte: Bei den beiden großen Wandobjekten etwa wurden für das linke Ausgaben der Brigitte, einer Zeitschrift für die reifere Frau verwendet, in der rechten solche des Girlie-Magazins Bravo-Girl. Der Unterschied in der vom Künstler nicht manipulierten Farbpalette ist doch eklatant.
„In konsequent täglicher Arbeit ringt Ole Müller“, wie der vor kurzem so früh verstorbene Andreas von Weizsäcker es beschreibt, „ringt der Künstler die Zeugnisse der Informationsflut nieder, lässt sie in neuer Form auferstehen. [ Es gelingt ihm]…die Gegenwart so zu komprimieren, dass deren Essenz nach Zukunft schmeckt. Es entstehen Handlungsplastiken, Bilder unserer Zeit.“

Bilder unserer Zeit, in einem ganz anderen Sinne, aber von der Tagesaktualität keinen Silberstreifen weit entfernt, sind die druckgraphischen Arbeiten des Argentiniers Ral Veroni.
In seiner Serie: „Struggle for Life“ benutzt er als Bildträger entwertete Banknoten, die er mit verschiedenen Motiven bedruckt hat. Diese Banknoten wurden zu wertlosen Papieren in der Zeit in Argentinien, als eine Inflation die andere jagte und jedes Jahr neues Geld auf dem Markt erschien; der Rest des alten wurde billig auf Flohmärkten verkauft. Seine künstlerische Wiederverwertung ist zunächst ein sehr sarkastischer Kommentar zu dieser finanzpolitischen Situation; und er gewinnt gerade am heutigen Tag, wo berichtet wird, dass der Staat Argentinien kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht, ungeplante Tagesaktualität. Erstaunlicherweise gewinnen diese wertlosen Geldscheine gerade durch seine künstlerischen Interventionen wieder an Wert – einen reellen, auf einer Preisliste darstellbaren, und einen ideellen Mehr-Wert, der vermutlich noch bedeutend höher einzuschätzen ist. Hier sei ein Hinweis in eigener Sache gestattet: Wenn auch Sie zu den krisengebeutelten Anlegern in leeren Wertpapieren gehören: Kunst lohnt sich immer!
Zu der Aktion „Struggle for Life“ gibt es auch ein Video Eduardo Orenstein zu sehen.

Eine zweite Serie des Künstlers heißt „Lottery“: Hier schuf Ral Veroni sein eigenes Lotterie-Programm, indem er Lotteriescheine, die verfallen waren, neu bedruckte und in den Kreislauf des Gewinnens und Verlierens wieder einfügte. Die endlose, immer unerfüllte und leere Hoffnung nach dem großen Glück nimmt Ral Veroni hier auf eine ironische, und doch ganz poetische Weise aufs Korn, indem er den wertlosen Scheinen wiederum den Mehrwert der Kunst darauf und den Wert des Ideellen gleichsam darüber setzt. „Mink – schmink – money – schmoney,; what have you got if you haven’t got love“ sang schon Eartha Kitt vor 50 Jahren, als ironischen Kommentar zur Konsum-Orientierung ihrer Zeit.
Kommentare zu aktuellen Fragestellungen kann sich auch Michael Golf nicht verkneifen.
Als Reaktion auf eine Umfrage unter Deutschen, wie die Farben auf der Bundesflagge angeordnet sind, hat er drei Aludibondplatten bedruckt, die mit spezieller Rubbelfarbe überzogen sind. Das Motiv ist die Darstellung der Deutschlandflagge, 1 x in richtiger Farbreihenfolge, 2 x in falscher. Rubbelt man die Farbe weg (es ist während der Ausstellung erlaubt), erscheinen darunter Schriftzüge, die einen über richtig und falsch aufklären.
Aber Vorsicht: Wer falsch rubbelt, kann sich natürlich auch hier blamieren!
So wie diese Umfrage Ausgangspunkt für Michael Golfs Rubbel-Siebdrucke waren, so ist es häufig die Besonderheit einer Situation, die er vorfindet, auf die er reagiert – und dabei bietet ihm das Medium des Siebdrucks einen schier unerschöpflichen Handlungsspielraum. So nutzte er bei einem Indien-Aufenthalt das spezielle Licht dieser Region für eine Siebdruckserie, indem er beschichtete Siebe unter das flirrende Blätterdach von Bäumen legte, und die irisierenden Sonnenstrahlen die Belichtungsarbeit erledigen ließ. Eine wunderbar poetische Serie mit unscharf verfließenden Rändern, changierend zwischen Konkretion und Abstraktion entstand auf diese Weise.
Gerade in der radikalen Beschränkung auf das Medium des Siebdrucks und dem steten Experiment mit dessen Ausdrucks- und Einsatzmöglichkeiten gelingt es ihm, einer scheinbaren Reduktion auf technische Machbarkeit ein Höchstmaß an Poesie zu entlocken. So druckte er einmal einen Biberschwanz. Er verwandte darauf so viele Druckvorgänge, bis die Darstellung des Schwanzes eine ebensolche Dicke hatte wie das reale Vorbild. Eine weitere Arbeit in dieser Ausstellung zeigt eine Auflage von Papierstreifen, welche in ihrer Mitte lediglich eine dünne Linie aufgedruckt haben. Durch ihre Überlagerung erhöht sich der minimale Farbauftrag so, dass er dreidimensionale, ja haptische Qualität bekommt.
Manchmal reagiert Michael Golf aber auch umgekehrt auf Vorlagen der Poesie. Den Satz Wiliam Shakespeares „Es ist Sparsamkeit im Himmel, sie bliesen aus die Kerzen“ druckte er mit goldener Rubbelfarbe auf schwarzen Hintergrund. Wenn man an dem Text rubbelte – wurde es dunkel.

Poesie und Sprache sind auch die Ausgangssituation für die Wandinstallation von Alicia Vela. Eine Passage aus dem Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ von Roland Barthes steht im Zentrum dieser Arbeit. In selten gewordener Handschrift, wie in einem persönlichen Tagebuch, ist der Text direkt auf die Wand geschrieben. Der Eindruck von Intimität wird noch verstärkt durch den Schleier, der vor diese Handschrift gelegt ist und der durch die beiden aufgedruckten Mädchenfiguren bewacht wird. Sie wirken wie aus einem Märchenbuch entsprungen und lassen den Betrachter noch mehr zögern, den Bann zu brechen und den Schleier zu lüften. Magie und Märchen, Bann- und Zaubersprüche waren ja die Ursprünge der zunächst schriftlosen Poesie und stehen auch für eine unwiederbringliche Zeit unschuldig naiver Zuversicht, in der das Wünschen noch geholfen hat. Wenn der Schleier (span. velo) geöffnet wird, ist der Zauber gebrochen, der Text bietet sich dar, doch seine Entzauberung geht über in einen neuen Zustand beinahe unerhörter, geheimnisvoller Lebendigkeit und legt sich wie ein weiterer Schleier über das Ich des Eindringenden, der einem Akt höchster Intimität gleicht:
„Die Sprache ist eine Haut; ich reibe meine Sprache an einer anderen. So als hätte ich Worte an Stelle von Fingern, oder Finger an den Enden meiner Worte. Meine Sprache zittert vor Begierde…“ (R. Barthes)

Der Siebdruck der beiden bedeutungsoffenen Figuren verknüpft dabei wie ein Kettfaden die tradierten, erinnerten und erdachten Textfäden zu einem feinst versponnenen Gewebe, deren assoziative Textur eine pulsierende Energie freisetzt, welche selbst ohne Berührung den Schleier zum Wehen zu bringen vermag.

Diese assoziative Vermischung und Verwischung von Grenzen verbildlicht sich, ja nimmt konkrete Form an in der Arbeit von Gesa Puell. Es sind Schatten an der Wand, die langsam aus der Wand wachsen, Form annehmen und wieder verschwinden, sich immer an der Grenze zwischen 2- und 3-Dimensionalität bewegend, doch niemals eigentlich richtig greifbar und niemals auch logisch richtig zu fassen – denn sie verhalten sich auch widerspenstig gegen das Raumlicht, bilden selbst wieder Schatten, die dann sogar auf sie selbst fallen können und dann die Form wieder aufheben, die ohnehin einen stets illusionären Charakter hat.
Das Amorphe der Formen tut ein Weiteres zu dieser Ungreifbarkeit, zu diesem Vexierbild an Unfassbarkeit. Wo hört was auf, wo fängt was an?
Geschickt gelingt es Gesa Puell, durch eine kunstvolle Kombination von Siebdruck auf Papier und Glasgriesel auf kaschierten PU-Schaumformen die Grenzen zwischen Fläche und Form aufzulösen in ein ständig kippendes Spiel der Dimensionen. So ensteht ein pulsierender Dialog zwischen den Formen und ihren Schatten, die sich ständig gegenseitig befragen und verändern, von einander weg- oder aufeinander zugehen, ständig die Grenzen sprengend nicht nur unserer Erwartungen an die Eigenschaften eines Schattens, sondern sogar die der realen Vorgaben der Wand und des Lichts.
Nichts könnte schöner die Intentionen und den Titel dieser Ausstellung verdeutlichen: Eine pulsierende Schnittstelle zu sein zwischen den unterschiedlichsten Vektoren künstlerischen Ausdrucks, welche immer eines beweisen: Die Kraft, die Zeitgemäßheit und die Unbegrenztheit der hier verwendeten künstlerischen Medien und der Kunst überhaupt.

Franz Schneider, 2008

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Heiner-Matthias Priesnitz

HEINER-MATTHIAS PRIESNITZ
Zeichnungen aus den letzten Jahren
Eröffnung: Freitag, 05. Dezember 2008, 20:00 Uhr
Einführungstext: Heinzgert Friese, Hannover
Musik: Daniel Hoffmann, Cello | Johannes Strake, Violine

06. Dezember – 28. Dezember 2008 do – so 14:00 – 17:00 Uhr

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. In jahrelanger Weiterentwicklung sind Motiv-Serien entstanden, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium und den Akt des Zeichnens: das Verhältnis von (viel) Licht und (wenig) Dunkel, von Groß und Klein, zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.
Das Auge des Betrachters erfasst erst allmählich die auf den Bildern dargestellten Motive. Konturen, erzeugen Räumlichkeit, lösen sich jedoch in die Bildtiefe hinein auf. Die auf visuelle Zurückhaltung bedachte Zeichentechnik versagt ihnen die Illusion materieller Präsenz. Die meisten Arbeiten von Heiner-Matthias Priesnitz sind drucktechnisch nicht zu vervielfältigen. „Entgegen einer zeitgenössischen Kulturtendenz, Informationen zu aggressivieren, besteht die direkte Vermittlungsform meiner Arbeiten auf der Authentizität des Dialoges zwischen Bild und Betrachter.“ Heiner-Mattias Priesnitz ist am subtilen Gleichgewicht zwischen Helligkeit und Dunkelheit, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen Entspannung und Bedrohung interessiert. Je nachdem, wie sich Licht, Schatten und Dunkelheit auf seinen Zeichnungen zusammensetzen, je nachdem, wie die Bildarchitektur gebaut und perspektivisch angedeutet wird, entstehen Stimmungen zwischen romantischer Überhöhung und surrealer Klaustrophobie.

 

Heinzgert Friese
Schaufasten?

Zäune, Steckdosen, Möbel, Haarnetze, Boote, Becher: das sind vertraute Dinge, die sich bei Priesnitz in nicht sehr vertrauenerweckende Motive verwandeln. – Und kein Mensch nirgends. In jahrelanger, immer wieder unterbrochener und neuaufgenommener Arbeit sind Motiv-Serien entstanden, keine saisonalen Schnappschussgarben, sondern langzeitbelichtete Werkgruppen, die miteinander kommunizieren, einander entsprechen oder widersprechen. Zäune werden zu Haarnetzen, auf denen Boote fahren, die zu Bechern werden. Alle Bilder reflektieren nämlich mit großer methodischer Disziplin das Medium des Zeichnens und den Akt desselben: das Verhältnis von Licht (viel) und Dunkel (wenig), von Groß und Klein (unklar), zwischen der Flächenordnung des Bildes und der Tiefe des Raumes, die wir immer mit einbringen müssen, allein schon wegen der Sehachse zum Bild – und schließlich: das Verhältnis der Bewegungen des Zeichnens und des Sehens.

Bilder sind oft Zäune, die uns den Blick dahinter verstellen, Einfriedungen unserer Augenweiden, Grenzen des sicheren Besitzes. Die Zäune von Priesnitz haben nicht nur offensichtlich diese Funktionen verloren, sondern sie weisen in eine gänzlich andere Dimension: in die Tiefe des Bildgrundes, den sie mit kalter Nadel versehren. Diese Zäune entgrenzen; sie öffnen den Grund, auf dem sie stehen.
Auch die drei kreisrunden Flecke oder aufgeblasenen Punkte erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht ganz geheure Durchbrüche ihrer Zeichen-Ebene: als eigenartige Löcher, die nicht durch einen festen Rand ’definiert’ sind, sondern durch eine bleierne Energie des Inneren. Die Assoziationen mögen von Steckdosen bis zu hypnotischen Blicken reichen. Beiden Assoziationen eignet ein bedrohliches, jedenfalls energisches Eindringen und Ausströmen zwischen Innen und Außen. Das ist etwas der Zeichen-Ebene von Hause aus Fremdes. Die Fläche der Bildordnung ist ja zunächst eine Trennwand zwischen den Vektoren – wenn auch die abendländische Malerei mit Raum-Illusionen zu Ruhm und vor allem zu ’Ansehen’ gekommen ist.
Zwar gibt uns Priesnitz plastische Gegenstände zu sehen. Seine Möbel aber sind fünfeckig. Diese eine Ecke mehr an ’Flügel’, Sarg oder Kommode macht uns haltlos durch den imaginären Raum schweben – und auf der Ebene der Zeichnung landen… Zeichnung reflektiert hier das Bild im Raum, in unserm Raum, als zusätzliche Dimension. Ein Raum, in dem ein Bild hängt, hat nämlich fünf Seiten.
Einer der glücklichsten Funde zum Durchspielen des Verhältnisses zwischen dem Flächennutzungsplan der Zeichnung und der Darstellung von Körper und Raum ist sein Haarnetz, das Priesnetz sozusagen. Die unendlich scheinende Sukzession der ersten Dimension, der Linie, der sich der Zeichner in müh-seliger Übung ohne ’Übersicht’ hingibt, gibt Netzbilder zurück, die eine zwischen Raum und Fläche oszillierende Wirklichkeit darstellen, die wir nur allzu oft nicht wahrnehmen wollen oder können.
Priesnitz’ Bilder gleichen Booten, die Haarnetze auswerfen, die unsere Augen fischen. Diese Meditationen über die Gesten des Zeichnens und des Sehens nehmen uns ein. Und schließlich: Stehen wir noch irgendwo, wenn wir, wie aus dem Flugzeug, auf die tief unter uns im gleißenden Licht eines südlichen Sommers gleitenden Boote blicken? Straucheln wir nicht, wenn das tief in das papierene Meer eingebettete Schiff unserer Blickfahrt Lichtschranken kreuzt, die nur auf der Fläche sind? – Es ’geht hier zu’ wie auf seinen Stilleben aus Gefäßen, die nichts fassen: Es sind Un-Still-Leben schwankender Parameter. Still stehen in dieser Motivgruppe die Gefäße wie Schauspieler eines unsichtbaren Mysteriums. Es sind Masken, und wir wissen nicht, was sie spielen. Das Geheimnis des Innen ist indessen das Geheimnis jeden künstlerischen Ausdrucks, jeden Ausdrucks, jeden Lebens. Priesnitz führt ins Geheimnis nicht durch Strategien des Verhüllens oder kokette Draperien, sondern durch eine an de Chirico geschulte physische Leere – Auf seinen Bildern ist nirgendwo kein Mensch: Er ist nämlich überall – nur nicht als dingfest gemachtes Objekt. Er steckt in den Bewegungen des realisierenden Sehens, zu denen die Bilder uns herausfordern.

1. Zäune
Seit acht Jahren arbeitet Priesnitz an diesen paradoxen Bildern, deren Sujet den Raum zumacht, während die Faktur den Raum durchbrechen will. Seit acht Jahren ritzt er piktogrammartig reduzierte Zeichen, die sich im Weg stehen, in Tafeln, die nie perforiert – aber durchaus versehrt werden. Im Unterschied zu den Schlitzbildern Fontanas kommt etwas an die Oberfläche zurück, das auf der Kippe ist zwischen der Bedeutung einer Linie und der einer Furche.
Diese Kippe ist ein nachhaltig intrigantes Konstrukt des ’Zeichners’. Hier hat er die scheinbar quadratischen Tafeln, Inbegriffe der Fläche, 1cm breiter als hoch geschnitten; wir nehmen also wohl etwas anderes ’wahr’ als wir sehen. Dieser eine Zentimeter mehr, den die Waagerechte hat, ist die Balancierstange für die Senkrechte, welche ein jeder Betrachter vor dem Bild darstellt und – ’einbringt’: Die Horizontale der Sehachse setzt sich fort (!) in der senkrechten Bodenbearbeitung des Bildgrundes: im Walzen des Grundes mit Acrylfarbe, in der Ritzung der Zäune mit der Kaltnadel. Die Betonung der Senkrechten setzt sich fort in den senkrechten Zaun-Planken, deren illusorische Senkrechte sogleich wieder auf die materielle Fläche kippt, zugunsten der Vertikale der physischen Ritzung, welche die Zäune macht – und zugunsten der Linie auf der Fläche, die sich aus der Fortbewegung des Ritzens ergibt.
Dagegen suchen die länglichen Kopflinien des einzelnen ’Zauns’ das Weite – gerade durch ihre oft diagonale Anlage in der Fläche, die entfernt an Perspektive erinnert. Aber sind das überhaupt Zäune? Bedeutungsschwanger weist die Gravität der aufgerissenen Gräben aller Richtungen nach unten. Sind das nicht Pflüge oder vergiftete Kämme? Oder Rechenpäckchen, die Zahl fünf symbolisierend? Jedenfalls würden diese Zäune nicht funktionieren: sie sind an jeder möglichen Ecke eines möglichen Territoriums offen. Trotz der Diagonalen markieren diese abstrakten Zeichen für ’Möbel’ und ‚Raum’ (eine Linie mit vier Füßen oder vier symbolischen Ecken) keine Perspektive im Raum. Eher bilden sie Barrikaden eines unübersichtlichen Labyrinthes, in welchem der Betrachter sich unversehens befindet, weil alle Gebilde gleich aussehen, keines entscheidend größer als das andere ist, keine Perspektive, keine ’Verjüngung’, keine ’Flucht’ gewährt wird. Unsere gestaltpsychologische Neigung, immer wieder einen Raum in diesem Bild sehen zu wollen, ist uns das wahre Labyrinth, das uns gehen heißt beim Sehen. – Aber natürlich ist es der Zeichner, der uns verführerisch zuwinkt, uns auffordert zu diesen Raumfantasien. Was für Raum aber sollte es sein, da es nicht der euklidische ist? Ich vermute, es ist der dem Medium der flachen Sichtbarkeit gegenüberstehende und deshalb ’entsprechende’ von Innen und Außen.

2. Löcher
Besonders rätselhaft sind auch die Löcherbilder. Wenn das Passepartout eine gewisse Proportion zu den drei Gebilden bietet, können wir eine kurze Weile vergrößerte Steckdosen vermuten, wobei der Rahmen dann aber zu einem reliefartigen Teil der Bilddarstellung wird, die andererseits nur durch negative Aussparungen definiert scheint: Löcher. Materielle Erhabenheit und dargestellte Tiefe und sonst nichts. – Aber das sind keine vertrauten Lochdarstellungen. Löcher haben Ränder, sichtbar an der Scheidelinie von Licht und Schatten. Genauer: nicht die Löcher ’haben’ die Ränder, sondern das Feste drum herum. Hier aber bestehen ’Löcher’ aus ihrem Inhalt, aus Kohle-Staub. Natürlich ist ’Inhalt’ eine Fiktion, denn die Darstellungen sind eine Auflage des Kohlenstiftes auf dem Karton. Was da im Übergang von Dunkel zu Hell geschieht, gleicht der bevorstehenden Ausbreitung einer ’Dunkel-Sonne’ in die noch undurchdrungene Fülle eines hellen Dunstes. – Die ’Sonne’ ist übertrieben? Dann betreibt hier eben schwarzer Schimmelpilz sein böses Werk der Infektion des Lichtes. Der Rand lebt! – In seinen, auf seinen Löcherbildern ist aber ein Loch nie allein: Immer bezieht es sich durch den gleichen Abstand auf die Nachbarn seiner Behausung. Durch diese Zumessung ist jedes Loch dann doch über eine unsichtbare Fläche fremdbestimmt, ’definiert’. Was ist das für ein befremdliches Gegenüber?
Die Weltgeschichte der Kunst liebt die Drei-Zahl: Drei Bäume, drei Grazien, drei Gekreuzigte, drei Wände eines Interieurs. Die Dreizahl simuliert oder symbolisiert Raum und Volumen. (Ein dritter Punkt ermöglicht erst Gegenüber.) – Aber hier haben wir eine beunruhigend weite Drei-Ansicht in der Fläche, auf einer Angriffslinie. Sehen uns diese Löcher an? So sieht doch kein Gesicht aus! Nun, es ist H.M. Priesnitz – wenn auch ’verquer’: Des Zeichners Spiegelblick wird aufgeklappt zum doppelten Augenspiegel, Augenspiel: Der Abstand zwischen dem zentralen großen Loch und den Seitenlöchern ist jeweils derjenige zwischen seinen Pupillen. Die Spiegelachse ist die mittlere Pupille. Natürlich könnte man auch einfacher annehmen, der Zeichner habe einen Abdruck, eine Spur, seines Augenpaars ans Blatt gegeben, dann habe er sich vom Blatt gelöst und noch einmal seinen Augenabstand auf das Papier gebannt, und zwar so, dass die neue linke Pupille auf seine bereits abgegebene rechte trifft, wodurch diese Vereinigung von rechts und links sich vergrößert hätte. Aber auch dieser Akt setzte das ’Zurückblicken’ des je ersten Abdrucks vom materiellen Medium voraus, das den Abstand fixiert und die Simulation einer sich überlappenden Verdoppelung ermöglicht. Das Papier und das Graue zusammen ermöglichen die Oszillation zwischen Loch und Spiegel eine abgründige Reflexion.
Löcher werden übrigens nicht weiter, wenn man sie übereinander legt – wohl aber jene hier repräsentierten menschlichen Abgründe alles Sichtbaren, die wir Pupillen nennen. In äußerer Dunkelheit erweitern sich diese Eingänge in die innere Nacht des Menschen. Alles Sichtbare, also auch die bloße Linie auf der Fläche ist ein Ereignis zwischen Innen und Außen. Die Kulmination solcher Ereignisse ist das Auftauchen der Sichtbarkeit aus dem Unsichtbaren, die Epiphanie. Sie aber ist immer eine Sache unserer leibhaftigen Anwesenheit.

3. Fünfeckige Möbel
Zuviel Geheimnis? Nun gut, nehmen wir uns einfache Darstellungen wie seine ’Möbel’ vor. Welch eine Demonstration von Volumen! Sie haben sogar eine Ecke mehr – und ein fünftes Bein! Wahrlich sehr mobil! Wer sich in diese unmöglichen Mobiles imaginär versenkt, dem schwindelt leicht auf pentagrammatischer Fahrt. Denn die Fünfzahl sprengt die quatre coins du monde – und die schiefen Winkel sprengen die Rechtwinkligkeit der Fläche. Ein Hintergrund, an den man sich zu klammern wünschte, ist hinter den hochgekippten Oberseiten der inkommoden Kommoden abgestürzt. Aber es gibt einen, wenn auch abgründigen, Grund; er ist vollständig ausschraffiert. Vor und auf ihm bilden die dominanten Fünfecke eine geradezu bekiffte weiße Fläche. Eben noch Segel über bleiernem Grund, sacken sie ab im nächsten Augenblick zu bedrohlichen, jedenfalls unkommensurablen Innenansichten dieser seltsamen Körper.
Zwischen (Ober-)Fläche und Innenraum-Ahnung flattert was. Aber unterhalb dieser kopflosen Wesen oder Vehikel streben fußlose Beine grundlos zur Tiefe. Tanzend, als ob sie ein Bein mehr hätten, was sage ich: drei! Spüren Sie die Spannung zwischen der weißen Flotte und den bis in die Spitze dunkelnden Beinen? Die Drift dieser Bilder entsteht aus der Verführung des Betrachters, Körper im Raum zu vermuten, Körper, die ein imaginäres Innen haben, wie der Betrachter selbst, und die sich im simulierten Raum befinden, den wir vergeblich suchen, weil wir Körper im Raum sind, weil wir Raum im Körper sind.

4. Boote
Solch eine Umwandlung unserer Orientierungsfahrt bewegt die ’Boote’ von 2007, die auf ihrem Grunde beginnen zu gleiten, sobald wir unsere Position in der Luft über ihnen bezogen haben. Dass wir nicht fallen, liegt am kreidigen Pastellgrund, der die gesamte Fläche ausfüllt. Die Boote, in den Umrissen von Surfbrettern oder Sepia-Skeletten, und die kreuzenden Ereignisse zwischen Linie und ganz langer schmaler Fläche sind reales Licht auf Papier: Priesnitz hat Boot und Band aus dem Kreide-Meer herausradiert. Sonst sind Gegenstände Licht-Barrieren, hier sind sie Löcher aus Licht. – Damit wir nicht durchfallen, hat der Zeichner starke, aber kurze Schatten an die Bootswände geworfen, wie von einer fast senkrechten Sonne, vielleicht aus unserer Position… Da sind wir aber erleichtert und schweben, halb eingesunken ins Wasser, wie das Boot, und dennoch drüber hin. Das Boot überquert die Ziellinie zur Fläche, wir haben uns wieder, stehend vor dem Bild…

5. Stilleben
Das Gleiten der Parameter ist auch in den Unstilleben mit Bechern und Näpfen zu erleben. Die Bewegung entsteht hier gerade durch die drohende Entropie der Kontraste. Auf einer Foto-Datei im PC mit 1,10MB sieht man nichts als ellipsoide Heiligenscheine. In Wahrheit sind das aus dem Pastellgrund ausradierte Gefäßränder, deren aus Bleistiftschatten gebildeter Korpus sich nur äußerst schwach vom Pastell abhebt. Eine bloße Anmutung von Raum hält fast nur dadurch sich, dass man ihr Verschwinden in der Tiefe ahnt. Ansonsten bleibt ein Gleißen, von dem man nicht weiß, ob es an zuviel oder zuwenig Licht liegt. Nach einiger Zeit der Blindheit: bebende Stille. Beulige Protuberanzen von Schatten beleben den Vordergrund. Das freiradierte Licht der Ellipsen, das nie perspektivisch korrekt ist, beginnt zu ragen, als eine aufgestellte Fläche, und die Hohl-Körper treten ins Verhältnis. Manchmal ziehen Kräfte von den Seiten das Bild nach außen – so auf dem mit den zwei kleinen Bechern innen und zwei großen Bechern außen. Überall Transit, wie von Geisterhand durchgewunken…

6. Haarnetze
Fast mit Händen greifbar ist die menschliche Anwesenheit in jenen atmenden Wesen, die Nesselquallen, Muscheln oder Muschis gleichen, aber jenen zarten Schutz, vornehmlich an Frauenköpfen, zum Vorbild haben, den wir schnöde ’Haarnetz’ nennen. Hat man in solchen Netzen nicht Aphrodite, die Lilofee oder Undine aus dem Wasser geschöpft? Die Schönheit gerät leicht in Kitschverdacht. Deshalb sei hier die rhythmische Harmonie zwischen Linie, Fläche und Raumeindruck hervorgehoben. Schon die ’Grundlinie’, die Kante des Haarnetzes spielt in ihrer schwarzen Breite mit der Fläche. Ihr Zickzack schneidet die Seiten auf und hält doch dialektisch linearen Kurs. Kaum glaublich, dass diese Unruhe zum Kreisähnlichen sich schließt. Und dann hat diese Bewegung auch noch einen Schatten aus Blei – also im Raum! – Das Netz selbst aus unendlichen feinen Linien, bildet eine Oberfläche aus Nichts, das sich unerfindlich unterschiedlich verdichtet von wolkig bis filzig, deren schwärzliche Lavierungen wie larvierte räumliche Tiefe wirken. Oder nicht doch eher wie körperliche Überlagerungen? Wir haben es hier nicht mit realistischen Abbildern zu tun, sondern mit Lebewesen, die oszillieren zwischen einer Innen- und einer Außenansicht. Ob das Netzwerk immer ’hinter’ der Zickzacklinie liegt, ist zum Beispiel nicht zu entscheiden. Diese durchsichtigen Gebilde stülpen sich ein und aus. Sie stellen die Interpenetration mit der Netzhaut der Betrachter dar. Ihre Grenze zum Amorphen erlaubt die Vorstellung des Undarstellbaren, des Erlebens von Innen und Außen.

Ob geritzt, radiert, schraffiert, aufgetragen oder ausgespart, ob in Blei, Kohle oder Pastell: die prima vista so verschiedenen Bilder atmen unter der Oberfläche der Zurückhaltung den Geist eines Werks. Es ist ein Spiel von Innen und Außen: das Auftauchen der Erscheinung. – Schaufasten? – Schaufeste!

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Judith Lipfert | Oerni Poschmann

Gesaegte Zeichnungen

JUDITH LIPFERT / ÖRNI POSCHMANN
Gesägte Zeichnungen
Eröffnung: Freitag, 15. Juni 2007, 20 Uhr
Einfuehrung: Helmut Wartner
Ausstellungsdauer: 16. Juni – 8. Juli 2007
Do – So 15 – 18 Uhr

 

Eine in Gütersloh geborene Judith Lipfert und der Berliner Örni Poschmann leben und arbeiten seit 1996 als freischaffende Künstler in Aham bei Landshut – Örni Poschmann als Holzbildhauer, Judith Lipfert als Zeichnerin und Objektkünstlerin, die eine Meisterprüfung im Keramik-Handwerk absolvierte, bevor sie an der Kunstakademie Nürnberg bei Norbert Prangenberg studierte.
In der Neuen Galerie Landshut zeigen die beiden eine Gemeinschaftsarbeit, für die sie vor gut einem Jahr beim 9. Intersalon in Tschechien mit einem Preis ausgezeichnet wurden: „Gesägte Zeichnungen“.
Ausgehend von freien, assoziativen Zeichnungen Judith Lipferts entstehen Holzobjekte, in denen Örni Poschmann mit der Motorsäge ausgewählte Arbeiten Lipferts neu interpretiert und in Pappelholz in die dritte Dimension übersetzt.
Diese Objekte werden dann wiederum von der Künstlerin farbig gefasst und so in eine neue Darstellungsebene gebracht, welche mit den ursprünglichen Zeichnungen in Korrespondenz tritt und einen weiten Assoziationsraum für den Betrachter eröffnet, der oszilliert zwischen dem feinen Liniennetzwerk und den kreatürlichen Figurationen von Lipferts Zeichnungen und den grob gesägten, eine absurde Funktion oder eine unbekannte biomorphe Existenz bezeichnenden Objekten Poschmanns.
Dabei bekommt der Begriff „Gesägte Zeichnung“ eine doppelte Bedeutung: Zum einen sind es Zeichnungen Lipferts, die der Bildhauer Poschmann mit der Säge als Skulptur entstehen lässt; sodann aber sind es Sägeobjekte Poschmanns, die zu Bildträgern von Lipferts Überzeichnungen werden.
Im unteren Stockwerk zeigen die Künstler je eine große Bodenarbeit:
Poschmann einen „Teppich“ aus gesägten Holzmodulen, Lipfert eine weitflächige Keramikarbeit mit dem Titel „Getränkeröhre“, für die sie mit dem Förderpreis der Nassauischen Sparkassen ausgezeichnet wurde.

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Ingrid Flohry | Doris M. Wuergert

wirklich unwirklich

wirklich unwirklich

Malerei, Installation, Fotographie, Film

Eröffnung: Freitag, 26. Januar 2007, 20 Uhr
Einführung: Heinz Schütz, München
Ausstellungsdauer: 26. Januar – 18. Februar 2007
Do – So 14 – 17 Uhr

 

Ingrid Flohry und Doris M. Wuergert


In den Arbeiten von Ingrid Flohry und Doris M. Würgert liegt eine Spannung zwischen Objektivation und Fiktion, dem Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem, der Rückkopplung von Virtuellem und Realem. Es geht um die Verunsicherung aller medial suggerierten Geschichten von der Wahrheit – auch von der Wahrheit der Bilder.
Die Installation Doris Würgerts besteht aus zwei gegenüber an die Wand gebeamten Videoprojektionen: Sprechende, aber stumme Münder. Junge und alte, weibliche und männliche Lippenpaare artikulieren Worte, deren Bedeutung auch nicht von der akustisch wahrnehmbaren Tonmontage enthüllt wird. Die Folge ist: Das Sprechen zeigt sich als körperlicher Akt; das Gesprochene – das Lügengedicht “Dunkel war’s der Mond schien helle“ – bleibt verborgen. Und selbst dann, wenn das Gesagte hörbar wäre, entpuppte sich sein Sinn als Unsinn – offensichtlich muss, was verbal verstanden wird, nicht verständlich, sprich: vernünftig sein.*
trotz allen Bemühungen um rationale Durchdringung der Ursachen und Bedingungen unserer individuellen wie gesellschaftlichen Existenz eine ganze Welt existiert, die sich dem begrifflichen Zugang entzieht, die uns aber ebenso nachhaltig prägt wie jene, die wir durchschauen, ist der Ausgangspunkt der Bilder und Objekte von Ingrid Flohry.

Wiederkehrende Motive wie Turm, Labyrinth und Tunnel beschreiben den Eintritt, die planmäßige Darstellung und die Durchdringung eines Teils des Weges durch diese Welt, auf dem Transformationen der Wahrnehmung stattfinden, deren Ergebnisse sich etwa in Form von Schießscheibe und Revolvertrommel manifestieren.

Ingrid Flohry

Ein Oxymoron, also eine Sprachfigur, welches auf dem Gegensatz zweier widersprüchlicher Begriffe beruht, bildet den Titel dieser Ausstellung:
„WIRKLICH UNWIRKLICH“
Es geht also um die Spannung zwischen dem, zumindest scheinbar, Objektiven und der Fiktion, dem Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem, der Rückkopplung von Virtuellem und Realem.

Allerdings steht zunächst im Mittelpunkt der Ausstellung das Alltägliche, das uns scheinbar so Vertraute, ja das beinahe schon Banale: die Krawatte, der Trichter, der Tunnel… – wobei der Tunnel durchaus bereits eine zwiespältige Besetzung hat zwischen Begrenztheit und Flucht, zwischen Beklemmung und Ausweg.
Ingrid Flohry gestaltet die eng begrenzten Tunneleinblicke in einer flüchtig-delikaten Malweise mit Aquarellfarbe, was unserer Erwartung widerspricht, denn die meisten von uns kennen solche Ausblicke von den ersten Computerspielen, also über die mediale Vermittlung. Wo aber dort die vollmundige, aber falsche Versprechung lautet: „What you see is what you get!“ ist bei Ingrid Flohry das Sichtbare noch lange nicht das Objektive. Erst die Vorstellungskraft des Betrachters entfesselt die Sogwirkung des Bildes, die ihn in ihre Dynamik hineinzieht und auf einen Weg, eine Reise schickt, in der die Ebene der rationalen Durchdringung von Ursachen und Bedingungen verlassen wird. Dann werden die Trichter, wie der Kaninchenbau bei Lewis Caroll, zu Eingängen in eine Welt, die sich dem begrifflichen Zugang entzieht, die uns aber ebenso nachhaltig prägt wie jene, die wir durchschauen.
Hier führen die Dinge ein Eigenleben: Krawatten etwa schlingen sich umeinander, bilden Muster, spielen mit einer Kugel, formen sich zu Zeichen, die sich nicht deuten lassen. Der spielerische Eindruck enthält so zugleich etwas Befremdliches, und nicht erst seit einem kürzlichen Welt-Ereignis wissen wir, dass sich Schlingen nicht nur um Kugeln, sondern auch um einen Hals wickeln lassen.

Nun war es schon immer das Bemühen jeglicher Zivilisation, die Grenze zwischen Chaos und Ordnung, zwischen der wildwuchernden Natur und der gestalteten Kultur zu errichten und zu verteidigen, und es ist Aufgabe der Kunst, diese Grenze fließend zu halten, auf dieses Jenseitige, Andere, Transzendente hinzuweisen. Unglaubliche 232 Knoten weist ein britisches Krawattenhandbuch für dieses einmal gefaltete schmaleTuch auf, wobei das einfache, wilde Herumwickeln nicht verzeichnet ist.
Wenn selbst ein solches Utensil schon einer solchen Bändigung bedarf, wie viel mehr dann die Bereiche, die noch unzugänglicher in uns selbst liegen.
Unser Aggressionspotential etwa wird kanalisiert durch die Einrichtung von Schützenvereinen, die nun ihr Projektil auf Schützenscheiben abfeuern und danach ihre Waffe wieder brav in die dafür vorgefertigten Stanzungen stecken.
Aber all die Futterale, Etuis, Strukturen und Ordnungen, die das Wuchernde in Form bringen, das Befremdliche in den Griff bekommen, dem Bedrohlichen kontrollierbare Orte zuweisen sollen – sie sind in der Welt, in die uns Ingrid Flohry führt, unwirksam. Hier verspüren wir eine beinahe surreale Bedrohung durch die Dinge, wie in unseren Albträumen verlassen sie ihre ihnen zugewiesenen Ordnung, sprengen sie ihre Dimensionen und gewinnen, wie die Revolvertrommel, eine traumhafte Präsenz, die uns in der Schwebe zwischen schauderndem Zurückweichen und unwiderstehlicher Anziehung halten.
Nicht zuletzt sind die Arbeiten Ingrid Flohrys auch eine Reflexion des künstlerischen, kreativen Prozesses schlechthin; auch dieser entwickelt, wie ein Tunnel, wie ein Labyrinth einen schwer zu widerstehenden Sog; es ist zwar nicht klar, wo er hinführen wird, was einen um die nächste Biegung erwartet, doch gibt es keinen Irrweg, keine Sackgassen, sondern eine dynamische Führung, der immer eine zwingende Folgerichtigkeit zugrunde liegt.

Und wenn das Labyrinth im tragbaren Sperrholzkasten auf dem Deckel die Aufschrift „Non Vego Unde Esca“ – „Ich sehe keinen Ausweg“ trägt, so ist dies ein beinahe noch schöneres Oxymoron als der Titel der Ausstellung „wirklich unwirklich“.
Was wirklich ist angesichts aller medial suggerierten Geschichten von Wahrheit und Wirklichkeit, das ist das Thema dieser Ausstellung. Wenn man sich das Einladungskartenmotiv betrachtet, so erinnert es an unsere alten pragmatischen Vorfahren, die die Wirklichkeit als „an Hund sein Schwoaf sein Schatten“ betrachteten, und sie waren damit nicht weit entfernt von den griechischen Philosophen, die eines Menschen Welt als den Traum eines Schattens bezeichneten. An die Schwelle dieses Traumes führt uns Ingrid Flohry – und darüber hinaus.

Franz Schneider

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Michael von Brentano

Skulptur und Installation

Eröffnung: Freitag, 02. März 2007, 20 Uhr
Einführung: Franz Schneider

Ausstellungsdauer: 03. März – 01. April 2007
Do – So 14 – 17 Uhr

Führung durch die Ausstellung:
So, 25. März und So, 01. April, jeweils 15:00 Uhr

Abb.: Friedliches Stück, (Detail),2004, Eichenholz, Seidenblumen,160 x 28 x 18 cm (Fotografie: Siegfried Wameser, München)

Betritt man diese Ausstellung im ersten Stock, so ist man zunächst etwas irritiert: Diese Objekte bestehen aus Versatzstücken dessen, was unsereins mit Kitsch bezeichnen würde – Rehlein, künstliche Seidenblumen, Vergoldungen; Banales, wie wir es aus den Souvenirläden des bayerischen Touristenorte kennen

Zugleich aber übt die besonders sorgfältige Behandlung des bildhauerischen Materials, in das diese Versatzstücke eingearbeitet sind, eine Faszination aus und einen großen ästhetschen Reiz. Ja es ist vielleicht gerade dieser Kontrast, diese Kombination aus Kunst und ja – Natur- und vielfach gebrochenen Naturbezügen, die uns festhalten, fesseln und irritieren zugleich.

Gehen wir in den zweiten Stock, so treten wir in der Entwicklung dieser Arbeiten zugleich chronologisch zurück als auch verstehend näher. Hier gewährt uns der Künstler Michael von Brentano einen Einblick in seine Verfahrensweise, ja in seine künstlerische Haltung.
Was auf den ersten Blick wie ein verlassenes Basislager einer Expedition wirkt, erlaubt uns einen Blick auf die Arbeitsweise des Bildhauers.

Tatsächlich ist die Arbeit Michael von Brentanos eine forschende, schauende, erfahrende, und dann auch sammelnde und archvierende. Seine Objekte, wie die im ersten Stock, sind dann der Ertrag und die künstlerische Bearbeitung von Naturbegehungen. Er beobachtet mit fremdem Blick die uns scheinbar vertraute Natur und nimmt Details wahr, die dem eingewöhnten Blick entgehen.
Dabei ist es kein naturwissenschaftliches Interesse, die seinen Blick auf die Schichtungen, Strukturen und Objekte lenkt. Es ist eher ein kontemplatives, stilles Spurensammeln, ein Akt des Verstehens der Landschaft – und damit auch der Heimat, der Idylle, der seelischen Landschaft – durch die sinnliche Erfahrung ihrer Mikrostrukturen. (Abgießen, Abdrücke, Fotos…)

Im Lager des Bildhauers zeigt uns das kleine Tischchen eine Sammlung von Funden, drei Stapel von Schwarzweißaufnahmen, von Augen-Blicken, die fotografisch festgehalten wurden, teils von ihm selbst, teils aber auch aus bestehenden Archiven entnommen. Sie zeigen Menschen vor Landschaften, Landschaften ohne Menschen und Landschaftsstrukturen. Daneben finden wir Abgüsse scheinbar alltäglicher Funde – abgegossene Elemente aus der oberbayerischen Landschaft, ein Kuhfladen, ein zwieseliges Stammstück einer Fichte und Astgabeln in Form von Schwemmholz.

Wobei es auf die Kategorien ankommt, nach denen gesammelt wird, und bei Michael von Brentano betreffen sie die sinnliche und ästhetische Aneignung von Landschaft und deren künstlerische und damit distanzierende, durchaus auch hin und wieder ironisierende Verarbeitung und Aufbereitung.

Nun kommen wir ja bereits mit den Eindrücken aus dem unteren Stock herauf und haben die Bilder der ungewöhnlichen Gegenstände im Kopf, die an den Wänden hängen, also Herzen mit Hirschgeweihen oder vergoldeten Schweineschnauzen unter einem Glassturz. Auch hier befindet sich in einem Glassturz ein Herz, auf dessen Außenhaut sich der Abdruck eines Edelweißes befindet. Das mag in der Tradition dadaistischer Montagen stehen, gerade wir Landshuter aber fühlen uns dabei auch an die Kunst- und Wunderkammer auf der Burg erinnert, also an die Sammlung von Raritäten und Kuriositäten eines Renaissance-Fürsten.

Natrülich war dessen vorwissenschaftlicher sammelnder Blick, der Naturalien wie Artefakte gleichermaßen sammelte, nicht unverstellt, sondern verdeutlichte ein allegorisches Verständnis von Natur, das stark von dem Bildrepertoire der Bibel und der antiken Mythologie geprägt war.
Das sollte uns heute aber nicht mit einer unbegründeten Überheblichkeit erfüllen: Auch unser heutiger Blick auf die Natur ist von vielen Stereotypen verstellt – wir haben eine bestimmte Vorstellung von Natur, und entsprechend fassen wir sie auf – und verkennen dabei die „Natur“ des Betrachteten. Der schwarze Kasten, auf der Staffelei könnte dafür sinnbildlich sein: Sein Loch lässt Licht auf die weiße Innenwand fallen, es entsteht möglicherweise ein diffusses Bild, wie bei einer Camera Obscura. Dieses Bild wenn wir aber zu betrachten versuchen, verdeckt unser verstellender und verstellter Blick das einfallende Licht und wir erkennen nur Dunkelheit.

Kunst- und Wunderkammern werde heute nicht mehr angelegt.

Mit der Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft übernahmen andere Begriffe und Theorien die Kategorisierungen des Sammelns, bevor die Natur als Sammelobjekt mit der sie beherrschenden Industrialisierung und Technisierung mehr und mehr an Bedeutung verlor. Heute ist uns Natur das Verlorengegangene, Projektionsfläche unserer Wehmut und der Verklärung – und, mehr und mehr, trotz oder wegen aller Kulturierung – Ort und Zustand der Bedrohung.
So führt uns die große Schwarz-Weiß- Projektion Michael von Brentanos nicht nur dessen Arbeitsfeld und Vorgehensweise vor Augen, wir können nicht nur dem Künstler bei seiner Sammelarbeit begleiten, den Blick seines Schauens auf Pflanzen, Wasser, Wälder durch die Kamera einnehmen. Hin und wieder erscheint der Künstler selbst im Bild, von einer anderen, fremden Hand gefilmt, und die Schnitte, die Direktheit, die Bewegtheit der Handkamera lassen den Ort des Geschehens selbst fremd erscheinen, bedrohlich wie einen blair witch forest, der weit entfernt ist von einer reinen, bechnittenen Idylle.

Aber verlassen wir dieses Basislager des Bildhauers, in das wir beinahe wie zufällig eingedrungen sind und durch das wir uns wie durch eine vertraute und zugleich fremde Landschaft bewegt haben. Während wir hier (dort) eine hochkomplexe und in ihrer Reduzierung auf die Nichtfarben Schwarz und Weiß auch ästhetisch hochkonzentrierte Reflexion des Bildhauers über die Grundlagen seiner Arbeit vor uns haben, treffen wir im unteren Stock auf die Objekte, die aus dieser konzeptuellen künstlerische Arbeit dann durch Verfremdung, ästhetische Aufladung und Poetisierung entstehen.

Fundstücke aus der Natur werden bearbeitet, gefärbt, neu geformt und kombiniert – oder es werden Naturformen in fremdem Material imitiert. So ist das „friedliche Stück“ eine geradezu unglaubliche Kombination aus einem einer großporigen Bodenstruktur edel nachgebildeten Stück Eichenholz und einer Serie billiger Seidenblumen, in der sich Kitsch und Kunst zu einem still oszillierenden Feld des Nachdenkens über Natur verbinden.

Dabei ist es nicht so, dass im „friedlichen Stück“ der Begriff der Idylle mit seinen emotionalen Werten wie Natur, Heimat, Tradition vom Künstler diskreditiert werden würde. Im Gegenteil: Die Rehlein auf dem mit künstlichen Blumen übersäten, eine sanfte gewellte Landschaft bildenden Stück Edelholz sprechen uns an und zielen über unsere Stereotypen und vorgefassten Bilder von Natur auf unseren emotionalen und sentimentalen Erinnerungsspeicher und setzen ihn frei. Wobei auch der Begriff Sentimentalität hier nicht wertend gemeint ist: Sentimentalität, sagt Graham Greene treffend, nennen wir die Gefühle, die wir nicht teilen.

Für uns sind diese Gefühle äußerste Preziosen, die uns bezaubern, die unsere persönlichen Wunderkammern füllen, die uns wieder mit der Natur verbinden.

Michael von Brentano gibt diesen Naturverbindungsobjekten – die uns also mit der Natur verbinden, die aber auch in ihrer surrealen Montage verschiedene Aggregats- Begriffs- und Materialzustände von Natur miteinander verbinden – er gibt ihnen diese Preziosität wieder zurück, indem er sie unter Glasstürze setzt, wie Devotionalien behandelt, eine Kunst- und Wunderkammer nach seinen eigenen, neuen Kategorien aufbaut.

Dabei verbinden sich in den künstlerischen Neuschöpfungen intellektuelle Ironie und surreale Magie zu faszinierenden Montagen und Mutationen, die durch poetische Titel wie: „Die glücklichen Tage sind vorbei“ oder „Damals, als alles noch in Ordnung war“ eine weitere assoziative Ebene eröffnen. Nicht zuletzt weisen diese Titel die Sprache als ein weiteres schöpferisches Mittel und als Material der Selbstreflexion in der Kunst Michael von Brentanos aus. Im Lager des Bildhauers dient das Igluzelt, das eine Bespannung aus Malerleinwand trägt, als Schutzhülle für einen Videofilm, in dem der Künstler selbst in Form eines Brustporträts zu sehen ist und sich bei jeder Sequenz um 90 Grad weiter um sich selbst dreht. Zu jeder Sequenz spricht er markante Aufforderungen an den Betrachter, wie z. B. „Sprechen Sie laut und deutlich“ oder „Diese Rede können Sie so nicht im Raum stehen lassen“. Es handelt sich um sehr plastisch wirkende, sprachliche Ausdrucksformen, die aber leicht zu Stereotypen, zu Floskeln verkommen können. Auch hier also besteht wieder die Gefahr, dass etwas Lebendiges und Flüssiges erstarrt.

Und dieses Offenhalten der Grenze zwischen dem Lebendigen, Natürlichen und dem Erstarrten, ist das künstlerische Feld, wo sich der Künstler Michael von Brentano bewegt, an der Grenze oder in dem freien Raum zwischen Gewachsenem und Hergestelltem, zwischen poeisis und techne, die sich in der künstlerischen Arbeit zu etwas Drittem vereinen können, was wir heute hier sehen, und was keiner Worte mehr bedarf.

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Jakob Kirchheim | Christoph Mauler

Linoldrucke [und] Filme | Bilder [und] Objekte

Eine Ausstellung von Jakob Kirchheim und Christoph Mauler
14. April bis 6. Mai 2007
Eröffnung: Freitag, 13. April, 20 Uhr

Kinoptikum, 6. Mai, 19 Uhr: Kurzfilme von Jakob Kirchheim (Berlin) und Hanna Nordholt/Fritz Steingrobe (Hamburg)

 

Linoldrucke [und] Film | Bilder [und] Objekte

Kirchheim / Mauler

„Baumarkt-Malerei“ betitelte eine Zeitung die Ankündigung dieser Ausstellung, und man ist hoffentlich nicht enttäuscht, wenn man vergeblich nach Arbeiten in Serviettentechnik, Seidenmalerei oder Window-Colors sucht.
Dennoch: der Baumarkt als Materiallager und heimlicher ästhetischer Wertmaßstab spielt durchaus eine Rolle in dieser Ausstelllung. Bodenbeläge, Treppen, Kamine sind nicht nur Sujets, die wir in Christoph Maulers Bildern und Objekten wiederfinden. Auch das dabei verwendete Material wie gängiges Fugenacryl, Spachteln, Modellkarton, ist dem Baumarkt entnommen und nicht den Hochglanzkatalogen für Künsterbedarf. Allerdings: wo die Baumarktmalerei der Aufhübschung des oft tristen Alltags dienen soll, so ist gerade dieses Alltägliche, Beiläufige, ja beinahe Banale der Untersuchungsgegenstand Christoph Maulers.In seinen Arbeiten setzt er rigoros Alltägliches, wie Fußböden, Bretter, Fugen  um in bildnerische Objekte, gestaltet modellhaft weithin unbeachtete Umgebungsvariabeln, wie z.B. Reklametafeln oder Treppenhausfenster, deren Konstruktionsprinzipien als Form er offenlegt.

Diese Offenlegung gilt auch und gerade dort, wo uns manche Arbeiten aus der Ferne geradezu wie Illusionsmalerei erscheinen, die eine unheimliche Tiefenwirkung haben, die unsere Wahrnehmung ins Unendliche schicken wollen.
Geht man näher hin, so erkennt man das Gestaltungsprinzip, die Gitterstruktur, auf der die Kartonmodule kleben oder den rüden Farbauftrag, der das Fugenacryl geradezu reliefhaft auf der Leinwand schichtet, und den Witz, dass dieses Fugenacryl erst dort, wo es nicht aufgetragen wurde, die Fuge formuliert.  Ganz nebenbei wird so die Frage formuliert, was eigentlich ein Bild zum Bild macht.

Nicht nur so vermeidet Christoph Mauler jede Form der Sublimierung, sondern auch durch die Hängung der Bilder, die sich gegenseitig begrenzen und stören und so dem Erhabenen keinen Raum lassen.
Gegen die aufgeblasene Ästhetik der Event- und Konsummaschinerie, die das Bild, das Kunstwerk für ihre Zwecke instrumentalisiert,  steht hier so die betonte Beschränkung auf das Lapidare, Unprätentiöse.

„Unsere Zeit ist so aufregend, daß man die Menschen eigentlich nur noch mit Langeweile schockieren kann“, meinte schon Samuel Beckett, der heute vor 101 Jahren geboren wurde, und der wusste, wovon er sprach.
Gegen den Malstrom der unaufhörlichen Sinnesbombardierung setzt Christoph Mauler ein ruhiges, schauendes Innehalten, Wahrnehmen und Gestalten gerade des Alltäglichen, das uns umgibt.
In den Kartonobjekten etwa wird es befreit von seiner gewohnten Umgebung und mit einer neuen, sinnlichen Materialität ausgestaltet.
Durch das Übereinanderkleben mehrerer Kartonschichten ensteht  eine neue Form von Realität, und der Spiegel, die Treppe, der Kamin fungiert für die assoziative Wahrnehmung des Betrachters, wie ein Votivgegenstand, als Versicherung der Welt und deren kurzzeitige Überschreitung,  als Anker und Segel zugleich, und gibt ihm eine Autonomie des Wahrnehmens zurück.

Diese Re-Autonomisierung des Subjektes, die bei Mauler in der Konzentration auf das Beiläufige, das Lapidare, das Naheliegende geschieht, findet bei Jakob Kirchheim statt über die subjektive Wahrnehmung erfahrener oder vorgesetzter Wirklichkeit, wie sie etwa in der medialen Vermittlung von Sachverhalten, wie geopolitischen Themen oder zeitgeschichtlichen Vorgängen geschieht und die sich in Kirchheims Arbeiten immer wieder in indirekter, oft schriftlich verklausulierter Form  äußert.
Dabei wirken solche stark mit Bedeutung aufgeladenen Themen und Orte wie etwa New Orleans nach der Flut, die mexikanisch-amerikanische Grenze oder Bagdad-City nicht als Sujets tagespolitischer Betrachtung, sondern mehr als Protagonisten von vermittelter Bedeutung und mittelbar erzeugter Haltungen.
Obwohl gerade die als „politisch“ zu bezeichnenden Arbeiten immer auf der Basis gründlicher Recherche entstehen, werden sie dann bewusst verändert, reduziert, collagiert und in einem Zwischenbereich von Fiction und Non-Fiction belassen, wo sie sich als abstrakte bildnerische Netzwerke wie auch als politisch konnotierte Kommentare lesen lassen.
So ist etwa der Plan von Sadr City keineswegs maßstäblich richtig und in sich schlüssig, sondern besteht aus der Zusammenballung dreier Epizentren der Stadt, darunter die von Gropius gestaltete Universität; der Plan Bagdads besteht nur aus einer Collage der zahlreichen Autobahnkreuze und Verkehrsströme.

Diese ausgesprochene Uneindeutigkeit betrifft auch den materialen Charakter der Arbeiten selbst: wo sie bei Mauler im Grenzbereich zwischen Malerei und Objekt stehen, bewegen sich bei Kirchheim die auf Stoff gedruckten und auf Keilrahmen aufgezogenen Arbeiten im Schwebezustand zwischen Druck und Malerei. (Abziehen)

Ein ähnlicher Zwischen-Zustand, nämlich der des Reisens, liegt
der Serie von Linoldrucken zu Grunde, die nach Zeichnungen bei Autobusfahrten in Spanien entstanden. Das schnelle Skizzieren von Wahrnehmungsfragmenten, aus der Bewegung heraus, das Ineinanderfließen von Landschaftseindrücken, von äußeren Verkehrssituationen und Bus-Innerem kennzeichnen diese Zeichnungen.

Deren spontaner Charakter wurde später ohne nachträgliche Glättung präzise auf Linolplatten übertragen. Gerade das „Verzeichnete“, das zwischen Abstraktion und Figürlichkeit Schwebende, gibt die Gleichzeitigkeit der Sinneseindrücke dieser Busreisen in ihrer Komplexität wieder. Diese Entstehungsweise beharrt auch  eigensinnig auf der Wiedergewinnung einer subjektiven Wirklichkeit durch die unverstellte Wahrnehmung.
Natürlich ist sich Jakob Kirchheim der Problematik eines solchen Ansinnens bewusst: Was wir als subjektive Wahrnehmung wähnen, ist oft gefiltert durch Wahrnehmungsmuster, geprägt von persönlicher Erfahrung wie vom medialen Bilderstrom.
Kirchheim unterläuft dies, in dem er sich aleatorischer, also zufälliger Verfahren als Grundlage für seine Linoldrucke bedient, wie etwa in der Serie Pflatsch, welche die Klecksränder von Monotypien und deren Überschneidungen exakt auf die Platte überträgt, oder bei der „Putz-Kolonne“, deren Strukturen auf der Grundlage einer automatisierten Wachsstiftzeichnung, gleichsam einer „ecriture automatique “ entstand, wie wir sie von Henri Michaux kennen.
Ähnliches finden wir durchaus auch in den Zeichnungen der Busreise.
Wenn Kirchheim also hier einen subjektiven Bewusstseinsstrom einsetzt, so ist dies gleichwohl kein manichäisches Schwarz-Weiß-Ausschlussverfahren gegenüber einer überkodierten, medial vermittelten Wirklichkeit, sondern vielmehr deren Aneignung mit Hilfe eines künstlerischen Prozesses, der sich eben dieser Bilder bedient, um eine künstlerische Wirklichkeit zu schaffen.

Dies gilt ebenso für Christoph Mauler. Beiden Künstlern geht es um Strukturen und Formen, die sie aus Fotos, Plänen, Filmstills, aus Gebrauchsobjekten oder architektonischen Situationen ableiten oder im bildnerischen Prozess erzeugen.
Gemeinsam ist beiden im Ergebnis eine Art von Malerei, deren Methoden die Serie, das Arbeiten in Zuständen und Variationen (chronologisch, erzählerisch, Rapport) und deren „nicht-malerische“ Werkzeuge die Schablone, einfache Pappen und Baumarkt-Materialien oder Fußboden-Linoleum und Film sind.

Raster, Treppen, Böden, Landkarten, Fotografien, Filmstills oder Alltagsgegenstände sind einige der Motive, die sie auf ihre Tauglichkeit hin untersuchen, von denen sie Anregungen beziehen, die sie nah heranholen, , die sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Bei diesem Heranzoomen stellt sich immer auch die Frage des Maßstabs  -und  es handelt sich dabei immer auch um eine Frage Repräsentation – nicht nur des Betrachteten, sondern auch des Betrachters – ganz im Sinne der berühmten Karikatur von Ad Reinhardt, in der ein Betrachter zu einem abstrakten Gemälde abschätzig  meint: „Ha, ha, what does this represent?“ und das Gemälde ihn zornig zurückfragt: „What do you represent?“
Angesichts einer immer abstrakteren Realität, deren mediale Vermittlung mehr und mehr auf die Zurichtung des Subjektes hin zu den Bedürfnissen einer übermächtigen Konsumkultur zielt, stellt sich natürlich auch die Frage  der Repräsentation neu:  Ob sie immer noch mit der großen Geste des „Mein Auto, mein Haus, meine Yacht“ beantwortet werden kann, oder – vielleicht auch bescheidener, unprätentiöser – neu formuliert werden muss wie etwa: „Mein Fuß, mein Boden, das Fenster, die Gießkanne…“, das ist eine Frage, die hier in der Ausstellung durchaus  auch gestellt wird, deren Beantwortung aber dem Betrachter überlassen bleibt.

Am letzten Tag der Ausstellung (So. 6.5.07, 19 Uhr)wird Jakob Kirchheim ein Kurzfilmprogramm im Kinoptikum präsentieren, bei der neben Filmen auf Basis von Linolschnitten auch Arbeiten seiner Animationsfilm-Kollegen Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe aus Hamburg gezeigt werden. Im Anschluss findet ein Künstlergespräch mit Jakob Kirchheim statt.

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